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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 451

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 199/06, Beschluss v. 24.05.2006, HRRS 2006 Nr. 451


BGH 2 ARs 199/06 / 2 AR 102/06 - Beschluss vom 24. Mai 2006

Ausschluss eines Verteidigers (versuchte Strafvereitelung); Strafvereitelung durch Strafverteidiger (effektives Verteidigungsverhalten; Leugnen des Holocaust); Fall Zündel.

§ 138 c StPO; § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 258 StGB; Art. 12 GG; Art. 6 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Grenzen des Zulässigen bei der Frage, ob das Verhalten eines Verteidigers den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllt, ergeben sich nicht unmittelbar aus § 258 StGB selbst. Vielmehr verweist die Vorschrift auf die Regelungen des Prozessrechts. Danach darf der Verteidiger grundsätzlich alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nützt. Die Achtung der rechtsstaatlich notwendigen effektiven Strafverteidigung - auch im Blick auf Art. 12 GG - gebietet erhebliche Zurückhaltung bei gerichtlicher Inhaltskontrolle von Verteidigerverhalten. Dies muss gerade auch für die Abgrenzung von erlaubtem und unerlaubtem Verteidigerverhalten gelten.

2. Ein Fall effektiver Strafverteidigung liegt nicht vor, wenn die zu beurteilenden Handlungen eines Verteidigers sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweisen, die sich nur den äußeren Anschein der Verteidigung geben, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermögen.

3. Liegt ein Leugnen des gesamten Holocaust vor, drängt sich die Annahme verteidigungsfremden Verhaltens auf, da dieses zur Sachaufklärung oder rechtlichen Beurteilung im konkreten Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beitragen kann.

Entscheidungstenor

Die sofortigen Beschwerden des Angeklagten Z. und der Rechtsanwältin S. gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 31. März 2006 werden verworfen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat durch Beschluss vom 31. März 2006 die Verteidigerin Rechtsanwältin S., E., von der weiteren Mitwirkung in dem gegen den Angeklagten Z. von der Staatsanwaltschaft Mannheim betriebenen Strafverfahren wegen Volksverhetzung u. a. (6 KLs 503 Js 4/96) gemäß § 138 c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO ausgeschlossen. Der Angeklagte hat in diesem Verfahren noch weitere fünf Verteidiger.

Gegen diesen Beschluss wenden sich sowohl der Angeklagte selbst als auch die betroffene Rechtsanwältin S. mit ihren sofortigen Beschwerden.

Die sofortigen Beschwerden sind gemäß §§ 138 d Abs. 6 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO zulässig.

Sie sind jedoch unbegründet.

Das Oberlandesgericht hat die formellen Voraussetzungen der Ausschließung (§ 138 c Abs. 2 StPO) zutreffend bejaht.

Auch in der Sache selbst hat die Entscheidung Bestand.

Die umfangreiche und sorgfältige Würdigung, auf welche das Oberlandesgericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung gemäß § 138 d StPO seine Überzeugung gestützt hat, es bestehe ein die Ausschließung gemäß § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO rechtfertigender Verdacht der versuchten Strafvereitelung gegen Rechtsanwältin S., ist nicht zu beanstanden.

Insbesondere ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich des Nachweises sowohl des objektiven als auch des voluntativen Elements der Strafvereitelung bei der Beurteilung eines Verteidigerverhaltens erhöhte Anforderungen bestehen und dass diese hier erfüllt sind.

Die Stellung als Verteidiger in einem Strafprozess und das damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen Organstellung und Beistandsfunktion macht eine besondere Abgrenzung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten in Bezug auf den Straftatbestand der Strafvereitelung, § 258 StGB, erforderlich (vgl. BGHSt 38, 345, 347 ff.). Hierbei wird im Zweifel davon auszugehen sein, dass es sich um wirksame Verteidigung handelt (vgl. BGHSt 46, 36, 46). Die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens ergeben sich dabei nicht unmittelbar aus § 258 StGB selbst, vielmehr verweist die Vorschrift auf die Regelungen des Prozessrechts. Danach darf der Verteidiger grundsätzlich alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nützt. Die Achtung der rechtsstaatlich notwendigen effektiven Strafverteidigung - auch im Blick auf Art. 12 GG - gebietet erhebliche Zurückhaltung bei gerichtlicher Inhaltskontrolle von Verteidigerverhalten; dies muss gerade auch für die Abgrenzung von erlaubtem und unerlaubtem Verteidigerverhalten gelten (vgl. BGHSt 47, 278, 282). Ein Fall effektiver Strafverteidigung liegt nicht vor, wenn die zu beurteilenden Handlungen eines Verteidigers sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweisen, die sich nur den äußeren Anschein der Verteidigung geben, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermögen (vgl. BGHSt 46, 36, 45). Liegt - wie hier - zum Beispiel ein Leugnen des gesamten Holocaust vor, drängt sich die Annahme verteidigungsfremden Verhaltens bei Äußerungen auch im Rahmen von Beweisanträgen oder sonstigen Prozesserklärungen auf, da diese zur Sachaufklärung oder rechtlichen Beurteilung im konkreten Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beizutragen vermögen (vgl. BGHSt 47, 278, 283).

Nach diesen Maßstäben ist hier der Ausschluss der Verteidigerin gerechtfertigt. Durch ihr Verhalten in der Hauptverhandlung ist sie zumindest hinreichend verdächtig, in strafbarer Weise unmittelbar dazu angesetzt zu haben, das Verfahren gegen den Angeklagten für geraume Zeit zu verzögern oder gar einen Abschluss endgültig zu vereiteln, wobei die Art und Weise ihrer Handlungen gerade auch die subjektive Seite belegen.

Zutreffend hat der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang u. a. darauf hingewiesen, dass diese Absicht deutlich belegt wird durch die bereits am ersten Hauptverhandlungstag erfolgte "Belehrung" der Laienrichter, die dahin ging, sie würden sich wegen der Ausübung ihres Richteramtes der "Volksverleumdung gemäß den Gesetzen des fortbestehenden Deutschen Reiches" schuldig machen und könnten unter Umständen mit der Todesstrafe bestraft werden. In mehreren Hauptverhandlungsterminen ließ die Verteidigerin ein prozessordnungsgemäßes Verhandeln nicht zu, indem sie trotz Entzugs des Rederechts den Fortgang der Verhandlung durch ununterbrochenes - an das Publikum gewandtes Sprechen über "Nürnberger Scheinprozesse", "Inquisitionsgericht" und Ausführungen wie "den Holocaust habe es nie gegeben", unmöglich machte.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht hat sie darüber hinaus erklärt, dass sie sich auch künftig den Anordnungen des Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer zur Leitung der Verhandlung nicht beugen, sondern trotz Anordnung nach § 257 a StPO, Wortentzugs und Abschalten des Mikrofons ungebrochen auch zum anwesenden Publikum gewandt weiter reden werde, "um die Wahrheit kund zu tun". Dass es der Verteidigerin aber in Wirklichkeit nicht um die Ermittlung der Wahrheit geht, zeigt sich schon daran, dass sie eine prozessordnungsgemäße Verhandlung und Aufklärung gerade verhinderte und zukünftig verhindern will.

Auch im Rahmen der Begründung ihrer sofortigen Beschwerde trägt sie vor, dass im Fall Z. eine "in der Strafprozessordnung nicht vorgesehene Strategie geboten" sei, da das Verhalten des erkennenden Gerichts einen übergesetzlichen Notstand bedinge. Hierin ist ein weiteres Indiz dafür zu sehen, dass die Verteidigerin entschlossen ist, sich außerhalb der geltenden Strafprozessordnung zu stellen, um eine Bestrafung ihres Mandanten zu vereiteln.

Der Senat hat nach umfassender Würdigung aller Umstände, die auch im Vorlagebeschluss des Landgerichts und im angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts näher dargelegt sind, keinen Zweifel, dass die Verteidigerin zumindest hinreichend verdächtig ist, eine versuchte Strafvereitelung begangen zu haben. Ihr Gesamtverhalten zeigt, dass sie auch den entsprechenden Vorsatz hatte. Wenn sie sich im Hinblick auf ihr Handeln je in einem Irrtum befunden haben sollte, käme allenfalls ein - naheliegend vermeidbarer - Verbotsirrtum in Betracht.

Die Gegenerklärung vom 23. Mai 2006 lag dem Senat vor und war Gegenstand der Beratung. Sie gibt keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu verneinen.

Die sofortigen Beschwerden erweisen sich deshalb als unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 451

Externe Fundstellen: NJW 2006, 2421; NStZ 2006, 510

Bearbeiter: Ulf Buermeyer