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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 BJs 11/03, Beschluss v. 21.10.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 BJs 11/03 - 5 AK 17/03 - Beschluss vom 21. Oktober 2003

Haftprüfung (Fortdauer / weiterer Vollzug der Untersuchungshaft; Beleg des Tatverdachts durch eine anonyme Aussage; Verhältnismäßigkeit); Recht auf Freiheit der Person (anonyme Vertrauensperson); Versuch der Gründung einer terroristischen Vereinigung (unmittelbares Ansetzen).

Art. 5 EMRK; § 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 121 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Versucht ist eine Tat nicht nur dann, wenn der Täter bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Vielmehr kann auch eine frühere, dem vorgelagerte Handlung bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmündet oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht. Für den Tatbestand der Gründung einer terroristischen Vereinigung kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass der Täter jedenfalls dann das Vorbereitungsstadium verlassen und zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat, wenn er eine Person mit dem konkreten Ansinnen, diese als Mitglied der zu gründenden terroristischen Vereinigung zu rekrutieren, angesprochen hat.

2. Zum Beleg des dringenden Tatverdachts des Versuchs der Gründung einer terroristischen Vereinigung durch eine anonyme Zeugenaussage.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 20. März 2003 festgenommen und befindet sich seit dem 21. März 2003 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Deren Grundlage war zunächst der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von diesem Tage. Darin wurde ihm vorgeworfen, eine Pistole und zwei gefüllte Magazine besessen sowie sich bei einer Personenkontrolle mit einem gefälschten portugiesischen Reisepaß ausgewiesen zu haben. Mit Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2003 wurde dieser Haftbefehl aufgehoben und durch einen neuen, am selben Tag erlassenen Haftbefehl ersetzt, in dem dem Beschuldigten zusätzlich vorgeworfen wird, versucht zu haben, eine terroristische Vereinigung zu gründen (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 22, § 23 Abs. 1 StGB). Er sei im Januar 2003 im Auftrag eines internationalen terroristischen Netzwerkes nach Deutschland zu rückgekehrt, um hier gegen amerikanische und/oder jüdische Ziele Sprengstoffanschläge vorzubereiten sowie - unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen - auszuführen. Hierzu habe er Gleichgesinnte gewinnen und diese zu einer nach außen abgeschotteten, selbständigen Zelle zusammenschließen sollen. Nachdem der Beschuldigte bereits in Südafrika Hilfsmittel zur Durchführung der geplanten Sprengstoffanschläge beschafft habe, sei er mit gefälschten Ausweispapieren über Brüssel in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt und am 19. Januar 2003 in Berlin eingetroffen. Dort habe er in Ausführung seines Auftrages verschiedene konkrete Aktivitäten zur Anwerbung und Ausbildung von Gleichgesinnten sowie zur Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages entwickelt.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl angelasteten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

a) Für den Versuch der Gründung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 22, § 23 Abs. 1 StGB) ergibt sich dies insbesondere aus den Angaben einer anonymen Vertrauensperson, die durch andere Beweismittel und gewichtige Indizien gestützt werden.

aa) Danach besteht der dringende Verdacht, daß der Beschuldigte bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Januar 2003 entschlossen war, den zuvor von bislang unbekannten Führern eines internationalen terroristischen Netzwerks erhaltenen Auftrag auszuführen, in Berlin eine terroristische Vereinigung zu gründen. Für diesen Tatentschluß sprechen - neben den Angaben der anonymen Vertrauensperson - die vom Beschuldigten schon vor seiner Rückkehr im Ausland getroffenen Vorbereitungen, wie der Ankauf von Ausrüstungsgegenständen, die Umstände seiner Einreise über Brüssel mit gefälschten Ausweispapieren sowie die Aussagen der Zeugen H. und M., die von früheren Aktivitäten des Beschuldigten für ein terroristisches Netzwerk berichtet haben. Die Einlassungen des Beschuldigten anläßlich seiner Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zu den Hintergründen seiner Aufenthalte in Pakistan, Südafrika und Saudi-Arabien sowie seiner Rückkehr nach Berlin überzeugen hingegen nicht. Die Ergebnisse der Auswertung sichergestellter Asservate und der Ankauf von Hilfsmitteln für die Zündung von Sprengstoff begründen im übrigen den dringenden Verdacht, daß der Zweck der zu gründenden Vereinigung nach der Vorstellung des Beschuldigten auf terroristische Sprengstoffanschläge gerichtet war.

bb) Der Beschuldigte ist ferner dringend verdächtig, nach seiner Vorstellung von der Tat zur Gründung der terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB unmittelbar angesetzt zu haben (§ 22 StGB). Versucht ist eine Tat nicht nur dann, wenn der Täter bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Vielmehr kann auch eine frühere, dem vorgelagerte Handlung bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmündet oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht. Für den Tatbestand der Gründung einer terroristischen Vereinigung kann im Regelfall davon ausgegangen werden, daß der Täter jedenfalls dann das Vorbereitungsstadium verlassen und zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat, wenn er eine Person mit dem konkreten Ansinnen, diese als Mitglied der zu gründenden terroristischen Vereinigung zu rekrutieren, angesprochen hat. Dies ist hier durch die Aussage der anonymen Vertrauensperson, der Beschuldigte habe Anfang Februar 2003 die Mitbeschuldigten J. und D. sowie den C. angesprochen und für sein Vorhaben weitgehend gewonnen, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt.

b) Wegen des dringenden Tatverdachts hinsichtlich der beiden anderen dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a a) WaffG aF, § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB) nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2003 Bezug.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Bei der gegebenen Sachlage und angesichts der bestehenden Straferwartung kann der Zweck der Untersuchungshaft nur durch deren Vollzug und nicht auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden (§ 116 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Auch insofern wird auf die zutreffenden Gründe des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2003 verwiesen.

3. Der besondere Umfang der Ermittlungen hat ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO). Nach der Festnahme am 20. März 2003 wurden zeitraubende weitere Ermittlungen gegen den zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden Beschuldigten geführt, die wegen ihrer Schwierigkeit bisher nicht abgeschlossen werden konnten. Anhaltspunkte dafür, daß die bisherigen Ermittlungen nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden wären, sind nicht ersichtlich.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und zu der im Falle einer Verurteilung des Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2004, 40

Bearbeiter: Karsten Gaede