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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StE 6/01, Beschluss v. 20.12.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StE 6/01-6 - Beschluss vom 20. Dezember 2001 (OLG Celle)

Fortdauernde Untersuchungshaft; Bildung einer kriminellen Vereinigung (Prägung des Erscheinungsbildes durch strafrechtswidriges Verhalten bei PKK/ERNK); Bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern

§ 121 StPO; § 122 StPO; § 129 Abs. 1 StGB; § 112 StPO; § 92 a Abs. 2 Nr. 2 AuslG

Leitsatz des Bearbeiters

Die Zwecke oder die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB müssen in der Weise darauf gerichtet sein, Straftaten zu begehen, daß diese nicht nur von untergeordneter Bedeutung, sondern in dem Sinne wesentlich und mit anderen Zwecken oder Tätigkeiten gleichgeordnet sind, daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (BGHSt 41, 47, 56).

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Celle übertragen.

Gründe

Der Angeklagte befindet sich seit 30. Mai 2001 auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. Mai 2001 (2 BGs 130/2001) in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, sich in der Zeit von Ende Juni 1999 bis zum 22. April 2001 mitgliedschaftlich an einer innerhalb der PKK/ERNK aus den Führungskadern gebildeten kriminellen Vereinigung beteiligt sowie tateinheitlich bandenmäßig Ausländer eingeschleust zu haben. In der Begründung des Haftbefehls wird davon ausgegangen, daß sich der von § 129 Abs. 1 StGB vorausgesetzte kriminelle Charakter der Vereinigung zum einen aus der mit dem Fälschen von Ausweis- und Aufenthaltspapieren sowie Verstößen gegen das Ausländergesetz verbundenen Tätigkeit des Heimatbüros und zum anderen daraus ergebe, daß die Führung der PKK/ERNK sich vorbehalten habe, vom derzeit friedlichen Kurs zur Anordnung von Straftaten mit "demonstrativem" Charakter überzugehen. Der Angeklagte sei als Führungskader bereit gewesen, solche Befehle jederzeit umzusetzen, und habe dafür gesorgt, daß die "Masse aktionsbereit" geblieben sei.

1. Der Senat stützt seine Haftfortdauerentscheidung gegen den Angeklagten nur noch auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, deren Tätigkeit und Zwecke auf Straftaten im Zusammenhang mit dem "Heimatbüro" gerichtet sind.

a) Der Vorwurf des bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern nach § 92 a Abs. 2 Nr. 2 AuslG muß als Grundlage entfallen, weil mit der Abschlußverfügung des Generalbundesanwalts vom 8. Oktober 2001 festgestellt worden ist, daß sich das für bandenmäßige Begehung erforderliche Einschleusen im Wiederholungsfall oder zu Gunsten von mehreren Ausländern nicht beweisen lasse. Wegen der verbliebenen Verstöße gegen das Ausländergesetz wurde die Strafverfolgung nach § 154 a StPO auf das Vergehen nach § 129 StGB beschränkt.

b) Die durchgeführten Ermittlungen belegen dagegen den dringenden Verdacht, daß sich der Angeklagte als führender Verantwortlicher in den Regionen Mitte und Nord an einer kriminellen Vereinigung beteiligt hat, die auf Straftaten, begangen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des "Heimatbüros" der PKK/ERNK, gerichtet war. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift vom 15. Oktober 2001 verwiesen. Daraus ergibt sich nicht nur, daß er auf Grund seiner führenden Position den Mitarbeitern des "Heimatbüros" gegenüber eine Vorgesetztenstellung hatte, sondern darüber hinaus mehrfach konkret mit der Beschaffung falscher Papiere und der Durchführung zumindest einer Schleusung befaßt war. Diese enge Einbindung des Angeklagten in die "heimatgerichteten Aktivitäten" rechtfertigt es auch, ihn dem Kreis von Funktionären zuzurechnen, die innerhalb der PKK/ERNK eine auf die strafbare Tätigkeit des "Heimatbüros" gerichtete kriminelle Vereinigung bilden. Ob diesem Personenkreis generell auch Führungskader zugerechnet werden können, die weder im "Heimatbüro" als hauptamtliche Kader eingesetzt, noch als deren Vorgesetzte weisungsbefugt sind, erscheint zweifelhaft, braucht aber hier nicht entschieden zu werden.

c) Da der vorstehend dargelegte Tatverdacht die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt, kann der Senat im Rahmen dieser Haftfortdauerentscheidung weiter offen lassen, ob die dem Haftbefehl zugrunde gelegte Auffassung zutrifft, die Führungsebene der PKK/ERNK stelle derzeit auch deswegen eine kriminelle Vereinigung dar, weil sie zwar nach dem Frühjahr 1999 "demonstrative" Straftaten wie Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht mehr nachweisbar durchgeführt oder gesteuert hat, sich allerdings vorbehalten habe, "jederzeit mit sonstigen Gewalttaten auf Situationen und so bezeichnete Provokationen zu reagieren, die nach ihrer Ansicht Leib und Leben des Parteiführers Öcalan gefährden oder den Bestand der Parteistrukturen bedrohen könnten". Hiergegen könnten Bedenken bestehen, weil die Zwecke oder die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB in der Weise darauf gerichtet sein müssen, Straftaten zu begehen, daß diese nicht nur von untergeordneter Bedeutung, sondern in dem Sinne wesentlich und mit anderen Zwecken oder Tätigkeiten gleichgeordnet sind, daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (BGHSt 41, 47, 56). Dies bedarf angesichts des Kurswechsels der PKK, die ihre Ziele nunmehr mit friedlichen und politischen Mitteln erreichen will, einerseits und des Umstandes andererseits, wonach die Voraussetzungen einer Rückkehr zu "demonstrativen" Straftaten nur relativ vage definiert sind und auch ein zeitlicher Rahmen nicht absehbar ist, einer genaueren Prüfung in der Hauptverhandlung.

2. Wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr wird auf die Gründe des Haftbefehls Bezug genommen. Ihr kann durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO nicht begegnet werden. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist in Anbetracht des Tatvorwurfs auch nicht unverhältnismäßig. Dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz nach § 121 Abs. 1 StPO ist Rechnung getragen worden, da trotz der umfangreichen, mit hohem Übersetzungsaufwand verbundenen Ermittlungen bereits am 15. Oktober 2001 Anklage erhoben worden und die Durchführung der Hauptverhandlung ab Mitte Januar 2002 beabsichtigt ist.

Bearbeiter: Karsten Gaede