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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 736

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 170/04, Beschluss v. 09.07.2004, HRRS 2004 Nr. 736


BGH 2 StR 170/04 - Beschluss vom 9. Juli 2004 (LG Mühlhausen)

Konkurrenzen beim schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung; nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe.

§ 250 StGB; § 224 StGB; § 55 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Gelangt der Tatrichter bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB), bei der er auch eine früher gebildete Gesamtstrafe aufzulösen hat, zu einer Verschärfung der aufgelösten Gesamtstrafe, die in der Zahl und Höhe der neu hinzutretenden Einzelstrafen sowie den sonstigen für die Bildung der Gesamtstrafe bestimmenden Faktoren keine ausreichende Erklärung findet, so hat er die Änderung des Bewertungsmaßstabes gegenüber der früheren Gesamtstrafenbildung anzusprechen und hierfür nachvollziehbare Gründe zu nennen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 3. Dezember 2003

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung entfällt,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Computerbetrugs unter Einbeziehung der Strafen aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Mühlhausen vom 20. Juli 2001 (Geldstrafe von 100 Tagessätzen) und der Strafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Mühlhausen vom 25. September 2001 (Gesamtfreiheitsstrafe ein Jahr und zwei Monate - Einzelfreiheitsstrafen von zweimal sechs Monaten sowie vier Monaten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zwei Monaten verurteilt.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete, auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch bedarf einer Änderung. Insoweit schließt sich der Senat der Stellungnahme des Generalbundesanwalts an, der zutreffend ausgeführt hat:

"Nicht bestehen bleiben kann hingegen der Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, weil dieses Delikt auf der Konkurrenzebene von § 250 Abs. 2 Ziff. 3 StGB verdrängt wird. Das Merkmal der körperlich schweren Mißhandlung in § 250 Abs. 2 Nr. 3 a StGB, welches auch in den Qualifikationen der §§ 176 a Abs. 1 Nr. 4 und 177 Abs. 4 Nr. 2 StGB enthalten ist, ist in Anlehnung an das frühere Regelbeispiel des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB a.F. auszulegen (BGH NJW 2000, 3655). Der Unrechtsgehalt des Körperverletzungsdelikts wird von dieser Tatbestandsalternative vollständig abgedeckt (Tröndle/Fischer, § 177 Rn. 61; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 177 Rn. 29; SK-Horn/ Wolters § 177 Rn. 22). Ebenso geht das potentielle Gefährdungsdelikt des § 244 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Tröndle/Fischer § 224 Rn. 12 m.w.N.) vollständig in der als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Norm des § 250 Abs. 2 Nr. 3 b StGB auf."

2. Die Änderung des Schuldspruchs führt nicht zu einer Änderung der verhängten Einzelstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Der Senat kann ausschließen, daß das Landgericht eine noch mildere als die angesichts der Tat sehr maßvolle Strafe verhängt hätte.

3. Keinen Bestand haben kann aber der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Auch insoweit schließt sich der Senat der Stellungnahme des Generalbundesanwalts an, der zutreffend ausgeführt hat:

"Gegenstand der Gesamtstrafenbildung waren neben der wegen schweren Raubes verhängten Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten lediglich die ausgesprochene weitere Einzelstrafe von sechs Monaten wegen Computerbetrugs sowie drei vormals vom Amtsgericht Mühlhausen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zurückgeführte Vorbelastungen.

Die erfolgte Erhöhung der Einsatzstrafe um ein Jahr und acht Monate entspricht in der Summe der früheren vom Amtsgericht Mühlhausen festgesetzten Gesamtstrafe zuzüglich der weiteren Einzelstrafe. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Denn danach hat die Kammer entweder unter Übernahme der aufgelösten Gesamtstrafe die Einzelstrafe von sechs Monaten wegen Computerbetruges in voller Höhe bei der Festsetzung der Gesamtstrafe berücksichtigt. Dies hätte allerdings näherer Begründung bedurft, zumal diesem im engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Raubtat begangenem Vergehen der Charakter einer Nachtat zukam. Oder aber die Kammer hat nunmehr die frühere Gesamtstrafe erhöht. Gelangt der Tatrichter aber bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu einer Verschärfung der aufgelösten Gesamtstrafe, die in der Zahl und Höhe der neu hinzutretenden Einzelstrafen sowie den sonstigen für die Bildung der Gesamtstrafe bestimmenden Faktoren keine ausreichende Erklärung findet, so hat er die Änderung des Bewertungsmaßstabes anzusprechen und hierfür nachvollziehbare Gründe zu nennen (BGHR StGB § 55 I Einbeziehung 8, obiter dictum). Solche sind jedoch auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen, weil die einbezogenen Taten vor dem abgeurteilten Geschehen lagen oder ein gänzlich anders gelagertes Delikt (umweltgefährdende Abfallbeseitigung) betrafen. Vielmehr spricht die ausdrückliche Erwägung, vorliegend sei wegen des langen Zeitablaufs ein straffer Zusammenzug geboten (UA S. 23), gerade dagegen, daß die Kammer über das vormalige Strafmaß des Amtsgerichts Mühlhausen hinausgehen wollte.

Die dem Gesamtstrafenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen können zumindest deshalb nicht aufrechterhalten bleiben, weil aufgrund der bereits seit dem Sommer 2002 gegen den Angeklagten vollzogenen Vollstreckung der einbezogenen Strafen (vgl. Bd. II, Bl. 695, 702, 720, 725 d.A.) deren zwischenzeitliche Erledigung (und gegebenenfalls die Gewährung von Härteausgleich) neuerlich zu prüfen sein wird."

Zur Frage einer neuerlichen Gesamtstrafenbildung weist der Senat aber auch auf folgendes hin: Grundsätzlich hat nach Aufhebung einer Gesamtstrafe in der erneuten Verhandlung die Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung zu erfolgen. Dies gilt nicht nur, wenn die Urteilsaufhebung gerade wegen fehlerhaft unterbliebener nachträglicher Gesamtstrafenbildung erfolgt ist. Vielmehr ist so regelmäßig auch in anderen Fällen der Gesamtstrafenaufhebung zu verfahren, damit einem Revisionsführer ein erlangter Rechtsvorteil durch nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht durch sein Rechtsmittel genommen wird (BGH NStZ 2001, 645).

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 736

Bearbeiter: Ulf Buermeyer