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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 174/01, Beschluss v. 27.06.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 174/01 - Beschluß v. 27. Juni 2001 (LG Darmstadt)

Besondere Schuldschwere (Anknüpfung bei Gesamtstrafe; Erforderliche Gesamtwürdigung); Lebenslange Freiheitsstrafe; Mord

§ 57a StGB; § 211 StGB; § 57b StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar hindert die in § 57 b StGB vorgeschriebene zusammenfassende Würdigung der einzelnen Straftaten bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe den Tatrichter nicht, die besondere Schwere der Schuld schon für eine mit lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe geahndete Tat festzustellen. In dem Fall hat er allerdings eine zweifache Würdigung im Hinblick auf die besondere Schuldschwere vorzunehmen.

2. Die Begehung mehrerer Tötungsdelikte kann zwar ein Umstand von Gewicht im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sein (vgl. BGHSt 39, 208), er kann jedoch nicht ohne weiteres zur Bejahung der besonderen Schuldschwere führen, sondern nur im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 31. Oktober 2000 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, versuchten Mordes und Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und das Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld festgestellt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur im Ausspruch über die besondere Schuldschwere Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Die Begründung, mit der das Landgericht die besondere Schwere der Schuld bejaht hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe ist nach § 57 b StGB Anknüpfungspunkt für die Prüfung der besonderen Schuldschwere regelmäßig die Gesamtstrafe (vgl. BGHR StGB § 57 b Schuldschwere 2). Diesen rechtlichen Ansatz läßt das Urteil nicht erkennen. Das Landgericht stellt die für die Findung der Strafrahmen und die Strafzumessung maßgeblichen Erwägungen voran - wie fehlende Vorstrafen, "broken home", dissozial verbogene Lebenslinie, reuiges Geständnis, ohne das die Taten nicht aufgedeckt worden wären, sowie verbüßte, an sich gesamtstrafenfähige Freiheitsstrafe von vier Jahren. Im Fall II.2 zum Nachteil P. (Verdeckungsmord) verhängt die Kammer gemäß § 211 StGB lebenslange Freiheitsstrafe, nimmt auf die vorstehend vorgenommene Gesamtwürdigung Bezug und stellt fest, daß insoweit die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiege, weil in der Tötung auch noch eines zweiten Menschen eine kaum zu überbietende kriminelle Energie zum Ausdruck komme. An keiner Stelle des Urteils wird die Vorschrift des § 57 b oder des § 57 a StGB zitiert. Diese Darstellungsweise läßt nicht erkennen, ob Anknüpfungspunkt für die besondere Schuldschwere die Gesamtstrafe oder die Einzelstrafe im Fall II. 2 sein soll.

2. Zwar hindert die in § 57 b StGB vorgeschriebene zusammenfassende Würdigung der einzelnen Straftaten bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe den Tatrichter nicht, die besondere Schwere der Schuld schon für eine mit lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe geahndete Tat festzustellen (vgl. BGH NStZ 1997, 277). In dem Fall hat er allerdings eine zweifache Würdigung im Hinblick auf die besondere Schuldschwere vorzunehmen. Beides läßt das Urteil vermissen.

Die Feststellung der besonderen Schuldschwere verlangt Umstände von Gewicht. Diese hat der Tatrichter in einer zusammenschauenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu ermitteln und zu bewerten (vgl. BGHSt 40, 360, 370). Eine solche zusammenfassende Würdigung ist weder im Rahmen der Anbindung an die Einzelstrafe im Fall II. 2 noch im Hinblick auf alle der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Straftaten vorgenommen worden.

Die Bezugnahme unter Fall II. 2, Mordfall zum Nachteil P., auf die vorangestellten Erwägungen genügt der erforderlichen Gesamtwürdigung nicht. Die Bezugnahme betrifft ausschließlich die Täterpersönlichkeit. Das Tatbild des Verdeckungsmordes wird dazu in keinerlei Beziehung gestellt und die Schuld daraufhin bewertet. Die Begehung mehrerer Tötungsdelikte kann zwar ein Umstand von Gewicht im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sein (vgl. BGHSt 39, 208), er kann jedoch nicht ohne weiteres zur Bejahung der besonderen Schuldschwere führen, sondern nur im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung.

Selbst wenn die Gesamtwürdigung der mit lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe geahndeten Straftat und Täterpersönlichkeit die Schuldschwere-Entscheidung rechtfertigen würde, so entbindet dies den Tatrichter nicht von der zusammenschauenden Würdigung aller der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Straftaten im Sinne von § 57 b StGB. Er kann insoweit zusätzliche, die besondere Schwere der Schuld erhöhende Umstände berücksichtigen. Eine solche zusammenschauende Würdigung aller Einzeltaten ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Wegen dieser Begründungsmängel kann das Revisionsgericht nicht prüfen, ob der Tatrichter im Hinblick auf die Schuldschwere-Entscheidung maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat (vgl. BGHR StPO [StGB d. Redaktion] § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 10). Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht; ergänzende Feststellungen bleiben zulässig.

Externe Fundstellen: StV 2001, 571

Bearbeiter: Karsten Gaede