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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 542/99, Beschluss v. 10.11.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 542/99 - Beschluß v. 10. November 1999 (LG Passau)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Rechtsmittelverzicht wegen Verhandlungsunfähigkeit; Freibeweis; In dubio pro reo; Zweifelsgrundsatz

§ 349 Abs. 1 StPO; § 274 StPO; § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Verhandlungsunfähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen, auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an. (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16).

2. Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorlag, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen; der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht (BGH aaO).

3. Der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts steht nicht entgegen, daß eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben war (vgl. BGH NStZ 1984, 181).

Entscheidungstenor

Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 11. August 1998 wird als unzulässig verworfen.

Der Beschuldigte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Die Revision ist unzulässig, weil Rechtsanwalt W. als Verteidiger des Beschuldigten sowie der Beschuldigte selbst ausweislich des beweiskräftigen Protokolls der Hauptverhandlung (vgl. § 274 StPO) nach Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet haben.

Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß der Beschuldigte bei Abgabe dieser Erklärung etwa verhandlungsunfähig und damit nicht in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen, auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280; BGH bei Kusch NStZ 1997, 378; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16). Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorlag, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen; der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht (BGH aaO).

Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf, daß Bedenken an der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten bestanden haben. Er hat aktiv an der Verhandlung teilgenommen und Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen sowie zur Sache gemacht. Während eines Teils der Verhandlung war ein nervenfachärztlicher Sachverständiger anwesend. Wenn das Landgericht danach keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16).

Der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts steht nicht entgegen, daß eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben war (vgl. dazu BGH NStZ 1984, 181).

Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach allem kein Raum.

Bearbeiter: Karsten Gaede