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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 468/00, Beschluss v. 20.12.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 468/00 - Beschluß v. 20. Dezember 2000 (LG Koblenz)

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Betäubungsmitteldelikten; Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

§§ 25 ff. StGB; §§ 29 ff. BtMG; § 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 30. März 2000 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte L. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,

c) soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen sowie versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner auf die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 4) beschränkten auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt der Angeklagte insoweit einen Freispruch sowie eine Herabsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe.

Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Die entgegen der Ansicht der Revision fehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen "gemeinschaftlichen" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall 4 der Urteilsgründe. Das Landgericht hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten nur als Beihilfe anzusehen ist.

Auch im Bereich des weit auszulegenden Tatbestands des Handeltreibens bedarf es der Abgrenzung der Mittäterschaft zur Beihilfe nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36). Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Angeklagten abhängen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2000, 482, 483). Eine ganz untergeordnete Tätigkeit deutet schon objektiv darauf hin, daß der Beteiligte nur Gehilfe ist (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 39).

Die erforderliche Abgrenzung hat die Strafkammer nicht vorgenommen, obwohl die Feststellungen dazu Anlaß gaben. Der Angeklagte war zwar bei dem der Verurteilung zugrundeliegenden Geschäft anwesend, dies konnte, wie die Strafkammer meint, von den Beteiligten nur so verstanden werden, daß es seine Aufgabe war, "dem Zeugen K. bei der Durchführung seiner Geschäfte beizustehen und ihm den hierbei erforderlichen Schutz zu gewähren". Diese Feststellung kann zwar darauf hindeuten, daß im Sinne des § 27 StGB die Tat des K. gefördert oder erleichtert wurde (vgl. zum "Dabeisein": BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 15 und 18), für die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens ausreichende Feststellungen über den Grad des eigenen Interesses und die Gewichtigkeit des Tatbeitrages ergeben sich daraus aber nicht. Dazu kommt, daß die Urteilsgründe auch nicht belegen, daß die Strafkammer davon überzeugt war, der Angeklagte habe, was notwendig gewesen wäre (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Handeltreiben 1; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15 und 41), "eigennützig" gehandelt. Das Landgericht geht nämlich nur davon aus, daß es "nahe lag", der Angeklagte beteilige sich an den Rauschgiftgeschäften des Zeugen K., um hierdurch seinen Eigenkonsum zu finanzieren.

Die Verurteilung des Angeklagten im Fall 4 der Urteilsgründe kann somit keinen Bestand haben. Dies zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

Die Revision führt auch zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit, als es das Landgericht unterlassen hat, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist.

Nach den Feststellungen ist er seit 1994 rauschgiftsüchtig, er hat Heroin und Kokain konsumiert. Seit 1997 ist er in ärztlicher Behandlung, während der er mit Kodeinsaft substituiert wurde. "Hierdurch bedingt war er bis zu seiner Verhaftung mehr oder weniger drogenabstinent; lediglich an Wochenenden und bei Fehlen von Kodeinsaft griff er noch auf Drogen zurück". Nach diesen Urteilsfeststellungen drängte sich für den Tatrichter eine Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Dem steht nicht entgegen, daß die Voraussetzungen des § 21 StGB rechtsfehlerfrei verneint wurden und der Angeklagte sich einer Substitutionsbehandlung unterzieht.

Die Strafkammer hätte prüfen müssen, ob die zu beurteilenden Taten auf den Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und ob die Gefahr besteht, daß er infolge seiner Abhängigkeit rückfällig werden und dem durch seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet werden kann. Es ist nicht ersichtlich, daß keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (vgl. BVerfG StV 1994, 594). Daß nur der Angeklagte, der die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 38, 362), Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5).

Bearbeiter: Rocco Beck