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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 253

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 600/05, Urteil v. 08.03.2006, HRRS 2006 Nr. 253


BGH 2 StR 600/05 - Urteil vom 8. März 2006 (LG Frankfurt)

Verfolgungsverjährung (Ruhen); Vergewaltigung (schutzlose Lage; Wahrnehmung durch das Opfer).

§ 78 StGB; § 78b StGB; 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Entscheidungstenor

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Juli 2005 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

Damit ist der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2005, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Vorwurf der tateinheitlich begangenen Vergewaltigung entfällt.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in vier Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 66 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit dem Besitz pornografischer Schriften, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat nur in geringem Umfang Erfolg.

1. In keinem der ausgeurteilten Fälle ist Verjährung eingetreten. In den Fällen 13 bis 73 der Anklage beurteilt sich die Strafbarkeit nach § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung des 4. StrRG, welcher einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsah. Die Verjährungsfrist betrug gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre. Die Verjährung der zeitlich ersten, im September 1985 begangenen Tat wäre mithin Ende August 1995 eingetreten. Bereits am 30. Juni 1994 trat jedoch § 78b StGB in Kraft, wonach die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs des Opfers ruht. Diese Regelung gilt auch für Taten, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht verjährt waren. Zwar hat das Landgericht nicht in allen Fällen das genaue Geburtsdatum der Opfer festgestellt; den Urteilsgründen ist jedoch zu entnehmen, dass alle Tatopfer zwischen einem Jahr und höchstens fünf Jahren alt waren, so dass die Verjährung in den einzelnen Fällen wenigstens 13 Jahre ruhte. Daran schloss sich dann die zehnjährige Verjährungsfrist des § 176 Abs. 1 StGB aF an (vgl. BGHR StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 5), die in keinem der Fälle bei der Unterbrechung durch den Durchsuchungsbeschluss vom 2. November 2004 abgelaufen war.

2. Die Schuldsprüche wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a. in den Fällen 1, 7 bis 10 und 12 bis 73 der Anklage weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auch die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in den Fällen 2 bis 4 und 6 der Anklage ist nicht zu beanstanden. Allerdings hält die tateinheitliche Verurteilung wegen Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB nach der vom Senat im Urteil vom 25. Januar 2006 (2 StR 345/05 - zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) nunmehr vertretenen Rechtsauffassung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht, welches bei seinem Urteil der mittlerweile aufgegebenen Senatsentscheidung in NStZ 2004, 440 gefolgt ist, keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob das Tatopfer seine schutzlose Lage bemerkt und nur im Hinblick darauf auf Gegenwehr verzichtet hat. Der Senat schließt angesichts des Alters des betroffenen Kindes zur Tatzeit aus, dass ein neuer Tatrichter insoweit ausreichende Feststellungen treffen könnte, und hat deshalb den Schuldspruch geändert.

3. Der Strafausspruch und die Anordnung der Maßregel können bestehen bleiben. Das Landgericht hat in den Fällen 2 bis 4 und 6 der Anklage den Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu Grunde gelegt. Aus diesem Strafrahmen hat es sehr milde Einzelstrafen aus dem unteren Bereich verhängt (drei Jahre, zweimal zwei Jahre und sechs Monate und einmal zwei Jahre und neun Monate). Zwar hat das Landgericht die Verwirklichung von zwei Tatbeständen ausdrücklich strafschärfend gewertet. Dennoch schließt der Senat aus, dass es bei zutreffender rechtlicher Würdigung der Tat angesichts der erschwerenden Tatumstände noch mildere Strafen verhängt hätte, zumal es den Umstand, dass der Angeklagte in diesen Fällen die objektiv schutzlose Lage des Kindes ausnutzte und sich in den Fällen 2 bis 4 der Anklage über dessen entgegenstehenden Willen hinweggesetzt hat, zu Lasten des Angeklagten hätte berücksichtigen können.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 253

Bearbeiter: Ulf Buermeyer