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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 15

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 270/08, Beschluss v. 30.07.2008, HRRS 2009 Nr. 15


BGH 2 StR 270/08 - Beschluss vom 30. Juli 2008 (LG Kassel)

Strafrahmenwahl; Totschlag in einem minder schweren Fall; Doppelmilderung; Affekt.

§ 213 StGB; § 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 50 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Möglichkeit einer weiteren Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kann grundsätzlich auch neben der obligatorischen Milderung gemäß §§ 213 Alt. 1, 49 Abs. 1 StGB zu prüfen sein. Denn ein über die in dem Provokationstatbestand umschriebene Erregung hinausgehender Affekt, der zu einer von § 213 StGB gerade nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann gegebenenfalls eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen.

2. Die im Ermessen des Tatrichters stehende weitere Milderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kann jedoch rechtsfehlerfrei mit der Erwägung abgelehnt werden, dass die zu der Provokationssituation gemäß § 213 StGB hinzutretenden Eingangsvoraussetzungen des § 21 StGB keine selbständige sachliche Grundlage hatten, sondern es sich letztlich um denselben Affekt handelte.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. Februar 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Auch die Strafrahmenwahl begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat zu Recht die Voraussetzungen des § 213 Fall 1 StGB bejaht. Nach dieser Vorschrift ist die Strafmilderung zwingend und unabhängig davon geboten, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war (BGH BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; StraFo 2007, 125).

Mit Recht hat das Landgericht sodann die Möglichkeit einer weiteren Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB geprüft. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass der über die in dem Provokationstatbestand umschriebene Erregung hinausgehende Affekt, der zu einer von diesem nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen kann; ihr steht § 50 StGB nicht entgegen (BGH NStZ 1986, 115; BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3; § 226 Strafrahmenwahl 2). Bedenken gegen diese Rechtsprechung könnten sich daraus ergeben, dass eine Abstufung von Affektgraden - zumindest bei Tötungsdelikten - schwerlich durchführbar ist (vgl. BGH StV 1994, 315). Dies bedarf jedoch hier keiner Entscheidung, weil es jedenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters liegt, ob er von der Möglichkeit der Doppelmilderung Gebrauch macht. Dabei darf er insbesondere berücksichtigen, ob die beiden Milderungsgründe auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5 und 8; StraFo 2007, 125).

Daher ist die Begründung, mit der das Schwurgericht eine Doppelmilderung hier abgelehnt hat, im Ergebnis frei von Rechtsfehlern: Zwar hat es einerseits seine Annahme, "der zur Provokationssituation gemäß § 213 StGB hinzutretende § 21 StGB (hatte) keine selbständige sachliche Grundlage", mit der Stärke des "provokationsbedingten" Affekts begründet (UA 48). Andererseits hat es sich der Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, dass ein Auslöser für den beim Angeklagten festgestellten Affektsturm "nicht sicher ausgemacht werden" könne (UA S. 39). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnimmt der Senat jedoch, dass der Affekt jedenfalls Folge des Verhaltens der Geschädigten nach Rückkehr in die Wohnung war, auf Grund dessen er auch in Wut und Zorn geriet. Im Blick auf diesen Umstand durfte das Schwurgericht die in seinem Ermessen stehende weitere Strafrahmenverschiebung ablehnen.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 15

Externe Fundstellen: NStZ 2009, 91; StV 2008, 640

Bearbeiter: Ulf Buermeyer