Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 59/02, Beschluss v. 26.03.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 29. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der (Gesamt-)Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Vom Vorwurf des Diebstahls hat es den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und für die Erteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperre von zwei Jahren festgesetzt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung dieses Urteils.
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des geständigen Angeklagten bei den festgestellten drei rechtswidrigen Taten hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat folgende Taten festgestellt:
1. Am 31. August 2000 wollte der Angeklagte an einem Geldautomaten 30 DM abheben. Als dies nicht funktionierte, fragte er am Schalter der Sparkasse und wurde an die Hauptstelle verwiesen. Hierüber war der Angeklagte sehr erbost. Er hatte kein Geld, um zur Hauptstelle zu fahren, und war hungrig. In einem Zustand hochgradiger Erregung entschloß er sich, 30 DM aus der Kasse eines benachbarten Getränkemarkts zu entnehmen und den Betrag später zurückzugeben. Als er das Geld aus der Kasse genommen hatte, erklärte er der hinzukommenden Verkäuferin, er wolle die 30 DM leihen. Um ihn am fliehen zu hindern, hielt ihn die Verkäuferin fest. Der Angeklagte stieß sie in der Absicht, das Geld zu behalten, zurück, so daß sie verletzt wurde. Ein Jahr später gab der Angeklagte das Geld zurück.
2. Am 20. September 2000 war der Angeklagte zu einem Arztbesuch im psychiatrischen Fachkrankenhaus. Abschließend fragte er den Arzt, ob die Sparkasse geöffnet sei, da er Geld für die Heimfahrt benötige. Der Arzt bejahte dies. Die Sparkasse war jedoch geschlossen. Der Angeklagte fühlte sich deshalb von dem Arzt betrogen und war sehr zornig. Als er einen VW-Passat stehen sah, fühlte er sich berechtigt, mit diesem wegzufahren. In der Folgezeit betrachtete er das Fahrzeug als sein Auto.
3. Am 6. Dezember 2000 fuhr der Angeklagte mit dem entwendeten Fahrzeug auf öffentlichen Straßen.
Zur psychischen Befindlichkeit des Angeklagten teilt das sachverständig beratene Landgericht mit, bei dem Angeklagten bestehe eine organische Persönlichkeitsveränderung, die auf Hirnverletzungen zurückgehe, die er 1992 bei einem Verkehrsunfall erlitten habe. Die gröbsten Auffälligkeiten fänden sich im Bereich der Impulssteuerung und Affektivität. Der Angeklagte fühle sich oft aus nichtigem Anlaß provoziert. Zudem hafte er an bestimmten Einstellungen, die von außen nicht korrigierbar seien. Er meine, ohne Fahrerlaubnis sei das Leben nicht lebenswert. Er sei sehr stark auf das Autofahren fixiert. Gegenüber dem Sachverständigen habe er geäußert, wenn er nicht Auto fahren dürfe, sei der Staat selbst daran schuld, daß er sich eines Tages ein Auto nehme und Leute töte. Die bereits vor dem Unfall bestehende Dissozialität werde durch die hirnorganische Veränderung akzentuiert.
Im Fall 1 (räuberischer Diebstahl) sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch die als krankhafte seelische Störung einzuordnende Persönlichkeitsveränderung im Zusammenhang mit der (hochgradigen) Erregung des Angeklagten erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB).
Im Fall 2 (Diebstahl) sei der Angeklagte schuldunfähig gewesen (§ 20 StGB), weil nicht auszuschließen sei, daß er zur Tatzeit nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen. Bedingt durch die Persönlichkeitsveränderung in Verbindung mit der hochgradigen Erregung wegen der falschen Auskunft des Arztes habe der Angeklagte sich für berechtigt gehalten, das Fahrzeug zu entwenden.
Im Fall 3 (Fahren ohne Fahrerlaubnis) habe keine Ausnahmesituation bestanden. Weder die Einsichts- noch die Steuerungsfähigkeit sei erheblich vermindert gewesen.
Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß das Landgericht schon nicht hinreichend darlegt, welcher Art die Hirnverletzungen sind, die der Angeklagte 1992 erlitten hat, und in welcher Beziehung sie zu der beim Angeklagten diagnostizierten "organischen Persönlichkeitsveränderung" stehen.
Dem Urteil ist weder ein hinreichend konkreter Befund, noch eine klare medizinische Diagnose zu entnehmen. Dies gilt auch für die bereits vor dem Unfall bestehende Dissozialität. Eine Bewertung der organischen Persönlichkeitsveränderung als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB ist daher nicht nachzuvollziehen. Das gilt auch für die unterschiedliche Beurteilung der Schuldfähigkeit bei den drei rechtswidrigen Taten von voller Schuldfähigkeit über erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bis zur fehlenden Unrechtseinsicht. Das Urteil geht davon aus, daß die Persönlichkeitsveränderung für sich allein nicht zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit oder gar deren Ausschluß führt, sondern nur dann, wenn zur Tatzeit - wie in den Fällen 1 und 2 - eine hochgradige Erregung hinzukommt. Danach bleibt aber offen, warum in den Fällen 1 und 2 jeweils eine hochgradige Erregung angenommen, gleichwohl die Schuldfähigkeit aber unterschiedlich beurteilt wird. Dies läßt besorgen, daß sich der in diesen Unklarheiten liegende Rechtsfehler auch auf den Fall 3 ausgewirkt hat, in dem das Landgericht den Angeklagten für voll schuldfähig erachtet hat. Da nach den bisherigen unklaren Feststellungen zur psychischen Befindlichkeit des Angeklagten auch im Fall 3 die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht von vornherein völlig auszuschließen sind, kann der Schuldspruch insgesamt nicht bestehen bleiben.
Auch die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das angefochtene Urteil läßt die von § 63 StGB geforderte Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten vermissen. Die vom Landgericht getroffene Prognoseentscheidung ist lückenhaft. Das Landgericht stützt sie unter anderem auf die Vorstrafen. Aus dem Urteil ergibt sich aber nicht, daß die den früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Taten bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen wurden. Außerdem werden insoweit keinerlei Sachverhalte mitgeteilt, so daß nicht nachvollziehbar ist, welches Gewicht diesen Taten zukommt und ob sie im Sinne des § 63 StGB erheblich sind. Zu den beiden Taten, derentwegen die Staatsanwaltschaft Meiningen ein Ermittlungsverfahren wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt hat, läßt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, ob insoweit die Voraussetzungen des § 20 StGB zu Recht angenommen wurden. Schließlich ist bei den im vorliegenden Verfahren neu zu beurteilenden Taten zu berücksichtigen, daß lediglich die Taten 2 und 3 im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr stehen und nur die Tat 2 als Anlaßtat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurde, während der Angeklagte bei Begehung der Tat 3 in seiner Schuldfähigkeit nicht beeinträchtigt war. Insgesamt hat das Landgericht daher nicht hinreichend dargelegt, daß von dem Angeklagten infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Bearbeiter: Ulf Buermeyer