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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 571

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 85/07, Urteil v. 06.06.2007, HRRS 2007 Nr. 571


BGH 2 StR 85/07 - Urteil vom 6. Juni 2007 (LG Kassel)

Tötungsvorsatz (Überzeugungsbildung; Beweiswürdigung; Urteilsgründe; Erörterungsmangel); Vorsatz zur Tötung durch Unterlassen (voluntatives Element; Vertrauen auf das Ausbleiben des Todeserfolges).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 3 StPO; § 212 StGB; § 15 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters.

2. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist, mit Denkgesetzen nicht vereinbar ist oder die Bedeutung von Beweistatsachen im Einzelnen grundsätzlich verkannt oder in ihrem Verhältnis zueinander falsch eingeschätzt hat.

3. Solche Fehler liegen nicht schon deshalb vor, weil die Schlussfolgerungen, welche der Tatrichter gezogen hat, nicht zwingend sind oder weil die Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse auch zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

4. Sind keine Umstände erkennbar, nach denen der Angeklagte darauf hätte vertrauen dürfen, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen, so belegt dies zwar Fahrlässigkeit hinsichtlich der Todesfolge, aber gerade nicht das voluntative Element des Tötungsvorsatzes.

Entscheidungstenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 14. September 2006 wird verworfen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten P. S. und J. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Freiheitsstrafen von jeweils neun Jahren und den Angeklagten K. S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die sich nach Teilrücknahme nur noch gegen die Verurteilung der Angeklagten wegen (gemeinschaftlicher) Körperverletzung mit Todesfolge wendet, hat keinen Erfolg.

1. Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint, da es sich mit den bei allen drei Angeklagten vorliegenden für einen solchen Vorsatz sprechenden Beweisanzeichen nicht hinreichend auseinandergesetzt habe, ist unbegründet. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn diese rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist, mit Denkgesetzen nicht vereinbar ist oder die Bedeutung von Beweistatsachen im Einzelnen grundsätzlich verkannt oder in ihrem Verhältnis zueinander falsch eingeschätzt hat. Solche Fehler liegen nicht schon deshalb vor, weil die Schlussfolgerungen, welche der Tatrichter gezogen hat, nicht zwingend sind oder weil die Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse auch zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, das Landgericht habe die Anforderungen, welche von Rechts wegen an seine Überzeugung vom Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes zu stellen waren, rechtsfehlerhaft verkannt und zu hoch angesetzt. Das Landgericht hat sich in einer ausführlichen Beweiswürdigung (UA S. 75 f.) mit den für und gegen die Annahme von (bedingtem) Tötungsvorsatz sprechenden Indizien auseinander gesetzt. Dass es gewichtige Beweisanzeichen übersehen hätte, lässt sich nicht feststellen; der Tatrichter ist nicht gehalten, in den schriftlichen Urteilsgründen eine erschöpfende Aufzählung sämtlicher beweiserheblicher Gesichtspunkte sowie der seine Überzeugung begründenden Erwägungen darzulegen. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass sich aus der Art der dem Geschädigten zugefügten Verletzungen und der Brutalität des festgestellten Vorgehens durchaus erhebliche Indizien für die Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes ergaben. Andererseits hatte es die erhebliche Alkoholisierung aller Angeklagten zu berücksichtigen; weiterhin den Umstand, dass ganz besonders schwere, schon ihrer Art nach regelmäßig auf Tötung des Opfers abzielende einzelne Verletzungshandlungen nicht vorlagen; überdies den erheblich gegen einen Tötungsvorsatz sprechenden Umstand, dass die Angeklagten dem Tatopfer beim Weggehen mit Rachehandlungen für den Fall einer Anzeige bei der Polizei drohten; schließlich auch die im Urteil zitierten Äußerungen gegenüber Dritten. Die Annahme der Revision, diese Äußerungen könnten auch auf einer bewussten Verharmlosung der Tat beruhen, ist zwar zutreffend; es ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Landgericht diese - überdies eher spekulative - Möglichkeit bei seiner Gesamtwürdigung übersehen haben könnte.

Die Annahme des Landgerichts, es habe das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes letztlich "nicht sicher" feststellen können (UA S. 76), ist daher im Ergebnis tragfähig und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Das gilt im Ergebnis auch für das von der Revision gerügte Unterbleiben einer ausdrücklichen Erörterung eines Tötungsdelikts durch Unterlassen. Insoweit wäre es auf die Vorstellung der Angeklagten zum Zeitpunkt des Verlassens des Tatorts angekommen. Da das Landgericht sich mit der Frage eines zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Tötungsvorsatzes ausdrücklich auseinandergesetzt hat, ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen, für den subjektiven Tatbestand relevanten Umstände insoweit unter dem Gesichtspunkt des Unterlassens hätten erörtert werden sollen. Auch die Revision hat solche Umstände nicht vorgetragen. Dass, wie die Revision hervorhebt, keine Umstände erkennbar gewesen seien, nach denen die Angeklagten darauf "hätten vertrauen dürfen", der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (RB S. 13), belegt die (grobe) Fahrlässigkeit hinsichtlich der Todesfolge, gerade nicht aber das voluntative Element des Tötungsvorsatzes.

3. Auch die Strafzumessung hält im Ergebnis der rechtlichen Prüfung stand. Der Revision ist zwar zuzugeben, dass die Erwägungen, mit welchen das Landgericht die Anwendung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei allen drei Angeklagten begründet hat, im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung auch des Senats unter Umständen Bedenken begegnen könnten. Andererseits hat der Tatrichter das rechtliche Problem erkennbar gesehen und sich mit der Frage in den Urteilsgründen ausführlich auseinander gesetzt. Für seine auf Rechtsgründe gestützte Ermessensentscheidung, für die im Übrigen auch sprach, dass jedenfalls bei dem Angeklagten K. S. eine langjährige Suchterkrankung vorlag, hatte er einen weiten Spielraum; das Revisionsgericht kann hier nicht schon deshalb eingreifen, weil ein anderes Ergebnis möglich oder aus seiner Sicht auch näher liegend gewesen wäre.

Dies kann hier aber letztlich dahin stehen. Selbst wenn die Verhängung der Einzelstrafen von neun Jahren und sechs Monaten gegen den Angeklagten K. S. und von jeweils neun Jahren gegen die Angeklagten P. S. und J. auf einer rechtsfehlerhaften Strafrahmenmilderung wegen der festgestellten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit beruhen sollten, wären diese Strafen nach der Gesamtheit der festgestellten Umstände angemessen (§ 354 Abs. 1a S. 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 571

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2007, 268

Bearbeiter: Ulf Buermeyer