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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 197/01, Urteil v. 17.08.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 197/01 - Urteil v. 17. August 2001 (LG Darmstadt)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer; Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs

§ 316a StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Tatbestand § 316 a Abs. 1 StGB setzt voraus, daß der Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfolgt. Eine solche, die hohe Strafdrohung des § 316 a StGB rechtfertigende Gefahrenlage besteht vor allem während des Fahrvorgangs; sie kann auch noch während eines verkehrsbedingten und im Einzelfall auch während eines sonstigen kurzfristigen Halts vorliegen (vgl. BGHSt 6, 82, 84; 18, 170, 171 ff.; 38, 196 ff.). Sie besteht aber nicht, wenn der Täter, als er sich des Geschädigten bemächtigte, zu Fuß an ein geparktes Kraftfahrzeug herantritt, um dessen Insassen zu berauben (vgl. BGHSt 24, 320, 321; BGH NStZ-RR 1997, 356); auch der Transport eines Tatopfers mit dem Kraftfahrzeug an einen Ort, an welchem eine geplante Erpressung ausgeführt werden soll, erfüllt in einem solchen Fall den Tatbestand nicht (vgl. BGH NStZ 1998, 263).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. Januar 2001 im Schuldspruch geändert und wie folgt neu gefaßt:

a) Der Angeklagte Sp. ist schuldig des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung, des Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in drei Fällen sowie des Computerbetrugs in sechs Fällen.

b) Der Angeklagte S. ist schuldig der tateinheitlich begangenen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub, zur räuberischen Erpressung und zum Computerbetrug.

2. Der Angeklagte S. wird anstelle der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

4. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Sp. wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Einzelstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten, wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in drei Fällen zu Einzelgeldstrafen von jeweils 70 Tagessätzen zu je 10 DM sowie wegen Computerbetrugs in sechs Fällen zu Einzelgeldstrafen von jeweils 100 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gebildet. Den Angeklagten S. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub und zur räuberischen Erpressung zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren neun Monaten sowie wegen Beihilfe zum Computerbetrug in sechs Fällen zu Einzelgeldstrafen von jeweils 30 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten gebildet. Die hiergegen eingelegten, vom Angeklagten Sp. auf zwei Verfahrensrügen und die Sachrüge, vom Angeklagten S. auf die Sachrüge gestützten Revisionen führen lediglich zur Änderung der Schuldsprüche und zur Umstellung der gegen den Angeklagten S. festgesetzten Freiheitsstrafe; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen verabredete sich der Angeklagte Sp. unter einem Vorwand mit dem Tatopfer K., einem Finanzberater, um diesen zu entführen und 170.000 DM von ihm zu erpressen. Der Angeklagte S., der zunächst nicht eingeweiht war, sollte als Fahrer tätig werden. Zum Tatzeitpunkt wartete der Nebenkläger K. am telefonisch vereinbarten Treffpunkt in seinem geparkten Pkw. Der Angeklagte Sp. trat von außen an das geöffnete Seitenfenster heran, bedrohte K. mit einer echt aussehenden Spielzeugpistole, zwang ihn, sich auf die Rückbank zu setzen, und fuhr zunächst zu dem an anderer Stelle wartenden Angeklagten S., der das Fahrzeug im weiteren Verlauf steuerte und spätestens jetzt Kenntnis von den Absichten des Mitangeklagten Sp. hatte. Der Nebenkläger, der mittels einer undurchsichtigen Brille und eines Kopfhörers von der Außenwelt abgeschirmt wurde, wurde vom Angeklagten Sp. mehrfach mit dem Tode sowie mit der Kastration bedroht; er nahm diese Drohungen ernst.

Nachdem sich herausgestellt hatte, daß K. nicht über den vom Angeklagten Sp. erwarteten Geldbetrag verfügte, nahm dieser dem Tatopfer 1.000 DM Bargeld, Scheck- und Kreditkarten ab und zwang K. unter wiederholter Bedrohung dazu, die Geheimzahlen preiszugeben. Auf Geheiß des Angeklagten Sp. fuhr der Angeklagte S. sodann zu Kreditinstituten in Mainz, Bingen und Bingerbrück, wo der Angeklagte Sp. an sechs verschiedenen Geldautomaten unter Verwendung der Karten insgesamt 7.000 DM abhob. Außerdem kaufte er, ohne daß der Angeklagte S. hiervon Kenntnis hatte, mit den Kreditkarten in drei verschiedenen Geschäften Schmuckgegenstände im Wert von insgesamt ca. 6.250 DM, wobei er auf den Belastungsbelegen jeweils die Unterschrift des K. nachmachte.

Der Nebenkläger befand sich insgesamt etwa 3 1/2 Stunden in der Gewalt der Angeklagten. Die Tat hat bei ihm zu langdauernden psychischen Beeinträchtigungen geführt.

Der Angeklagte S. erhielt von der Tatbeute 3.000 DM. Daß er Kenntnis vom Einsatz der Spielzeugpistole durch den Angeklagten Sp. hatte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

2. Die vom Angeklagten Sp. erhobenen Verfahrensrügen sind nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig; sie sind im übrigen auch offensichtlich unbegründet.

3. Die Sachrügen führen zur Änderung der Schuldsprüche; im übrigen sind sie unbegründet.

a) Die Voraussetzungen des § 316 a Abs. 1 StGB sind nicht gegeben. Der Tatbestand setzt voraus, daß der Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfolgt. Eine solche, die hohe Strafdrohung des § 316 a StGB rechtfertigende Gefahrenlage besteht vor allem während des Fahrvorgangs; sie kann auch noch während eines verkehrsbedingten und im Einzelfall auch während eines sonstigen kurzfristigen Halts vorliegen (vgl. BGHSt 6, 82, 84; 13, 27, 30; 18, 170, 171 ff.; 38, 196 ff.). Sie besteht aber nicht, wenn der Täter, wie hier der Angeklagte Sp., als er sich des Geschädigten bemächtigte, zu Fuß an ein geparktes Kraftfahrzeug herantritt, um dessen Insassen zu berauben (vgl. BGHSt 24, 320, 321; BGH NStZ-RR 1997, 356); auch der Transport eines Tatopfers mit dem Kraftfahrzeug an einen Ort, an welchem eine geplante Erpressung ausgeführt werden soll, erfüllt in einem solchen Fall den Tatbestand nicht (vgl. BGH NStZ 1998, 263; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl., Rdn. 3 zu § 316 a m.w.N.). Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte K., bevor der Angeklagte Sp. ihn bedrohte und entführte, sein - vorläufiges - Fahrziel erreicht. Er hatte seinen Pkw am Treffpunkt geparkt; als der Angeklagte sich dem Fahrzeug näherte, telefonierte K.. Daher nutzte der Angeklagte Sp. zu diesem Zeitpunkt nicht die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs aus, als er K. in seine Gewalt brachte. Das spätere Hinzukommen des Angeklagten S. könnte nur dann als eigenständiger Angriff im Sinne des § 316 a Abs. 1 StGB beurteilt werden, wenn es sich seinerseits als Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs gegen den als Mitfahrer im Fahrzeug gefangenen Nebenkläger darstellte. Dies war jedoch nicht der Fall. Die objektive Lage des Tatopfers wurde durch das Hinzukommen des Tatgehilfen nicht geändert; eine Verschlechterung seiner Abwehr- oder Fluchtmöglichkeiten ist nicht festgestellt. Die Durchführung der vom Angeklagten Sp. begangenen schweren räuberischen Erpressung wurde durch das Umherfahren mit dem entführten Tatopfer auch nicht erleichtert; auch die auf einem Vorsatzwechsel beruhende Abpressung des Bargeldes und der Karten während der Entführung bei Fortdauer der Bedrohung machte den Angriff daher nicht zu einem solchen im Sinne des § 316 a Abs. 1 StGB. Der Senat hat die Schuldsprüche entsprechend geändert.

b) Die Annahme von Tatmehrheit zwischen dem vom Angeklagten Sp. begangenen erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung einerseits und den unter Einsatz der Geld- und Kreditkarten jeweils begangenen Vermögensstraftaten begegnet entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen rechtlichen Bedenken, da eine Überschneidung von Tatausführungshandlungen nicht vorliegt und der Einsatz der Karten jeweils aufgrund eines neuen Tatentschlusses erfolgte. Jedoch ist die vom Landgericht vorgenommene Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses hinsichtlich des Angeklagten S. fehlerhaft und führt auch insoweit zur Änderung des Schuldspruchs. Da seine Unterstützung des Haupttäters allein in der Tätigkeit als Fahrer des Fahrzeugs bestand, hat der Angeklagte S. nur eine - einheitliche - Beihilfetat begangen (BGH NStZ 1993, 584; BGH wistra 1996, 141; 1997, 62; vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. Rdn. 13 zu § 27 m.w.N.).

c) Der Senat kann ausschließen, daß die Höhe der verhängten Strafen auf den genannten Rechtsfehlern beruht.

Hinsichtlich des Angeklagten Sp. hat das Landgericht die Einsatzstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten dem Strafrahmen des § 316 a Abs. 1 StGB entnommen. Die gegen den Angeklagten S. festgesetzte Einsatzstrafe von zwei Jahren und neun Monaten hat es dem nach § 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 316 a Abs. 1 entnommen und bei der Zumessung der Einsatzstrafen zutreffend ausgeführt, daß auch ein minder schwerer Fall des erpresserischen Menschenraubs nicht vorliegt. Beim Angeklagten Sp. hat das Landgericht sodann im Hinblick auf die verhängten Einzelgeldstrafen von sechsmal 100 Tagessätzen und dreimal 70 Tagessätzen in Anwendung von § 54 Absatz 1 und Absatz 3 StGB die Einsatzstrafe um einen Monat, beim Angeklagten S. im Hinblick auf sechs Einzelgeldstrafen von je 30 Tagessätzen um zwei Monate erhöht.

Da der Strafrahmen des § 316 a Abs. 1 StGB dem hier richtigerweise zugrundezulegenden Straffrahmen des § 239 a Abs. 1 StGB - beim Angeklagten S. gemildert nach § 27 Absatz 2, 49 Absatz 1 StGB - entspricht und der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten durch eine andere rechtliche Bewertung des Konkurrenzverhältnisses nicht berührt wird, kann der Senat angesichts der vom Landgericht zutreffend hervorgehobenen strafschärfenden Umstände ausschließen, daß ein neuer Tatrichter zu noch niedrigeren Strafen gelangen würde. Allerdings war gegen den Angeklagten S. anstelle der vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wegen der Änderung des Konkurrenzverhältnisses eine Freiheitsstrafe in gleicher Höhe festzusetzen.

Externe Fundstellen: StV 2002, 362

Bearbeiter: Karsten Gaede