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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 507/01, Urteil v. 06.02.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 507/01 - Urteil vom 6. Februar 2002 (LG Trier)

Vergewaltigung; Vorsatz (Beweiswürdigung; Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo; Irrtum; Gleichgültigkeit)

§ 177 Abs. 2 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB; § 261 StPO;

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Zweifelssatz ist keine Beweisregel und greift erst nach abgeschlossener Beweiswürdigung ein (vgl. BGH NStZ 1999, 205). Spricht das Gericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so sind die der Beweiswürdigung zugrunde liegenden wesentlichen Erwägungen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Hat der Tatrichter die zur Verurteilung erforderliche Überzeugung vom Vorliegen eines äußeren oder inneren Tatmerkmals nicht gewonnen, so müssen die Urteilsgründe in überprüfbarer Weise belegen, dass er die gegen die Schuld des Angeklagten sprechenden ebenso wie entgegenstehende Beweisergebnisse in ihrer Bedeutung zutreffend gewertet hat und daß die Anwendung des Zweifelssatzes auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung dieser Ergebnisse erfolgt ist.

2. Wem aus egoistischer, allein auf die Durchsetzung eigener Wünsche gerichteter Gesinnung ein möglicherweise entgegenstehender Wille des Opfers einer sexuellen Nötigung von vornherein gleichgültig ist, handelt nicht im vorsatzausschließenden Irrtum, sondern zumindest bedingt vorsätzlich.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 2. Juli 2001 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen hat es ihn freigesprochen. Die gegen den Freispruch gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die - inzwischen geschiedene - Ehe des Angeklagten durch dessen Eifersucht und besitzergreifendes Verhalten gegenüber seiner Ehefrau geprägt. Er bestand unter anderem auf einer jederzeitigen Erfüllung seines Wunsches nach geschlechtlichem Verkehr. Häufig kam es, wenn die Geschädigte sich seinen Wünschen nicht fügte, zu verbalen und auch tätlichen Attacken des Angeklagten. Die Geschädigte hatte seinen tätlichen Übergriffen infolge ihrer körperlichen Unterlegenheit wenig entgegenzusetzen und fügte sich daher seinen Forderungen, wobei sie bis zum Jahr 1997 hierin möglicherweise auch eine schmeichelhafte Bestätigung ihrer Attraktivität erblickte. Nachdem es im Sommer 1998 zu erheblichen Streitigkeiten und gravierenden Tätlichkeiten des Angeklagten gekommen war, zog dieser im September 1998 auf Bitten der Geschädigten aus dem gemeinsam bewohnten Haus aus.

Etwa zwei Wochen später beschloß, der Angeklagte, mit seiner Ehefrau geschlechtlich zu verkehren. Er drang deshalb nachts mit Hilfe eines in seinem Besitz befindlichen Hausschlüssels in das Haus ein, begab sich in das Schlafzimmer seiner Ehefrau und erklärte dieser, er beabsichtige, mit ihr geschlechtlich zu verkehren. Die Geschädigte erklärte, daß sie sich weigere, und kauerte sich in den oberen Teil des Bettes, wo sie sich am Bettgestell festhielt. Gegen ihren Willen zog der Angeklagte sie gewaltsam nach unten, hielt ihre Hände fest, entkleidete sie, legte sich auf sie und führte den Geschlechtsverkehr aus. Die Geschädigte war aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit zu weitergehender Gegenwehr nicht in der Lage.

Wenige Tage später drang der Angeklagte erneut in das Schlafzimmer der schlafenden Geschädigten ein. Er entkleidete sie gewaltsam, wobei er ihr eine Schürfwunde am Oberschenkel zufügte. Als sie sich weigerte, mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuführen, und um sich trat, drückte er gewaltsam die Beine der Geschädigten auseinander, legte sich auf sie und führte den Geschlechtsverkehr durch. Er bemerkte dann: "So hat es Dir wohl nicht gefallen"; anschließend äußerte er: "Solange du in meinem Hause lebst, ficke ich dich, ob du willst oder nicht", und verließ das Haus.

2. Das Landgericht hat den äußeren Sachverhalt als durch die glaubhafte Aussage der Geschädigten und weiterer Beweismittel erwiesen angesehen. Es hat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können, daß der Angeklagte vorsätzlich gehandelt habe, und hierzu in den Urteilsgründen ausgeführt (UA S. 20), "daß letztlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Angeklagte im Hinblick auf seine egozentrische Sicht und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich die Zeugin ... vor September 1998 immer seinen Wünschen gebeugt hat, möglicherweise nicht erkannt hat, daß die Zeugin bei den beiden Vorfällen Ende September 1998 tatsächlich nicht mit ihm verkehren wollte. Er kann die Weigerung der Zeugin und ihre Abwehrhandlungen als besonders reizvolles Spiel der Zeugin gewertet haben."

3. Gegen diese Beweiswürdigung wendet sich die Revision zu Recht: Die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht beruht auf einer unzureichenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen. Der Zweifelssatz, der keine Beweisregel ist, greift erst nach abgeschlossener Beweiswürdigung ein (vgl. BGH NStZ 1999, 205). Spricht das Gericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so sind die der Beweiswürdigung zugrunde liegenden wesentlichen Erwägungen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH NStZ 1990, 448; BGH wistra 1991, 63; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; st. Rspr.; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. Rdn. 33 zu § 267; Hürxthal in KK 4. Aufl. Rdn. 41 zu § 267, jew. m.w.N.). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Hat der Tatrichter die zur Verurteilung erforderliche Oberzeugung vom Vorliegen eines äußeren oder inneren Tatmerkmals nicht gewonnen, so müssen die Urteilsgründe in überprüfbarer Weise belegen, daß er die gegen die Schuld des Angeklagten sprechenden ebenso wie entgegenstehende Beweisergebnisse in ihrer Bedeutung zutreffend gewertet hat und daß die Anwendung des Zweifelssatzes auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung dieser Ergebnisse erfolgt ist. Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht.

Einen Anhaltspunkt dafür, der Angeklagte könne möglicherweise irrtümlich angenommen haben, die Geschädigte sei mit den sexuellen Handlungen einverstanden, sieht das Landgericht darin, daß sich die Geschädigte früher seinen Wünschen gebeugt hatte. Unberücksichtigt bleibt hierbei aber, daß dieses frühere Verhalten der Geschädigten darauf beruhte, daß sie den tätlichen Übergriffen des Angeklagten infolge ihrer körperlichen Unterlegenheit wenig entgegenzusetzen hatte (UA S. 10). Zu berücksichtigen wäre hier überdies gewesen, daß zum Zeitpunkt der Taten eine wesentliche Veränderung im Verhältnis der Ehegatten eingetreten war, die gerade aufgrund der häufigen Obergriffe des Angeklagten getrennt lebten. Daß die Zeugin bei früheren Gelegenheiten jemals ihre Weigerung als "besonders reizvolles Spiel" verstanden hatte, was das Landgericht zugunsten des Angeklagten erwägt, oder daß der Angeklagte dies angenommen habe, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Vor diesem Hintergrund kam schon dem äußeren Tatablauf - nächtliches Eindringen in die Wohnung der Geschädigten, Anwendung nicht unerheblicher Gewalt - eine Indizwirkung für den Vorsatz des Angeklagten zu, die zu erörtern gewesen wäre.

Soweit das Landgericht die "egozentrische Sicht" des Angeklagten als mögliche Ursache eines Irrtums erwägt, hat es gewichtige Anhaltspunkte nicht bedacht, welche dieser Annahme entgegenstehen. Der Angeklagte zeigte nach den Feststellungen ein "besitzergreifendes Verhalten"; er gestand seiner Ehefrau kein Recht zur Selbstbestimmung zu, wenn dies seinen Wünschen entgegenstand (UA S. 10). Seine Bemerkungen unmittelbar im Anschluß an die zweite Tat, es habe der Nebenklägerin "wohl keinen Spaß gemacht", und er vollziehe mit ihr den Geschlechtsverkehr, "ob sie wolle oder nicht", sind gewichtige Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte den entgegenstehenden Willen der Geschädigten kannte und daß seine Vorstellung nicht etwa dahin ging, die Geschädigte sei mit den sexuellen Handlungen einverstanden. Wem aus egoistischer, allein auf die Durchsetzung eigener Wünsche gerichteter Gesinnung ein möglicherweise entgegenstehender Wille des Opfers einer sexuellen Nötigung von vornherein gleichgültig ist, handelt nicht im vorsatzausschließenden Irrtum, sondern zumindest bedingt vorsätzlich.

Mit den für ein vorsätzliches Handeln sprechenden Umständen hat sich das Landgericht weder einzeln noch in ihrem Gesamtgewicht auseinandergesetzt; zugleich fehlt es an der Darlegung hinreichend konkreter Anhaltspunkte für die vom Landgericht als möglich angesehene Irrtumslage. Dies führt zur Aufhebung des Freispruchs.

Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen konnten aufrechterhalten werden.

Externe Fundstellen: NStZ 2002, 446

Bearbeiter: Karsten Gaede