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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 165

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 458/07, Beschluss v. 14.11.2007, HRRS 2008 Nr. 165


BGH 2 StR 458/07 - Beschluss vom 14. November 2007 (LG Marburg)

Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit); fehlgeschlagener Versuch (Fehlschlag hinsichtlich außertatbestandlicher Ziele).

§ 24 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Hat der Täter sein außertatbestandliches Ziel bereits erreicht, so ist ihm grundsätzlich die Möglichkeit des Rücktritts dennoch eröffnet, weil § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nur ein Abstandnehmen von der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes verlangt.

2. Gleiches gilt bei sinnlos gewordenem weitergehenden Tatplan: Wird also ein außertatbestandsmäßiges Ziel nach Versuchsbeginn unerreichbar, so führt dies nicht zugleich zum Fehlschlagen des Versuchs.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 14. Mai 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung, mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und mit Tötung zweier Wirbeltiere ohne vernünftigen Grund zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt. Ihr Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Mordversuch nicht rechtsfehlerfrei geprüft.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Angeklagte am 23. November 2006 wegen ehelicher und finanzieller Probleme verzweifelt und fasste den Entschluss, ihr aus Wohnhaus und Scheune bestehendes Anwesen in Brand zu setzen und gemeinsam mit ihrem bei ihr wohnenden 12-jährigen Sohn im Bett liegend an einer Rauchvergiftung zu sterben. Dabei wollte sie nicht nur den Sohn, sondern auch ihre beiden Hunde mit in den Tod nehmen. Sie brachte ihren Sohn zu Bett, gab ihm Schlafmittel, damit er weder den Brand noch die Rauchgase, an denen er ersticken sollte, bemerken sollte. Bewusst das Vertrauen ihres Sohnes in sie als Mutter ausnutzend, erklärte sie ihm bei der Gabe der Tabletten, dass es sich um Vitamintabletten zur Stärkung seiner Gesundheit handele. Den beiden im Haus befindlichen Hunden gab sie ebenfalls Schlafmittel, damit diese von dem Brand nichts mitbekommen, keinen Alarm schlagen und mit ihr und ihrem Sohn an Rauchgas ersticken sollten. Die Angeklagte bereitete mehrere Brandherde vor. Da bei ihren beiden Hunden das Schlafmittel nicht die von ihr erhoffte Wirkung zeigte, nahm sie einen Hammer und schlug ihnen mit diesem auf den Kopf und das Genick. Während einer der Hunde sofort starb, wurde der andere nur schwer verletzt und verendete erst nach geraumer Zeit. Die Angeklagte legte dann an den vorbereiteten Stellen Feuer, das zu starker eigenständiger Brandzehrung führte. Sie setzte sich zu ihrem nichts ahnend im Bett schlafenden Sohn. Der Brand wurde von einem Nachbarn bemerkt, der als Wehrführer der Feuerwehr ein Feuerwehrauto mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht vor das Haus fuhr, um die im Haus befindlichen Menschen vor dem Feuer zu warnen. Die Angeklagte hörte dies, reagierte aber nicht, obwohl sie spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte, dass sie aufgrund des Einsatzes der Feuerwehr gerettet werden würden und jedenfalls ihr Tatplan, in den durch den Brand hervorgerufenen Rauchgasen zu ersticken, gescheitert war. Als die Angeklagte bemerkte, dass die Haustür von dem Feuerwehrmann eingeschlagen wurde, entschloss sie sich, mit ihrem Sohn das Haus zu verlassen. Sie weckte ihren Sohn und schickte ihn hinaus, während sie noch Kleidung für ihn holte und ihm dann folgte. An der Scheune und dem Wohnhaus, das eigenständig in Brand geraten war, entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 300.000 €.

2. Das Landgericht hat unter anderem versuchten Mord (Mordmerkmale: Heimtücke und mit gemeingefährlichen Mitteln) angenommen. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Angeklagte nicht strafbefreiend zurückgetreten, da ein fehlgeschlagener Versuch vorliege. Die Angeklagte habe nach ihrem Tatplan mit dem Sohn nicht in den Flammen umkommen, sondern im Rauch ersticken wollen. Als sie die Feuerwehr hörte, habe sie erkannt, dass sie beide bald gerettet würden und daher ihr Plan, gemeinsam im Bett liegend durch eine Rauchvergiftung zu sterben, nicht mehr gelingen konnte.

3. Die Verneinung der Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Mordversuch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat die Rechtsprechung zum fehlgeschlagenen Versuch zwar wiedergegeben, ist aber nicht von einem rechtlich zutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen. Die von der Angeklagten beabsichtigte strafbare Tat war allein die Tötung ihres Sohnes, nicht die Selbsttötung. Die Frage des Rücktritts ist daher ausschließlich daran zu prüfen, ob die Angeklagte strafbefreiend vom Tötungsversuch zum Nachteil ihres Sohnes zurückgetreten ist.

Für den Fall, dass der Täter sein außertatbestandliches Ziel bereits erreicht hat, hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in BGHSt 39, 221 ff. entschieden, dass dem Täter grundsätzlich die Rücktrittsmöglichkeit eröffnet ist, weil § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nur ein Abstandnehmen von der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes verlangt. Das gilt auch bei sinnlos gewordenem weitergehenden Tatplan.

Mag auch der Plan der Angeklagten, gemeinsam zu sterben, gescheitert gewesen sein, so verhält sich das angefochtene Urteil aber nicht dazu, ob der allein strafrechtlich relevante Versuch, den Sohn zu töten, fehlgeschlagen war. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass das Landgericht nicht genügend zwischen dem Suizidversuch und dem Tötungsversuch an dem Kind differenziert und rechtsfehlerhaft allein darauf abgestellt hat, dass vom Zeitpunkt der Entdeckung des Brandes an aus der Sicht der Angeklagten der gemeinsame Tod nicht mehr möglich war. Das Landgericht hat sich - aufgrund des fehlerhaften Ausgangspunktes - nicht mehr mit der Frage befasst, ob die Angeklagte auch nach der Entdeckung des Brandes objektiv noch die Möglichkeit hatte und subjektiv in der Lage gewesen wäre, ihren Sohn zu töten.

Auf diesen Rechtsfehlern beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass ein neuer Tatrichter mit rechtsfehlerfreier Begründung (vgl. zur Frage des fehlgeschlagenen Versuchs auch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 24 Rdn. 12) wieder zur Bejahung eines versuchten Mordes gelangt, hat er davon abgesehen, den Schuldspruch selbst zu ändern.

Der Mangel führt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da die weiteren Delikte in Tateinheit abgeurteilt worden sind (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 165

Externe Fundstellen: NStZ 2008, 275; StV 2008, 245

Bearbeiter: Ulf Buermeyer