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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 BJs 79/00, Beschluss v. 12.07.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 BJs 79/00-4 (AK 9/01) - Beschluß v. 12. Juli 2001 (Ermittlungsrichter des BGH)

Voraussetzung für die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate; Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung; Dringender Tatverdacht; Urkundenfälschung

§ 121 StPO; § 129a StGB; § 121 StPO; § 267 StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

1. Der Beschuldigte befindet sich seit 27. Dezember 2000 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (2 BGs 211/2000), der durch neuen Haftbefehl vom 18. Juni 2001 (2 BGs 161/2001) ersetzt wurde. Dieser ist damit begründet, daß der Beschuldigte folgender Straftaten dringend verdächtig sei:

- er habe sich im Dezember 2000 im Raum F. an einer von sog. "non-aligned Mudjahedin" gegründeten, auf Dauer angelegten und nach außen abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Organisationseinheit mitgliedschaftlich beteiligt, die beabsichtigt habe, zunächst zur Jahreswende 2000/2001 einen Sprengstoffanschlag auf einem belebten öffentlichen Platz in St. zu verüben (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB);

- er habe zur Vorbereitung dieses Anschlags im Zusammenwirken mit den Mitbeschuldigten B., E. und S. Sprengstoff hergestellt (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB);

- er habe unechte oder verfälschte amtliche Ausweise in der Absicht verwahrt, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen (§ 276 Abs. 1 Nr. 2 StGB);

- er habe unerlaubt die tatsächliche Gewalt ausgeübt über zwei vollautomatische Selbstladewaffen (§ 52 a Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 3 WaffG) und vier halbautomatische Selbstladekurzwaffen (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffG).

2. Der Senat stützt seine Entscheidung zur Fortdauer der Untersuchungshaft nicht auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB). Zwar belegt das bisherige Ermittlungsergebnis hinreichend, daß der Beschuldigte in ein internationales konspiratives Netz gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten ("non-aligned Mudjahedin") eingebunden ist, aus dem heraus terroristische Anschläge begangen oder vorbereitet werden. Es besteht auch ein Anfangsverdacht (§ 160 Abs. 1 StPO) dahingehend, daß sich der Beschuldigte an einer in der Bundesrepublik bzw. speziell im Raum F. aus diesem Netz heraus gegründeten terroristischen Vereinigung beteiligt haben könnte. Jedoch begründen die bisherigen Ermittlungen diesbezüglich noch keinen dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Es fehlen bislang hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, daß sich aus dem Kreis der genannten islamischen Fundamentalisten in Deutschland Organisationen oder Teilorganisationen herausgebildet hätten, die den Merkmalen entsprechen, die die Rechtsprechung für die Annahme einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung voraussetzt (vgl. BGHSt 30, 328; 31, 202, 204; 31, 239 f.; BGH NJW 1992, 1518). Selbst wenn eine derartige Vereinigung bestanden haben sollte, spricht im übrigen gegen eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten hieran die Tatsache, daß er erst am 5. Dezember 2000 in die Bundesrepublik eingereist ist und sein Rückflug nach L. bereits für den 4. Januar 2001 gebucht war. Dies deutet eher darauf hin, daß er sich nur zur Vorbereitung und Durchführung des Anschlages in St. In der Bundesrepublik aufhielt und sich lediglich nach § 129 a Abs. 3 StGB strafbar gemacht haben könnte.

3. Dagegen liegen bezüglich der übrigen im Haftbefehl vom 18. Juni 2001 genannten Taten die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus vor.

a) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des Vergehens nach § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergibt sich zunächst insbesondere daraus, daß bei einer Durchsuchung der von den Beschuldigten M., E. und S. genutzten Wohnung in der Si.-Str. in F. in arabischer Sprache verfaßte Anleitungen, Pläne etc. zur Herstellung von Sprengstoffen und Sprengzündern gefunden wurden sowie in erheblichem Umfang Stoffe, Utensilien, Materialien und Gerätschaften, die laut sachverständiger Begutachtung zur Sprengstoffherstellung geeignet sind. Da in zwei sichergestellten Seifendosen, deren Inhalt noch vor Ort aus Sicherheitsgründen gesprengt wurde, Spuren von Triacetontriperoxid (TATP) nachgewiesen werden konnten, liegt auch ein hinreichender Beleg dafür vor, daß die Beschuldigten bereits Sprengstoff fertiggestellt hatten. Daß der Sprengstoff für einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt oder einen Wochenmarkt in St. dienen sollte, folgt aus dem Umstand, daß die Beschuldigten E. und S. am 23. Dezember 2000 unter Angabe falscher Personalien in Ba. zwei Appartements für den Zeitraum vom 25. Dezember 2000 bis 2. Januar 2001 bzw. vom 26. bis 31. Dezember 2000 buchten und sodann von dort aus mit einem vom Beschuldigten B. in F. angemieteten Pkw eine Fahrt nach St. unternahmen, um die ins Auge gefaßten Tatorte sowie die Routen für An- und Abfahrt auszukundschaften. Die Anmietung der Appartements wird durch Zeugenaussagen belegt, die Fahrt nach St. und deren Zweck durch den Inhalt eines Videofilms, den die genannten beiden Beschuldigten hierbei aufnahmen, und der bei der erwähnten Durchsuchung sichergestellt werden konnte. Darüber hinaus hat der Beschuldigte B. in seiner Vernehmung vom 12. Februar 2001 bestätigt, daß die Beschuldigten M., E. und S. vorhatten, Menschen zu töten.

Der dringende Tatverdacht gegen den Beschuldigten M. bezüglich der Straftaten nach § 276 Abs. 1 Nr. 2 StGB beruht darauf, daß bei seiner Festnahme und Durchsuchung der Wohnung Si.-Str. in F. gefälschte, auf seinen Namen ausgestellte und mit seinem Lichtbild versehene Ausweispapiere aufgefunden wurden, nämlich ein französischer Reisepaß, ein französischer Führerschein, eine vom französischen Außenministerium ausgegebene konsularische Immatrikulationskarte, ein internationaler Studentenausweis sowie ein englischer Studentenausweis des Sheffield-Colleges.

Hinsichtlich der Waffendelikte (§ 52 a Abs. 1 Nr. 1, § 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffG) folgt der dringende Tatverdacht aus dem Umstand, daß in der genannten Wohnung in einer schwärzen Aktentasche zwei Maschinenpistolen der Marke "Scorpion" sowie drei Pistolen und ein Revolver aufgefunden wurden.

b) Bei dem Beschuldigten besteht aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Juni 2001 genannten Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug (§ 116 Abs. 1 StPO) erreicht werden.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der außergewöhnliche Umfang der Ermittlungen haben bisher ein Urteil nicht zugelassen. Die Ermittlungen erstrecken sich gegen eine Vielzahl von Beschuldigten, deren Verbindungen innerhalb der Bundesrepublik, in das europäische Ausland, aber auch in den Mittleren Osten aufzuklären sind. Sie werden durch das konspirative Verhalten der Beschuldigten und ihres Umfeldes erschwert. Es sind mehrere Rechtshilfeersuchen an Ermittlungsbehörden in Frankreich, Großbritannien und Italien notwendig geworden, die zum Teil noch nicht erledigt sind. Durch Wohnungsdurchsuchungen, Telefonabhörmaßnahmen und sonstige Ermittlungen, aber auch durch die Überlassung von Beweisstücken ausländischer Ermittlungsbehörden hat sich eine umfangreiche, durch die laufenden Ermittlungen noch anwachsende Sammlung von Beweismaterial ergeben, deren Auswertung mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist und teilweise sachverständige Begutachtung voraussetzt. Dies wird noch dadurch erschwert, daß eine Vielzahl von Schriftstücken, Abhörprotokollen und auf Datenträgern gespeicherter Dokumente zunächst ins Deutsche zu übersetzen ist, um eine Auswertung erst zu ermöglichen. Es ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, daß die Ermittlungen bisher nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben wurden. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der für den Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Bearbeiter: Karsten Gaede