hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 185

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 424/08, Beschluss v. 05.12.2008, HRRS 2009 Nr. 185


BGH 2 StR 424/08 - Beschluss vom 5. Dezember 2008 (LG Trier)

Unzureichende Urteilsgründe (mangelnde nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens).

§ 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3, geschlossene Darstellung).

2. Ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, weil dann häufig die tatsächliche Grundlage des Urteils unvollständig sein wird. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unklarheiten und Widersprüche in die Urteilsfeststellungen einschleichen, die es dem Revisionsgericht unmöglich machen, einen bestimmten Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen. Zwar bilden die schriftlichen Entscheidungsgründe eine Einheit, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Feststellungen 1, Zusammenhang der Urteilsgründe). Dies setzt jedoch voraus, dass sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Würdigung entnehmen lässt.

3. Es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, unklaren und sich widersprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen einen den Schuldspruch möglicherweise tragenden Sinn beizulegen.

4. Bei einer Vielzahl angeklagter Taten und wenn mehrere Personen angeklagt sind, empfiehlt es sich, in den Feststellungen jeder einzelnen Tat eine bestimmte Ordnungszahl zuzuordnen und die Beiträge aller Beteiligten an dieser Stelle gemeinsam darzustellen. Es beeinträchtigt dagegen die Klarheit und Übersichtlichkeit der Urteilsgründe, wenn im Wege eines "Mischsystems" zwar einzelne Taten einer Ordnungsnummer zugeordnet, unter anderen Ordnungsnummern aber eine Vielzahl von - auch nicht abgeurteilten - Einzeltaten zusammengefasst und unter weiteren Ziffern die Tatbeiträge der einzelnen Beteiligten - teilweise - voneinander getrennt abgehandelt werden.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. Mai 2008, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen "Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, weil es hinsichtlich der Angeklagten S. keine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3, geschlossene Darstellung). So verhält es sich hier.

a) Aus den insoweit unübersichtlichen und wenig klar gegliederten Feststellungen ergibt sich, dass die Angeklagte S. in einer Vielzahl von Fällen, deren Anzahl über die abgeurteilten fünf Fälle weit hinausgeht (UA S. 12-15), Fahrzeuge angemietet hat, um sie dem Mitangeklagten B. für die Durchführung von Drogenbeschaffungsfahrten zur Verfügung zu stellen. Die verstreut im Urteil anzutreffenden Ausführungen (UA S. 15-17/18 sowie 51 und 52-54) deuten im Zusammenhang mit dem Schuldspruch allerdings darauf hin, dass die Kammer die Angeklagte lediglich u. a. wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an den Fahrten vom 18. Mai 2007, 25. Mai 2007, 2. Juni 2007, 16. Juni 2007 und 30. Juni 2007 aburteilen wollte.

Diese Interpretation steht jedoch in Widerspruch zur Beschreibung der Taten bei der Festsetzung der Einzelstrafen (UA S. 62/63). Eine ausdrückliche Zuordnung erfolgt dort lediglich zu den Einfuhrfahrten vom "2.6.2008" und "30.6.2008" (gemeint ist jeweils 2007), die rechtlich als Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bezeichnet werden. Geht man - nahe liegend - davon aus, dass das Landgericht die im Text davor festgesetzten zwei Einzelstrafen auf die zeitlich früher liegenden Einfuhrfahrten vom 18. Mai 2007 und 25. Mai 2007 sowie die danach festgesetzte Strafe für "Beihilfe zur Einfuhr in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge" auf das zeitlich später liegende Aufbewahren der Betäubungsmittel für den Mitangeklagten B. und deren Sicherstellung bei der Angeklagten am 3. Juli 2007 (UA S. 55) bezogen wissen wollte, fehlt es an der Festsetzung einer Einzelstrafe für die Beteiligung an der Beschaffungsfahrt vom 16. Juni 2007. Darüber hinaus würde bei dieser Lesart im Widerspruch zu den Feststellungen unter II. 2. eine Einzelfreiheitsstrafe für eine Tat bestimmt, die über die Teilnahmehandlungen an den festgestellten Einfuhrfahrten hinausgeht.

Dieser Widerspruch kann nicht im Wege der Auslegung der Urteilsgründe ausgeräumt werden. Wollte man die zuletzt aufgeführte Strafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Beihilfe zur Einfuhr in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nämlich auf die Einfuhrfahrt vom 16. Juni 2007 beziehen, um eine Konkordanz zu den Feststellungen unter II. 2. herzustellen, wäre dies nicht mit den rechtlichen Ausführungen UA S. 55 i.V.m. UA S. 17 vereinbar, wonach die Kammer eine Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gerade nicht für den 16. Juni 2007, sondern für den 30. Juni 2007 als gegeben sieht. Die Zuordnung der Einzelfreiheitsstrafen zu den in den Feststellungen ausdrücklich in Bezug genommenen Einfuhrfahrten ist damit nicht widerspruchsfrei möglich.

b) Hinzu kommt, dass an Hand der Urteilsgründe auch eine zuverlässige Zuordnung der in drei Fällen tateinheitlich abgeurteilten Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu den festgestellten Einfuhrfahrten ausscheidet.

Nach den Feststellungen UA S. 18/53 verkaufte die Angeklagte S. im Zeitraum von 3.5.2007 bis zum 3.7.2007 "sechs Mal Betäubungsmittel" an drei verschiedene Vertrauenspersonen und einen verdeckten Ermittler der Polizei. Diese Verkäufe stammten aus mindestens drei verschiedenen Lieferungen; zugunsten der Angeklagten sei davon auszugehen, dass diese drei Lieferungen aus drei der fünf festgestellten Beschaffungsfahrten stammten, an denen sie beteiligt gewesen sei (UA S. 53). Bei den am 3.5.2007, am 1.6.2007 und am 8.6.2007 verkauften Betäubungsmitteln habe es sich lediglich um geringe Mengen, bei dem am 14.6.2007 und am 3.7.2007 verkauften Amphetamin habe es sich um nicht geringe Mengen gehandelt.

Diesen Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, welche drei der angegebenen fünf (nicht, wie die Kammer meint, sechs) Verkäufe die Kammer mit welchen konkreten Einfuhrfahrten als tateinheitlich verknüpft angesehen hat. Darüber hinaus erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, warum die Kammer in nur einem Fall tateinheitlich Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jedoch in zwei Fällen tateinheitlich Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen hat. Denn selbst wenn man den Verkauf vom 3. Mai 2007 als vor der ersten Einfuhrfahrt am 18. Mai 2007 liegend ausscheidet, verbleiben ausweislich UA S. 53/54 vier Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im relevanten Tatzeitraum, davon zwei - 1.6.2007 und 8.6.2007 - mit geringen und zwei - 14.6.2007 und 3.7.2007 - mit nicht geringen Mengen.

Diese Unklarheiten hinsichtlich der in Tateinheit abgeurteilten Delikte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verstärken die bereits dargelegten, sich aus dem Vergleich der Feststellungen zum Tatgeschehen mit den Ausführungen zur Einzelstraffestsetzung ergebenden Unsicherheiten und machen eine zuverlässige und vor allem widerspruchsfreie Zuordnung zu konkreten Einfuhrfahrten unmöglich.

c) Damit bleibt insgesamt unsicher, welchen Sachverhalt der Tatrichter dem Urteil zugrunde gelegt hat. Die unklaren, unübersichtlichen und widersprüchlichen Ausführungen in den Urteilsgründen erlauben eine ausreichende revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs nicht (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13; erkennbare Subsumtion; BGH NStZ 2000, 607 f.). Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der - soweit es die Angeklagte S. betrifft - zu seiner Aufhebung führt.

2. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, weil dann häufig die tatsächliche Grundlage des Urteils unvollständig sein wird. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unklarheiten und Widersprüche in die Urteilsfeststellungen einschleichen, die es dem Revisionsgericht unmöglich machen, einen bestimmten Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen. Zwar bilden die schriftlichen Entscheidungsgründe eine Einheit, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Feststellungen 1, Zusammenhang der Urteilsgründe).

Dies setzt jedoch voraus, dass sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Würdigung entnehmen lässt. Es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, unklaren und sich widersprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen einen den Schuldspruch möglicherweise tragenden Sinn beizulegen.

b) Bei einer - wie hier - Vielzahl angeklagter Taten und wenn mehrere Personen angeklagt sind, empfiehlt es sich, in den Feststellungen jeder einzelnen Tat eine bestimmte Ordnungszahl zuzuordnen und die Beiträge aller Beteiligten an dieser Stelle gemeinsam darzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. 2008, Rn. 234). Es beeinträchtigt dagegen die Klarheit und Übersichtlichkeit der Urteilsgründe, wenn im Wege eines "Mischsystems" zwar einzelne Taten einer Ordnungsnummer zugeordnet, unter anderen Ordnungsnummern aber eine Vielzahl von - auch nicht abgeurteilten - Einzeltaten zusammengefasst und unter weiteren Ziffern die Tatbeiträge der einzelnen Beteiligten - teilweise - voneinander getrennt abgehandelt werden.

c) Besteht aus Sicht des Tatgerichts Anlass, Straftaten zu schildern, die nicht Gegenstand des Schuldspruchs sind - z.B. solche, die gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus dem Verfahrensstoff ausgeschieden wurden oder solche, die nicht angeklagt waren, in der Hauptverhandlung aber zu Tage getreten sind -, sollten diese in der Darstellung deutlich von den konkret abgeurteilten Taten geschieden werden, um Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden.

d) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass die Formulierungen im Urteil, die Angeklagte S. sei "selbst betäubungsmittelabhängig" (UA S. 60) und habe die Taten "aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen" (UA S. 63) zur Prüfung der - vom Landgericht nicht erörterten - Frage drängen, ob ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Von der Unterbringung nach § 64 StGB darf nicht abgesehen werden, weil der Tatrichter - wie in den Urteilsgründen ausgeführt - "bereits jetzt" einer Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG zustimmt. Die Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB geht der allein dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Zurückstellung nach § 35 BtMG vor (BGH StV 2008, 405 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 185

Bearbeiter: Karsten Gaede