hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 492/02, Beschluss v. 26.02.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 492/02 - Beschluss vom 26. Februar 2003 (LG Koblenz)

Zeugenvernehmung; Ausschließung des Angeklagten (Verzicht des Angeklagten auf Anwesenheit; Ausschließungsbeschluss; Begründungserfordernis); Umfang der Aufhebung bei absolutem Revisionsgrund; Beruhen.

§ 338 Nr. 5 StPO; § 337 StPO; § 247 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist stets durch förmlichen Gerichtsbeschluss anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; BGHSt 22, 18, 20).

2. Die Begründung muss zweifelsfrei ergeben, dass das Gericht von zulässigen Erwägungen ausgegangen ist. Eine nähere Begründung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn sämtliche Beteiligten mit der Anordnung einverstanden waren. Der Angeklagte kann nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (vgl. BGHSt 22, 18, 20).

3. Auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes muss ein Urteil lediglich in dem Umfang aufgehoben werden, in dem dieser Revisionsgrund sich auswirken konnte (vgl. BGH StraFo 2003, 57).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Juli 2002, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum Alter des Angeklagten, aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten J. wird das vorbezeichnete Urteil

a) in dem diesen Angeklagten betreffenden Gesamtstrafausspruch aufgehoben,

b) dahin geändert, daß das eingezogene Bargeld, nämlich 3.910,00 Euro, 75,00 Euro, 1,5 Millionen türkische Lira und 150,00 DM für verfallen erklärt wird.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere allgemeine Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 20. August 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es ihn wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und einen Betrag von 50.000,00 Euro für verfallen erklärt.

Den Angeklagten J. hat das Landgericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen verurteilt. Die Gesamtfreiheitsstrafe beträgt nach der Urteilsformel sieben Jahre, während sie ausweislich der Urteilsgründe in Höhe von sechs Jahren tat- und schuldangemessen ist. Das Landgericht hat außerdem einen Betrag von 15.000,00 Euro für verfallen erklärt sowie 3.910,00 Euro, 75,00 Euro, 1,5 Millionen türkische Lira und 150,00 DM Bargeld eingezogen.

Mit ihren Revisionen rügen beide Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts; die Revision des Angeklagten K. erhebt außerdem eine Verfahrensrüge.

II.

Die Revision des Angeklagten K. hat mit der geltend gemachten Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO Erfolg.

1. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht einen Verstoß gegen § 247 StPO bei der Vernehmung des Zeugen S.

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Am 4. Verhandlungstag, dem 20. Juni 2002, wurde der Zeuge S. vernommen. Der Zeuge machte Angaben zur Person und zur Sache und wurde dann gemäß § 55 StPO belehrt. Danach sagte er weiter zur Sache aus. Zu den nachfolgenden Verfahrensvorgängen heißt es im Protokoll: "Nach Erörterung mit den VB und im allseitigen Einvernehmen erfolgte Kammerbeschluß: Für die Dauer der Vernehmung des Zeugen S. sollen die Angeklagten aus dem Gerichtssaal geführt werden. Der Beschluß wurde ausgeführt." Der Zeuge machte sodann auf Fragen des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten weitere Angaben zur Sache. Nach der Vernehmung des Zeugen wurde die Abwesenheit der Angeklagten aufgehoben und die Angeklagten wurden wieder in den Gerichtssaal geführt. Sie wurden durch den Vorsitzenden über den wesentlichen Inhalt der Aussage des Zeugen während ihrer Abwesenheit unterrichtet und erhielten Gelegenheit zu Fragen an den Zeugen. Der Angeklagte J. drohte dem Zeugen, daß es mit dieser seiner Aussage nicht zu Ende sei.

b) Die Rüge ist begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der zeitweise Ausschluß des Angeklagten stets durch förmlichen Gerichtsbeschluß anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist (BGHR StPO § 247 Ausschließungsgrund 1; BGHSt 22, 18, 20). Die Begründung muß zweifelsfrei ergeben, daß das Gericht von zulässigen Erwägungen ausgegangen ist (BGH NStZ 1999, 419, 420; Diemer in KK 4. Aufl. § 247 Rdn. 13). Eine nähere Begründung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn sämtliche Beteiligten mit der Anordnung einverstanden waren. Der Angeklagte kann nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGHR StPO § 247 Satz 1 Begründungserfordernis 5; offengelassen in BGHR a.a.O. Abwesenheit 25; BGHSt 22, 18, 20).

Diesen rechtlichen Anforderungen wird der Beschluß des Landgerichts nicht gerecht. Den protokollierten Verfahrensvorgängen läßt sich nicht entnehmen, ob die Kammer ihrem Beschluß einen der in § 247 StPO abschließend aufgezählten Ausschließungsgründe zugrunde gelegt hat. Der Beschluß selbst enthält keinerlei Begründung. Auch aus dem Ablauf der Hauptverhandlung vor der Entfernung der Angeklagten läßt sich kein gesetzlicher Grund für den Ausschluß entnehmen. Die Bedrohung des Zeugen durch den Angeklagten J. erfolgte erst, nachdem der Zeuge seine Aussage beendet und die Angeklagten wieder in den Gerichtssaal geführt worden waren.

2. Auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes muß ein Urteil lediglich in dem Umfang aufgehoben werden, in dem dieser Revisionsgrund sich auswirken konnte (vgl. BGH StraFo 2003, 57). Von dem Verfahrensfehler sind hier die Feststellungen des Landgerichts zum Alter des Angeklagten K. nicht betroffen. Der Senat hat deshalb die entsprechenden Feststellungen aufrecht erhalten und die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurückverwiesen.

3. Vorsorglich weist der Senat auf folgendes hin: Im Fall einer erneuten Verurteilung wird der neue Tatrichter zu begründen haben, weshalb es sich bei den in den Fällen 10, 12 und 13 der Urteilsgründe beschriebenen Käufen von Betäubungsmitteln im Oktober 2001 nicht um Teilmengen der dem Angeklagten im Fall 3 der Urteilsgründe zur Last gelegten Betäubungsmittelmenge handelt, wie dies im angefochtenen Urteil für den Fall 9 angenommen worden ist.

III.

Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils auf die Revision des Angeklagten J. führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe und zur Änderung der Einziehungsanordnung.

1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe von sieben Jahren kann nicht bestehen bleiben. Sie wird von den Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen, die - für sich betrachtet - rechtsfehlerfrei sind und in den Urteilsgründen zu einer solchen von sechs Jahren als tat- und schuldangemessen führen.

Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der aus dem Urteil selbst ohne weiteres deutlich wird, daß der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen, sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und daß diese Strafe trotz der anderslautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 1 und 2; BGH Beschluß vom 25. Juni 1992 - 1 StR 631/91).

2. Die auf § 33 Abs. 2 BtMG gestützte Einziehung des bei dem Angeklagten J. sichergestellten Bargeldes kann keinen Bestand haben; sie ist durch eine Verfallsentscheidung nach § 73 Abs. 1 StGB zu ersetzen. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Beschwerdeführer ersichtlich nicht anders hätte verteidigen können. Ist Geld - wie im vorliegenden Falle - als Bezahlung für ein bereits durchgeführtes Rauschgiftgeschäft an den Verkäufer übergeben worden, ist es als durch die Tat Erworbenes kein Gegenstand im Sinne von § 33 Abs. 2 BtMG, der gemäß § 74 Abs. 1 StGB durch die Straftat hervorgebracht worden wäre (BGHR StGB § 74 Tatmittel 2); eine Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB kommt in solchen Fällen nur in Betracht, wenn der konkrete Geldbetrag bereits wieder zur Durchführung weiterer Betäubungsmittelgeschäfte bestimmt war und diese Geschäfte ebenfalls Gegenstand der Anklage sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Externe Fundstellen: StV 2003, 373

Bearbeiter: Ulf Buermeyer