Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, StB 9/00, Beschluss v. 13.09.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. August 2000 aufgehoben, soweit durch ihn der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 18. April 2000 - 2 BGs 67/00 - außer Vollzug gesetzt worden ist.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Mit Anklageschrift vom 26. Juni 2000 hat der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten Anklage beim Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall (§§ 93 Abs. 1, 94 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB) erhoben. Ihm wird vorgeworfen, im Jahre 1982 sowie in den Jahren 1985 und 1986 der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der früheren DDR mindestens vier Kurzprotokolle über Sitzungen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und ein Kurzprotokoll über eine Kabinettssitzung der Bundesregierung, die alle Staatsgeheimnisse enthalten haben sollen, auf nachrichtendienstlichem Weg geliefert und dadurch bewusst und gewollt die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt zu haben. Seit Anfang Mai befindet sich der Angeschuldigte auf Grund des wegen Fluchtgefahr erlassenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. April 2000 - 2 BGs 67/2000 - in Untersuchungshaft. In der mündlichen Haftprüfung vom 23. Juni 2000 hat der Ermittlungsrichter den Haftbefehl aufrechterhalten und den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einer weiteren mündlichen Haftprüfung zwar den Haftbefehl aufrechterhalten, ihn jedoch gemäß § 116 StPO unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Gegen diese Außervollzugsetzung des Haftbefehls richtet sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts mit dem Antrag, den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. August 2000 aufzuheben, soweit mit ihm der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde.
Der Angeschuldigte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, die Entscheidung über die Beschwerde nach persönlicher Anhörung zu treffen.
Das nach § 304 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO zulässige Rechtsmittel ist begründet, für eine mündliche Anhörung des Beschwerdeführers besteht bei der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage kein Anlaß. Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls kommt nicht in Betracht, weil keine hinreichend begründete Erwartung besteht, daß der Zweck der Untersuchungshaft durch Auflagen erreicht werden kann.
1. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist der Angeschuldigte auf Grund der in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 26. Juni 2000 angeführten zahlreichen Beweismittel, insbesondere der Erkenntnisse aus dem früheren gegen ihn vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durchgeführten Strafverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, des Inhalts der Datenbank "SIRA" der HVA des MfS sowie der Gutachten der Sachverständigen Dr. B. und Dr. S., eines Verbrechens des Landesverrats in einem besonders schweren Fall (§§ 93, 94 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB) dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gilt auch für den Verrat des Kurzprotokolls über die 51. Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 23. Januar 1985 einschließlich der Schaubilder des Führungsstabes der Luftwaffe, durch den nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. die konkrete Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Da die Schaubilder als Anlage Bestandteil des Kurzprotokolls waren und eine Abtrennung der Anlage vom Kurzprotokoll vor deren Weitergabe an das MfS der früheren DDR allen nachrichtendienstlichen Erfahrungen widerspricht, ist entgegen dem Vorbringen der Verteidigung jedenfalls derzeit davon auszugehen, daß der Angeschuldigte das Kurzprotokoll nicht nur teilweise, sondern im Interesse seines Auftraggebers vollständig einschließlich der Anlage weitergegeben hat. Es sind keine Erkenntnisse dafür vorhanden, daß dieses Protokoll von anderen Quellen verraten worden ist. Bei einer vorläufigen Tatbewertung ist hinsichtlich des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses und der Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zumindest von einem bedingten Vorsatz auszugehen. Wegen der Einzelheiten zum dringenden Tatverdacht nimmt der Senat ergänzend Bezug auf die Gründe des Haftbefehls vom 18. April 2000 und des Beschlusses vom 23. Juni 2000, durch den der Haftbefehl aufrechterhalten worden ist.
2. Zu Recht haben der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes und das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO bejaht. Bei der dem Angeschuldigten im Falle einer Verurteilung drohenden Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren besteht die dringende Gefahr, daß er versuchen wird, sich auf Dauer der Strafverfolgung zu entziehen. Auch bei Anrechnung der Geldbuße von 200.000 DM, die der Angeschuldigte in dem gegen ihn wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit durchgeführten und gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellten Strafverfahren bezahlt hat, auf die zu erwartende Freiheitsstrafe ist mit einer noch zu verbüßenden hohen Freiheitsstrafe zu rechnen. Der Annahme von Fluchtgefahr steht auch nicht entgegen, daß der Angeschuldigte in dem früheren Strafverfahren nicht geflüchtet und in Kenntnis des laufenden Ermittlungsverfahrens in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, weil er den Nachweis eines besonders schweren Falls des Landesverrats zum damaligen Zeitpunkt nicht befürchten und deshalb auch keine Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe besorgen mußte.
3. Dem aus der Straferwartung folgenden hohen Fluchtanreiz kann nur durch den Vollzug der Untersuchungshaft, nicht aber durch - auch strenge - Auflagen bei einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls gemäß § 116 StPO ausreichend entgegengewirkt werden. Der Angeschuldigte, dem der Verlust seines beamtenrechtlichen Status droht, hat in der Bundesrepublik Deutschland nur noch geringe Bindungen. Er ist auf Grund seiner persönlichen Fähigkeiten und finanziellen Voraussetzungen in der Lage, seinen Lebensunterhalt dauerhaft im Ausland sicherzustellen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der zu erwartenden Strafe ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig, zumal angesichts der bereits erfolgten Anklageerhebung in nächster Zeit eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu erwarten ist.
Bearbeiter: Ulf Buermeyer