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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 141

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 340/06, Urteil v. 18.10.2006, HRRS 2007 Nr. 141


BGH 2 StR 340/06 - Urteil vom 18. Oktober 2006 (LG Aachen)

Bedingter Tötungsvorsatz (Darlegung; Urteilsgründe; Beweiswürdigung; Hemmschwelle; gefährliche Gewalthandlung; Erkennen; Vertrauen; affektive Einzelhandlung); Rücktritt vom Versuch.

§ 15 StGB; § 212 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 24 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne zu Tode kommen, rechnet und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt. Deshalb ist grundsätzlich ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters -der äußeren Tatseite - auf den bedingten Tötungsvorsatz - also die innere Tatseite -möglich.

2. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist aber immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das selbständig neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes gegeben ist. Danach ist es im Einzelfall denkbar, dass der Täter zwar alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, dass er sich aber - etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung - gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten.

3. In der Regel wird das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann. Wird das Opfer in einer Weise verletzt, die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt, so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf.

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Mai 2006 wird auf ihre Kosten verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet sich die Revision der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Angeklagte hatte 1974 begonnen, als Aushilfe im Imbisswagen des späteren Tatopfers C. zu arbeiten. 1981 heiratete die Angeklagte den im Jahre 1928 geborenen C. Von Beginn der Beziehung an wurde sie von ihrem erheblich älteren Mann körperlich misshandelt und verbal gedemütigt. C. hielt zu Hause eine Holzstange bereit, die er "die Hausordnung" nannte und mit der er die Angeklagte jedes Mal schlug, wenn ihm etwas missfiel. 1994 trat er der Angeklagten mit Arbeitsschuhen ins Gesicht, so dass diese sämtliche oberen Vorderzähne verlor. Im Jahre 1997 oder 1998 erlitt der schwer herzkranke C. einen Schlaganfall, wodurch er in seinen körperlichen Fähigkeiten erheblich eingeschränkt war. Dennoch zerschnitt er der Angeklagten bei einem Messerangriff im Januar 2003 die Fingersehnen einer Hand. Im Oktober 2003 schlug er ihr eine Thermoskanne auf den Kopf.

Am 4. März 2005 gegen 21.00 Uhr rief C. aus dem Wohnzimmer lautstark nach seiner Frau. Als die Angeklagte zu ihm lief, beschimpfte er sie und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht und gegen die Arme, so dass sie zu Boden stürzte. Die Angeklagte ergriff aufgrund eines spontanen Tatentschlusses einen in der Nähe liegenden, in ein Tuch eingewickelten Handfäustel und schlug damit mindestens zweimal kraftvoll auf den Hinterkopf ihres Ehemannes ein, wobei ihr bewusst war, dass dieser dadurch sterben könnte, was sie billigend in Kauf nahm. Anschließend rief die Angeklagte ihren Sohn und zwei Frauen an, damit diese ihr helfen sollten. Gegenüber einer der Zeuginnen äußerte sie: "Ich glaube, ich habe den umgebracht". Sie begab sich in den Keller, wo sie später in einem apathisch und verwirrt wirkenden Zustand aufgefunden wurde. Das Landgericht geht von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von etwas über 2 Promille aus. Ihr Sohn, der als erster im Haus eintraf, alarmierte die Rettungskräfte. C. hatte zwei große Platzwunden am Hinterkopf mit Zertrümmerung der Schädeldecke erlitten. Die offene Schädelverletzung musste notoperativ mit Mikroplatten verschlossen werden. C. wurde durch die Verletzung harn- und stuhlinkontinent, nicht geh- oder stehfähig und bei der Körperhygiene und beim Essen auf Pflegeleistungen Dritter angewiesen, bis er am 10. März 2006 infolge eines akuten Herzversagens und nicht als Folge der Tat starb.

Das Landgericht hat bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten bejaht. Wer wie die Angeklagte mit einem Hammer gleich zweimal mit solcher Wucht auf den Hinterkopf eines anderen Menschen schlage, dass die Schädeldecke an der Schlagstelle zertrümmert werde, rechne damit, dass die dadurch hervor gerufenen Verletzungen tödlich seien und nehme dies zum Zeitpunkt des Schlages zumindest billigend in Kauf. Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Totschlags liege nicht vor. Die Angeklagte, die geglaubt habe, alles für den Eintritt des Todes erforderliche getan zu haben, habe nichts getan, um ihren Mann zu retten.

2. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Ausführungen des Landgerichts genügen hier angesichts der Besonderheiten der Tatumstände noch den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (Senat NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). Danach ist es im Einzelfall denkbar, dass der Täter zwar alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, dass er sich aber - etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung - gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird aber in der Regel das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt, die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und 51) liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR aaO 57; BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).

b) So liegt der Fall hier. Angesichts der durch beide Schläge jeweils bewirkten offenen Schädelfrakturen lag die Gefahr eines tödlichen Ausgangs auf der Hand. Bereits der erste Schlag hat zu einer großen Platzwunde und einer Zertrümmerung der Schädeldecke geführt. Auch wenn die Angeklagte affektiv erregt und mittelgradig alkoholisiert war, hat sie die unübersehbare Gefährlichkeit der Verletzung erkannt und dennoch mit gleicher Wucht nochmals zugeschlagen. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte trotz des Ausmaßes der von ihr dem Geschädigten zugefügten Verletzungen auf einen glücklichen Ausgang vertraute, sind demgegenüber zumal angesichts des Alters des Geschädigten und dessen schwerer Herzerkrankung nicht erkennbar.

3. Auch einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen hat die Angeklagte ihren Sohn, ihre Stiefmutter und die Zeugin B. gerade nicht angerufen, um die Rettung des Geschädigten zu veranlassen, sondern allein, damit diese ihr selbst helfen sollten.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 141

Externe Fundstellen: NStZ 2007, 150; NStZ-RR 2007, 45

Bearbeiter: Ulf Buermeyer