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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 331

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 370/06, Beschluss v. 07.02.2007, HRRS 2007 Nr. 331


BGH 2 StR 370/06 - Beschluss vom 7. Februar 2007 (LG Darmstadt)

Hilfsstrafkammer (Schöffenauswahl); nachträgliche Änderung des Geschäftsverteilungsplans (Übertragung eines einzigen Verfahrens; Begründungspflicht).

§ 46 GVG; § 77 Abs. 1 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für Sitzungen einer Hilfsstrafkammer sind die für die entlastete ordentliche Strafkammer für den Sitzungstag - ggf. nach Verlegung auf den zeitnächsten Sitzungstag der ordentlichen Strafkammer - ausgelosten Hauptschöffen heranzuziehen, wenn diese nicht von der ordentlichen Kammer benötigt werden; im letzteren Fall sind Schöffen aus der Hilfsschöffenliste heranzuziehen.

2. Die Heranziehung von Hauptschöffen einer ganz anderen Strafkammer, nur weil diese "frei" sind oder der Strafkammer zugelost wurden, der Mitglieder der Hilfsstrafkammer angehören, scheidet aus.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 21. März 2006, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und den Angeklagten D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und sichergestellte Betäubungsmittel sowie Mobiltelefone eingezogen.

Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer gleichlautend erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, so dass es auf die weiter erhobenen Rügen nicht ankommt.

1. Zutreffend rügen die Revisionen dieser Angeklagten, dass die erkennende Hilfsstrafkammer (15a-Strafkammer) insoweit fehlerhaft besetzt war, als für die Sitzung die Hauptschöffen der 1. Strafkammer zugezogen wurden.

Die erkennende 15a-Hilfsstrafkammer war durch Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 4. Mai 2005 ("klargestellt" durch Beschluss vom 11. Juli 2005) wegen vorübergehender Überlastung der 15. Strafkammer zu deren Entlastung eingerichtet. Sie wurde mit einem Vorsitzenden Richter und zwei Beisitzern besetzt, die im Übrigen der 1. Strafkammer angehörten. Am ersten Hauptverhandlungstag (7. Oktober 2005) des vorliegenden Verfahrens hatte die 15. (ordentliche) Strafkammer keinen ordentlichen Sitzungstag. Die 15a-Hilfsstrafkammer verhandelte ab 7. Oktober 2005 weder mit den Hauptschöffen der 15. Strafkammer, die dieser für den 7. Oktober 2005 zugelost waren, noch mit Hauptschöffen der 15. Strafkammer für den vorausgegangenen oder nachfolgenden ordentlichen Sitzungstag noch mit Hilfsschöffen aus der Hilfsschöffenliste, sondern mit zwei Schöffen, die der 1. Strafkammer für deren ordentlichen Sitzungstag am 7. Oktober 2005 zugelost worden waren. Der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer, der zugleich Vorsitzender der 1. Strafkammer war, hatte deren Hauptschöffen für den Sitzungstag somit in die 15a-Hilfsstrafkammer quasi "mitgenommen". Eine Besetzungsmitteilung ist nicht ergangen.

Dies war, wie die Revisionen zutreffend rügen, rechtsfehlerhaft. Für Sitzungen einer Hilfsstrafkammer sind die für die entlastete ordentliche Strafkammer für den Sitzungstag - ggf. nach Verlegung auf den zeitnächsten Sitzungstag der ordentlichen Strafkammer (BGHSt 41, 175, 180) - ausgelosten Hauptschöffen heranzuziehen, wenn diese nicht von der ordentlichen Kammer benötigt werden (BGHSt 25, 174, 175; 31, 157, 159 f.); im letzteren Fall sind Schöffen aus der Hilfsschöffenliste heranzuziehen (BGHSt 41, 175, 180 f.). Die Heranziehung von Hauptschöffen einer ganz anderen Strafkammer, nur weil diese "frei" sind oder der Strafkammer zugelost wurden, der Mitglieder der Hilfsstrafkammer angehören, scheidet jedenfalls aus.

Die Rüge ist auch, entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts, zulässig im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben. Die Revisionen haben vorgetragen, dass die 15. ordentliche Strafkammer weder an dem dem ersten Verhandlungstag (7. Oktober 2005) vorausgehenden noch an dem nachfolgenden ordentlichen Sitzungstag mit einem Hauptverhandlungstermin belegt war. Im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Begrenzung der Vor- oder Nachverlegung (vgl. BGHSt 41, 175, 180) reichte dieser Vortrag aus; der Senat kann anhand der Revisionsbegründungen abschließend erkennen, dass jedenfalls die von der Hilfsstrafkammer tatsächlich zugezogenen Schöffen nicht hätten herangezogen werden dürfen.

2. Da die Rüge fehlerhafter Schöffenbesetzung gemäß § 338 Nr. 1 StPO durchgreift, kommt es auf die weitere Rüge einer fehlerhaften Besetzung im Hinblick auf die (nachträgliche) Zuweisung der Sache an die 15a-Hilfsstrafkammer durch die genannten Präsidiumsbeschlüsse nicht an. Zwar kann grundsätzlich auch eine nachträgliche Änderung eines Geschäftsverteilungsplans in Betracht kommen, welche ausschließlich bereits anhängige Verfahren betrifft; in einem solchen Fall bedürfte es aber einer umfassenden Dokumentation und Darlegung der Gründe (vgl. BVerfG, Beschl. vom 16. Mai 2005 - 2 BvR 581/03, StraFo 2005, 195).

Die hier mit den Revisionen gerügte Verfahrensweise begegnet daher jedenfalls Bedenken. Die scheinbar abstrakte Bestimmung der auf die Hilfsstrafkammer übertragenen Sachen durch Beschluss des Präsidiums vom 4. Mai 2005 hatte ersichtlich allein die Funktion, nach außen den Eindruck zu vermeiden, es sei nur ein bestimmtes bereits anhängiges Verfahren übertragen worden. Denn die abstrakte Beschreibung sollte offenkundig gerade dieses Verfahren erfassen; der vom Beschluss erfasste Eingangs-Zeitraum war überdies bereits abgeschlossen, so dass das Hinzukommen weiterer Verfahren ausgeschlossen war.

Dass der Beschluss irrtümlich das vorliegende Verfahren gar nicht erfasste, weil das Präsidium sich hinsichtlich des zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungskriteriums geirrt hatte, ändert hieran nichts. Der Beschluss vom 11. Juli 2005 enthielt entgegen seinem Wortlaut keine "Klarstellung", sondern eine weitere, andere Einzelfallsübertragung, welche nunmehr (allein) das vorliegende Verfahren erfasste. Den Begründungsanforderungen genügte auch dieser Beschluss nicht.

Auf die Frage der Willkürlichkeit der Übertragung kommt es hier nicht an, da das Urteil schon aus anderen Gründen aufzuheben ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 331

Externe Fundstellen: NStZ 2007, 537; StV 2008, 62

Bearbeiter: Ulf Buermeyer