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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 94/03, Beschluss v. 17.06.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 94/03 - Beschluss vom 17. Juni 2003 (LG Wiesbaden)

Verfahrensvoraussetzung der Anklage (Tateinheit; prozessuale Tat; Bewertungseinheit; Zusammentreffen in einem Handlungsteil).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 29 BtMG; § 264 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 28. November 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 49 Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Personen unter 18 Jahren unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14. September 2000 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 14. Februar 2002 eine hinreichende Verfahrensgrundlage für die Verurteilung wegen aller 49 Taten bildet. Jedenfalls tragen die Feststellungen nicht den Schuldspruch auch wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Personen unter 18 Jahren in 49 Fällen. Zudem hat das Landgericht - worauf es in den Urteilsgründen selbst hinweist - bei der Gesamtstrafenbildung die Zäsurwirkung des Strafbefehls vom 14. September 2000 nicht berücksichtigt.

1. Das Landgericht hat im wesentlichen festgestellt:

Der Angeklagte verkaufte Marihuana für einen "P". Von diesem erhielt er von Januar bis April 2000 monatlich eine Lieferung (Fälle 1-4) und von Mai 2000 bis Juli 2001 monatlich drei Lieferungen (Fälle 5-49). Jede Lieferung bestand aus 75 g Marihuana mit 5,1 g THC, portioniert in 150 Tütchen zu je 0,5 g Marihuana. Der Angeklagte verkaufte die Tütchen für 20 DM und sollte für jede Lieferung 3.000 DM erlösen. Nach dem Verkauf einer jeden Lieferung übergab der Angeklagte dem "P" jeweils den Erlös abzüglich der vereinbarten Provision von 800 DM, in einem Fall auch 1.000 DM. Bei demselben Treffen erhielt der Angeklagte auch die nächste Lieferung. Am 25. Juli 2001 verwahrte er in seiner Wohnung noch 97 Tütchen mit 75,26 g Marihuana und einem Wirkstoffgehalt von 5,1 g THC.

Der Angeklagte verkaufte das Marihuana in seiner Wohnung nahe einer Hauptschule nicht nur an Erwachsene, sondern aus allen Lieferungen auch an Schüler im Alter unter 18 Jahren. Folgende neun Verkäufe an Minderjährige hat das Landgericht konkret festgestellt: Zwei Verkäufe an den zwölfjährigen Zeugen N. im Februar 2000; fünf Verkäufe an den fünfzehn- bis sechzehnjährigen Zeugen D. in dem Zeitraum von Sommer 2000 bis Winter 2000/2001; den in der Anklage genannten Verkauf am 30. März 2001 an den fünfzehnjährigen Zeugen S.; einen Verkauf an den siebzehnjährigen Zeugen Si. vor dem 18. Juni 2001.

2. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob alle vom Landgericht abgeurteilten 49 Fälle angeklagt sind oder ob es teilweise an dieser Verfahrensvoraussetzung fehlt.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten in ihrer unverändert zugelassenen Anklage zur Last, er habe in 18 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben, davon in einem Fall (Verkauf an den Zeugen S. am 30. März 2001) tateinheitlich mit gewerbsmäßiger Abgabe an eine Person unter 18 Jahren. Gleichwohl hat das Landgericht den Angeklagten aufgrund seines weitergehenden Geständnisses wegen 49 Taten verurteilt, weil der Angeklagte ab Mai 2000 monatlich nicht nur eine, sondern drei Lieferungen verkauft hat. Für diesen Schuldspruch bildet die bisherige Anklage nur dann eine hinreichende Verfahrensgrundlage, wenn die darin bezeichneten 18 Taten oder zumindest eine von ihnen mit den 31 weiteren Taten verfahrensrechtlich eine Tat im Sinne von § 264 StPO bilden.

Der Verkauf einer jeden Lieferung von 150 Tütchen an verschiedene Käufer bildet zwar eine Bewertungseinheit. Das gilt auch, soweit es um die Abgabe an Minderjährige aus derselben Erwerbsmenge geht. Handeltreiben und Abgabe an Minderjährige stehen dann in Tateinheit (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Mai 2003 - 3 StR 123/03 - m.w.N.). Der Senat hat auch bereits wiederholt entschieden, daß zwei Rauschgiftgeschäfte dann in Tateinheit stehen, wenn sie in einem Handlungsteil - etwa der gemeinsamen Zahlung des (Rest)Kaufpreises in einem Betrag - zusammentreffen (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 5; § 29 Strafzumessung 29; BGH, Beschl. vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 294/02 jew. m.w.N.).

Das ist aber nicht ohne weiteres der Fall und bedarf einer näheren Begründung.

Da das Landgericht diese Problematik und ihre Auswirkungen für die Verfahrensvoraussetzung einer hinreichenden Anklage bisher jedoch nicht erkennbar bedacht hat, kann der Senat nicht völlig ausschließen, daß in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die die Annahme von Tateinheit rechtfertigen können. Der Senat kann deshalb nicht abschließend beurteilen, ob die bisherige Anklage eine hinreichende Verfahrensgrundlage bildet, so daß eine teilweise Einstellung wegen der 31 in der Anklage nicht genannten Fälle nicht gerechtfertigt ist. Die Staatsanwaltschaft wird gegebenenfalls eine weitere Anklage zu erwägen haben.

3. Der neue Tatrichter muß insgesamt neu prüfen, in welchem Umfang sich die Abgabe an Minderjährige konkret feststellen läßt und welchen Lieferungen sie jeweils zuzuordnen ist. Hierzu wird er unter Beachtung des Zweifelssatzes mit Tatsachen belegte Feststellungen treffen müssen (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 5 m.w.N.).

Externe Fundstellen: NStZ 2004, 105

Bearbeiter: Ulf Buermeyer