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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 BJs 9/02, Beschluss v. 06.08.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 BJs 9/02 - 3 - Beschluss vom 6. August 2002

Fortdauer der Untersuchungshaft; Haftprüfung; Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung; terroristische Vereinigung; organisatorischer Zusammenschluss; Gruppenwille; Anfangsverdacht; dringender Tatverdacht.

§ 129a StGB; 112 StPO Abs. 1 und 3 StPO; § 152 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) liegt nicht schon dann vor, wenn für die Täterschaft des bestreitenden Beschuldigten eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Vielmehr müssen Beweise vorhanden sein, durch die der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit überführt werden kann (Bestätigung von BGH NJW 1992, 1975, 1976).

2. Eine Gruppierung kann nur dann als Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB angesehen werden, wenn es sich um einen auf gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenschluss von mindestens drei Personen handelt, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit terroristische Anschläge planen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen.

3. Als Mitglied einer terroristischen Vereinigung kommt nur derjenige in Betracht, der sich in deren organisierte Willensbildung einordnet und in subjektiver Hinsicht zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Zweck oder die Tätigkeit der Gruppierung auf die Begehung von Katalogtaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB gerichtet sind.

Entscheidungstenor:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. April 2002 aufgehoben.

Die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Der Beschuldigte befindet sich seit dem 24. April 2002 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters es Bundesgerichtshofs vom selben Tag wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 i. V. m. §§ 211, 212, 306 - 306 c, 308 Abs. 1 - 4 StGB). in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, mindestens seit Sommer 2001 einer Gruppierung angehört zu haben, die sich um den in E. wohnhaften Mitbeschuldigten D. (alias H. alias A.) gebildet habe. Diese rechne sich der jordanisch-palästinensischen Organisation Al Tawhid zu und sei Teil eines internationalen konspirativen Netzes, das unter anderem die logistische und finanzielle Unterstützung dieser Organisation sicherstelle, die ihrerseits auf der Grundlage eines aggressiv-militanten Islamismus den "heiligen Krieg" aller Glaubensbrüder weltweit fördere, insbesondere mit Zielrichtung gegen das jordanische Königshaus und gegen Israel. Die Gruppierung um D. habe sich zunächst mit Paßfälschungen, Spendensammlungen und der Schleusung von Kämpfern befaßt. Vor dem Hintergrund der militärischen Aktionen der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und der Zuspitzung der Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten habe sie sich dann auch mit der Planung von Anschlägen auf israelische bzw. jüdische Einrichtungen in Deutschland beschäftigt.

Auf die Beschwerde des Beschuldigten ist der gegen ihn erlassene Haftbefehl aufzuheben. Zwar besteht gegen ihn aufgrund der bisherigen Ermittlungen der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO), er habe sich mitgliedschaftlich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt. Jedoch mangelt es an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, die den für die Anordnung der Untersuchungshaft erforderlichen dringenden Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) begründen könnten. Ein solcher liegt nicht schon dann vor, wenn für die Täterschaft des bestreitenden Beschuldigten eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Vielmehr müssen Beweise vorhanden sein, durch die der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit überführt werden kann (BGH NJW 1992, 1975, 1976). Solche Beweise sind hier nicht vorhanden.

Dabei kann dahinstehen, ob die Gruppierung um den Mitbeschuldigten D. nach den bisherigen Erkenntnissen als Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB angesehen werden kann, es sich also um einen auf gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenschluß von mindestens drei Personen handelte, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit terroristische Anschläge auf israelische oder jüdische Einrichtungen planten und unter sich derart in Beziehung standen, daß sie sich - sei es auch nur als nachgeordnete Teilorganisation der international operierenden AI Tawhid - als einheitlicher Verband fühlten (vgl. BGHSt 31, 202, 204 f.; 45, 26, 35; BGH NStZ 1999, 503, 504). Denn selbst wenn dies der Fall ist, fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, daß der Beschuldigte an dieser Organisation mitgliedschaftlich beteiligt war. Als Mitglied einer (kriminellen oder) terroristischen Vereinigung kommt nur derjenige in Betracht, der sich in deren organisierte Willensbildung einordnet. Außerdem muß er in subjektiver Hinsicht zumindest damit rechnen und billigend in Kauf nehmen, daß der Zweck oder die Tätigkeit der Gruppierung auf die Begehung von Katalogtaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB gerichtet sind (vgl. BGHSt 29, 99, 101 f.). Beides kann für den Beschuldigten nach bisherigem Ermittlungsstand nicht mit der für die Anordnung von Untersuchungshaft erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Den Aussagen des Mitbeschuldigten A., der Auswertung überwachter Telefonate und den sonstigen Ermittlungen kann im Sinne eines dringenden Verdachts lediglich folgendes entnommen werden:

Der Beschuldigte unterhielt Verbindungen zu militanten islamistisch-fundamentalistischen Kreisen bzw. Organisationen, namentlich auch zu führenden Personen der Al Qaida des Osama Bin Laden und der AI Tawhid. Er hatte sich im August/September 2000 selbst in Ausbildungslagern dieser Organisationen in Afghanistan aufgehalten und war spätestens seit diesem Aufenthalt mit führenden Funktionären der Al Qaida (S.; T.; O.) und der AI Tawhid (M.) bekannt. Er stand nach seiner Rückkehr nach Mü. mit dem Mitbeschuldigten D. in Verbindung, der - dem M. untergeordnet - eine Gruppe von Al Tawhid-Anhängern in der Bundesrepublik führte. Über D. stand der Beschuldigte weiterhin in Kontakt zu' M. in Afghanistan bzw. später im Iran; er führte aber auch persönlich Telefonate mit M. Daneben unterhielt der Beschuldigte in Mü. bis zu einem Streit im Sommer des Jahres 2001 eine engere Bekanntschaft zu dem der Al Tawhid zuzurechnenden Mitbeschuldigten U., der zeitweise die Wohnung des Beschuldigten mitbenutzte. Auch hatte der Beschuldigte Verbindungen zu dem in N. wohnhaften Mitbeschuldigten Me. (alias u. a. Abd.), der der radikal-islamistischen ägyptischen Gruppierung Al Jihad Al Masria zugehört.

Von dem Beschuldigten wurden konspirative Telefongespräche geführt, in denen unter Verwendung von Deckbezeichnungen von gefälschten Pässen und Schleusungen die Rede war. Der Beschuldigte war (ebenso wie U.) im Raum Mü. an der Sammlung von Spendengeldern beteiligt, die vorrangig für die Al Qaida, zumindest in einem Einzelfall aber anteilig auch für die Al Tawhid bzw. die Taliban bestimmt waren. Diese Gelder transferierte der Beschuldigte zunächst direkt an M. Später wurden sie über D. und von diesem eingeschaltete weitere Mittelspersonen an M. weitergeleitet.

Auch wenn diese Umstände die Annahme nahe legen, daß der Beschuldigte in irgendeiner Weise in strafbare, jedenfalls aber verbotene Aktivitäten verwickelt war, vermögen sie den dringenden Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung um den Mitbeschuldigten D. nicht zu begründen. Denn eine Einbindung des Beschuldigten in die organisierte Willensbildung dieser Gruppe, sei es auch nur in der Form der absprachegemäßen Unterordnung unter die Anweisungen des M., ist nicht belegt. Allein der Kontakt des Beschuldigten zu Abu M., D. und - früher - zu U. sowie der Umstand, daß der Beschuldigte zumindest in einem Fall die von ihm gesammelten Gelder anteilig auch der Al Tawhid zukommen lassen wollte, sind hierfür ohne Aussagekraft. Vielmehr stand der Beschuldigte ersichtlich in Verbindung zu mehreren militanten islamistisch-fundamentalistischen Organisationen, für die aber nach bisherigem Ermittlungsstand keine Erkenntnisse vorliegen, die ihre Einordnung als inländische terroristische Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB erlauben. Die Angaben des Mitbeschuldigten Ab. deuten darauf hin, daß der Beschuldigte insbesondere der Al Qaida näher stand als der Al Tawhid und er vorrangig an der finanziellen Unterstützung der AI Qaida interessiert war. Entsprechend hat Ab. in den von ihm gefertigten Organigrammen den Beschuldigten der AI Qaida zugeordnet.

Die Ermittlungen haben darüber hinaus auch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß der Beschuldigte Kenntnis von dem Auftrag des M. an die Mitbeschuldigten D., Da., Ab. und Sh. erlangte, in der Bundesrepublik einen oder mehrere Anschläge auf israelische bzw. jüdische Einrichtungen zu begehen. Der zu diesem Auftrag umfassend geständige Mitbeschuldigte Ab. hat von einer Unterrichtung des Beschuldigten über diese Pläne nichts berichtet. Auch die Telefonüberwachungsmaßnahmen und sonstigen Ermittlungen haben keine Belege für ein entsprechendes Wissen oder auch nur eine Vermutung des Beschuldigten erbracht. Damit fehlt es - zumindest mangels Beweisen zur subjektiven Tatseite - nicht nur an einem hinreichenden Tatverdacht für eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an einer (inländischen terroristischen) Vereinigung um D. Vielmehr ist auch ein Unterstützen dieser Gruppierung im Sinne des § 129 a Abs. 3 StGB nicht belegt. Es kann daher dahinstehen, ob die Ermittlungen in objektiver Hinsicht überhaupt eine Unterstützungshandlung des Beschuldigten erkennen lassen. Das Unterstützen ausländischer terroristischer Vereinigungen (Sammlung und Übermittlung von Spendengeldern an M. zur Weiterleitung an die Al Qaida bzw. in mindestens einem Fall an die Al Tawhid bzw. die Taliban) ist nach geltendem Recht nicht strafbar.

Bearbeiter: Ulf Buermeyer