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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 528/00, Beschluss v. 19.01.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 528/00 - Beschluß v. 19. Januar 2001 (LG Frankfurt/Main)

Verletzung der Hinweispflicht bei Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes; Fürsorgepflicht; Faires Verfahren; Vertrauensgrundsatz

§ 265 StPO; Art. 6 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auch unter dem Gesichtspunkt fairer Verfahrensgestaltung ist in der Hauptverhandlung ein Zwischenverfahren, in dem sich das Gericht zu Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären müßte, nicht vorgesehen (vgl. im einzelnen BGHSt 43, 212 ff.).

2. Erteilt das Gericht über seine Hinweispflicht hinaus vor der Urteilsberatung einen spezifizierten Hinweis, muß es die mit ihm verbundene Zusage einhalten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mißhandlung eines Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

Der Generalbundesanwalt hat hierzu u.a. ausgeführt:

"Die Rüge der Verletzung des § 265 StPO greift durch. Nachdem die Verteidigung der Angeklagten in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt hatte, einen rechtlichen Hinweis zu geben, falls 'das Gericht weitere, im konkreten Anklagesatz nicht enthaltene Vorfälle im Zusammenhang mit dem Schuld- und/oder Rechtsfolgenausspruch verwerten will', und die Strafkammer daraufhin in einem Beschluss zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie die im Anklagesatz nicht enthaltenen Vorfälle 'im Rahmen der Strafzumessung' zu würdigen gedenke, war der Tatrichter gehindert, derartige Vorkommnisse bei der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Beweiswürdigung zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu verwerten . ... Im Hinblick auf den Beschluss der Strafkammer konnte die Beschwerdeführerin sich darauf verlassen, dass die vor der angeklagten Tat liegenden Misshandlungen ihres Kindes beim Schuldspruch nicht zu ihrem Nachteil berücksichtigt würden. Das aber hat die Strafkammer getan; indem sie die früheren Misshandlungen des Kindes bei der Beweisführung zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals der rohen Misshandlung im Sinne von § 223b StGB a.F. herangezogen hat (UA S. 21). Die beweismäßige Verwertung dieser Vorkommnisse hätte nur nach einem entsprechenden Hinweis nach § 265 StPO erfolgen dürfen.

Ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler kann unter Berücksichtigung des dazu erfolgten Vortrages der Revision nicht sicher ausgeschlossen werden."

Dem folgt der Senat im Ergebnis. Ergänzend merkt er an:

Allerdings ist auch unter dem Gesichtspunkt fairer Verfahrensgestaltung in der Hauptverhandlung ein Zwischenverfahren, in dem sich das Gericht zu Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären müßte, nicht vorgesehen (vgl. im einzelnen BGHSt 43, 212 ff.). Bei Berücksichtigung der für diese Auffassung maßgeblichen Überlegungen war der Tatrichter im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres gehalten, vor Urteilsberatung einen derartigen spezifizierten Hinweis zu erteilen. Die damit verbundene Zusage mußte aber eingehalten werden.

Wenn auch dem Hinweis in seiner Gesamtheit zu entnehmen war, daß sowohl mit einer Verurteilung nach § 223 b StGB a.F. als auch mit einer Verwertung der früheren Vorfälle im Rahmen der Strafzumessung gerechnet werden mußte - die Verteidigung sich also ohnehin gegen beides zu richten hatte kann doch nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, daß das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Dem steht letztlich nicht entgegen, daß - erkennbar - die Frage der Affektbeurteilung im Rahmen der Schuldfähigkeit nicht anders als bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals "roh" in § 223 b StGB a.F. ausfallen konnte und daß ein "klassischer Affekt" auch ohne Heranziehung früherer Mißhandlungen durch die Angeklagte vom Tatrichter hätte verneint werden können (vgl. UA S. 20).

Da die Verfahrensrüge in vollem Umfang Erfolg hat, bedarf es eines näheren Eingehens auf die Sachrüge nicht. Die Nachprüfung des Urteils durch den Senat hat insoweit jedoch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; durch die milde Strafe ist sie nicht beschwert.

Externe Fundstellen: StV 2001, 387

Bearbeiter: Rocco Beck