Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 381/00, Beschluss v. 27.10.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 14. April 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe und mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt hierüber schuldig ist;
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrügen genügen aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht; im übrigen wären sie auch unbegründet. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts drang der Angeklagte, der zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,93 o/oo aufwies, nach einer vorausgegangenen Auseinandersetzung gewaltsam in die Wohnung des Geschädigten T. ein, nachdem er aus seinem Kraftfahrzeug eine dort verwahrte Pistole geholt hatte, die mit drei Patronen geladen war. Während der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Geschädigten aufbrach, rief diesen der gemeinsame Bekannte L. an, den T. zuvor, ebenso wie die Mutter des Angeklagten und die Polizei telefonisch davon verständigt hatte, daß der Angeklagte, nachdem T. ihm wegen seiner Trunkenheit den Zündschlüssel seines Fahrzeugs weggenommen hatte, auf dem Hof vordem Haus randaliere.
Während der Geschädigte mit dem Zeugen L. telefonierte, betrat der Angeklagte das Zimmer, lud die Pistole durch -wodurch die im Lauf befindliche Patrone ausgeworfen wurde - und schoß aus zwei Metern Entfernung gezielt auf den Kopf des Geschädigten. Das Geschoß traf den Telefonhörer; hierdurch wurde seine Durchschlagskraft so gemindert, daß das Projektil zwar in den Kopf des Geschädigten eindrang, jedoch im Weichteilgewebe unterhalb des Jochbeines stecken blieb. Aufgrund einer Fehlfunktion verklemmte der Verschluß der Waffe, so daß die dritte Patrone nicht abgefeuert werden konnte. Während der Angeklagte versuchte, diese Störung zu beseitigen, warf sich der Geschädigte auf ihn und nahm ihm die Pistole ab. Die erlittene Verletzung war nicht lebensbedrohlich.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
a) Soweit sich die Revision gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes wendet, kann sie keinen Erfolg haben, da sie nur eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der tatrichterlichen setzt. Das Landgericht hat jedoch rechtsfehlerfrei aus dem Umstand, daß der Angeklagte, der ein "Waffennarr" und geübter Schütze ist, aus einer geringen Entfernung auf den Kopf des Geschädigten zielte und die Pistole, als dieser aufstand, unter fortdauerndem Zielen auf den Kopf mitführte, auf einen "mindestens bedingten" Tötungsvorsatz geschlossen. Auf die widersprüchlichen Äußerungen des Angeklagten nach der Tat kommt es daher nicht an.
b) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch lag nicht vor. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Angeklagte habe "alles getan", um den Tod des Geschädigten herbeizuführen (UA S. 32), ist diese Formulierung zwar mißverständlich, da ein beendeter Versuch nicht vorlag. Der Versuch war jedoch fehlgeschlagen und ein strafbefreiender Rücktritt daher ausgeschlossen. Der Angeklagte war durch die Fehlfunktion der Waffe daran gehindert, erneut zu schießen; bevor er die Störung beseitigen konnte, wurde er vom Geschädigten überwältigt und entwaffnet.
c) Auch die Annahme (nur) verminderter Schuldfähigkeit begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat unter eingehender Würdigung der Beweisanzeichen sowie der Beurteilung durch den hierzu gehörten Sachverständigen das Vorliegen von Schuldunfähigkeit mit rechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint.
3. Der Rechtsfolgenausspruch hat jedoch keinen Bestand.
a) Der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat das Landgericht die Feststellung zugrunde gelegt, der - nicht vorbestrafte - Angeklagte, der sich selbst nicht alkoholabhängig fühle, trinke in unregelmäßigen Abständen, dann aber in erheblichen Mengen Alkohol. Er sei zwar nicht alkoholkrank, habe aber eine Neigung zum Alkoholmißbrauch. "Demzufolge" sei ein Hang im Sinne von § 64 StGB "zweifelsfrei gegeben" (UA S. 34). Die vorliegende Tat habe gezeigt, daß der Angeklagte unter Alkohol in aggressive Stimmung verfallen und diese durch Begehung schwerer Straftaten gegenüber anderen ausleben könne; "demzufolge" bestehe die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten infolge des Hanges.
Diese Ausführungen tragen die Anordnung der Maßregel nicht. Die Feststellung einer Neigung zum Alkoholmißbrauch belegt nicht, daß beim Angeklagten ein Hang im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB vorliegt. Hierfür reicht gelegentliches oder auch häufiges Sichbetrinken nicht aus; ein Hang liegt vielmehr erst vor, wenn das Verlangen nach übermäßigem Alkoholgenuß den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat (BGH NStZ 1998, 407; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 6 m.w.N.).
Auch eine Gefahr im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB ist mit den genannten Erwägungen des Landgerichts nicht hinreichend begründet. Zwar kann, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, die Annahme einer negativen Prognose grundsätzlich auch auf eine einzelne schwere Gewalttat gestützt werden. Voraussetzung ist jedoch stets, daß die Anlaßtat auf den Hang zurückzuführen ist. Vorliegend hat die Kammer im Rahmen der Prüfung der Schuldfähigkeit zwar das Vorliegen eines alkoholbedingten psychischen Dämmerzustands erörtert, dessen Vorliegen jedoch gerade verneint. Daß die - allgemeine - Möglichkeit besteht, der Angeklagte könne unter Alkoholeinwirkung Aggressionstaten begehen, reicht für den von § 64 Abs. 1 StGB vorausgesetzten prognostischen Zusammenhang nicht aus.
b) Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich die rechtsfehlerhaften Erwägungen zur Maßregelanordnung auch auf den Strafausspruch ausgewirkt haben; er hebt den Rechtsfolgenausspruch daher insgesamt auf.
Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, daß auch die Gründe, aus denen das Landgericht eine Milderung des Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB versagt hat, rechtlichen Bedenken begegnen. Eine Strafrahmensenkung hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, es sei "nicht dem Verhalten des Angeklagten zuzurechnen, daß der Tötungserfolg nicht eingetreten ist". Der Umstand, daß das Projektil von dem Telefonhörer so gehemmt und abgelenkt wurde, daß der Geschädigte nur eine Fleischwunde erlitt, könne dem Angeklagten nicht zugute kommen; dieser habe "alles getan, um den Tod (des Geschädigten) herbeizuführen, was er auch zumindest billigend in Kauf nahm" (UA S. 32). Diese Erwägungen enthalten im Ergebnis nur die Feststellung, daß der Angeklagte vorsätzlich handelte und vom Versuch nicht - strafbefreiend - zurückgetreten ist; beide Gesichtspunkte begründen jedoch erst die Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags und können daher, in der Regel einer Strafrahmenmilderung nicht entgegenstehen (vgl. BGH StV 1995, 462; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8, 12). Zwar könnten hier einer Strafrahmensenkung die besondere Gefährlichkeit der Tathandlung sowie die darin zum Ausdruck kommende kriminelle Energie des Angeklagten entgegenstehen; die Entscheidung bedarf jedoch einer vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung (vgl. BGHSt 36, 1, 18).
4. Die vom Angeklagten begangene gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB steht zu dem versuchten Tötungsdelikt im Verhältnis der Tateinheit (BGHSt 44, 196). Der Senat hat insoweit auf Anregung des Generalbundesanwalts den Schuldspruch ergänzt. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders hätte verteidigen können.
Mangels gesetzlicher Überschrift ist der Tatbestand der zugleich verwirklichten Delikte nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a und b Waffengesetz im Schuldspruch durch Umschreibung hinreichend deutlich zu kennzeichnen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 260 Rdn. 23).
Bearbeiter: Rocco Beck