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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 274

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 572/07, Beschluss v. 06.02.2008, HRRS 2008 Nr. 274


BGH 2 StR 572/07 - Beschluss vom 6. Februar 2008 (LG Aachen)

Sexueller Missbrauch eines Kindes (Bestimmen zur Vornahme einer Handlung "an sich selbst"); Bestimmtheitsgrundsatz (Wortlautgrenze).

§ 176 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Leitsatz des Bearbeiters

Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i. d. F. des 6. StrRG nicht erfasst. Erfasst werden nach dem Wortlaut der Vorschrift nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an sich, also nicht lediglich mit seinem Körper vornimmt, denn nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt eine Handlung an sich selbst vor.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. April 2007

a) soweit es ihn betrifft, im Fall II. 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch und

b) soweit es die Mitangeklagte Ha. betrifft (§ 357 Satz 1 StPO) jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Misshandlung einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die nicht revidierende Mitangeklagte Ha. hat es der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch eines Kindes schuldig gesprochen und eine Geldstrafe gegen sie verhängt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts.

1. Das Rechtsmittel hat, soweit es den Angeklagten betrifft, in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i. d. F. des 6. StrRG) im Fall II. 4 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil der Angeklagte die Nebenklägerin J. Ha. nicht dazu bestimmt hat, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen.

Das Landgericht hat hierzu festgestellt: Am 23. Juli 2003 fertigte der Angeklagte in Anwesenheit der Mitangeklagten Ha. Fotos von deren Tochter, der seinerzeit elf Jahre alten J. Ha. Die Mitangeklagte Ha. hatte ein Paket mit Dessous erhalten. Auf Vorschlag des Angeklagten probierte J. die Sachen nacheinander an und posierte damit, wobei sie der Angeklagte fotografierte.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das Posieren der kindlichen Nebenklägerin in Reizwäsche eine nicht unerhebliche sexuelle Handlung (§ 184 f Nr. 1 StGB) ist. Denn eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i. d. F. des 6. StrRG scheidet bereits deshalb aus, weil das Mädchen nach den Feststellungen keine sexuellen Handlungen "an sich" vorgenommen hat. Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird aber von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i. d. F. des 6. StrRG nicht erfasst (BGHSt 50, 370, 371 f. m. w. N.; Senat StV 2007, 184 = StraFo 2007, 215). Erfasst werden nach dem Wortlaut der Vorschrift nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an sich, also nicht lediglich mit seinem Körper vornimmt. Nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt eine Handlung an sich selbst vor.

Damit scheidet eine Verurteilung des Angeklagten nach § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 6. StrRG aus. Gemäß § 357 StPO ist die Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Fall auf die Mitangeklagte Ha. als Gehilfin zu erstrecken. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob sich die Mitangeklagte Ha. der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) schuldig gemacht und der Angeklagte gegebenenfalls zu einer solchen Tat angestiftet oder zu ihr Beihilfe geleistet hat.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Im Fall II. 1 der Urteilsgründe belegen die Urteilsfeststellungen zwar keine schutzlose Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) der Nebenklägerin G.; der Angeklagte hat jedoch Gewalt (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) angewendet, indem er die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht auf dem Bett fixierte und sie mit Handschellen an das Kopfende des Metallbetts fesselte. Dass der Angeklagte nicht wegen schwerer sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt worden ist, beschwert ihn nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 274

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 170

Bearbeiter: Ulf Buermeyer