Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 537/99, Beschluss v. 02.02.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 1999 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betruges zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Der Rüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde: Nach dem 10. von insgesamt 16 Hauptverhandlungstagen legten die beiden aus derselben Sozietät stammenden Wahlverteidiger der Angeklagten ihr Mandat nieder. Am folgenden Hauptverhandlungstag beantragten die inzwischen beauftragten, aus verschiedenen Sozietäten stammenden neuen Wahlverteidiger die Aussetzung der Hauptverhandlung. Sie begründeten dies insbesondere damit, daß eine ordnungsgemäße Verteidigung der Angeklagten ohne eine Wiederholung der gesamten bisherigen Beweisaufnahme nicht möglich sei, weil sie sich kein eigenes Urteil über Inhalt und Glaubhaftigkeit der bisherigen Zeugenaussagen bilden könnten. Die Strafkammer hat diese und die beiden später gestellten Aussetzungsanträge zurückgewiesen. Sie hielt die angeordnete zehntägige Unterbrechung der Hauptverhandlung u.a. im Hinblick auf die den Verteidigern zur Verfügung gestellten Mitschriften der Berichterstatterin für ausreichend.
Diese Verfahrensweise beanstandet die Revision mit Recht als unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) und Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO.
Nach § 265 Abs. 4 StPO ist das Gericht verpflichtet, die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn dies wegen veränderter Sachlage zu einer genügenden Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheint. Eine Veränderung der Sachlage kann auch durch einen Wechsel des Verteidigers eintreten (BGH NJW 1965, 2164, 2165). Erklärt der neubestellte Verteidiger, daß er zur Verteidigung nicht genügend vorbereitet sei, so entscheidet das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber, ob die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen ist. Das Gericht kann nach dem geltenden Strafverfahrensrecht die Hauptverhandlung grundsätzlich mit dem neubestellten Verteidiger fortsetzen, ohne von neuem beginnen zu müssen. Es wird immer von den Umständen des einzelnen Falles abhängen, ob die Anwesenheit desselben Verteidigers bei allen Teilen der Hauptverhandlung für eine sachgemäße Durchführung der Verteidigung unbedingt notwendig ist (BGHSt 13, 337, 340).
Die Besonderheiten des vorliegenden Falles machten es erforderlich, die Hauptverhandlung auszusetzen oder - was hier nicht geschehen ist - zumindest den Hauptbelastungszeugen erneut, nunmehr in Anwesenheit der neuen Verteidiger, zu vernehmen (vgl. BGHSt 13, 337, 345). Von Bedeutung waren hier insbesondere die Schwere des Anklagevorwurfs (BGH NStZ 1983, 281), der zu nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafen geführt hat, und die Beweislage im Zeitpunkt des Verteidigerwechsels. Alle besonders wichtigen Zeugen waren bereits vernommen. Der zentrale Punkt des Verfahrens ist die Frage, ob der Angeklagte Dr. W. als Rechtsanwalt gegenüber einem Mandanten, bevor dieser der Mitangeklagten D. 400.000 DM zur Verfügung stellte, hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des Geldes und der wirtschaftlichen Lage der Mitangeklagten D. unwahre Angaben gemacht hat. Dritte waren bei dem fraglichen Gespräch nicht zugegen. Die dazu von dem Geschädigten abgegebene Darstellung wird von den Angeklagten bestritten. Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen war daher - auch ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils - von entscheidender Bedeutung. Sie wurde von der Verteidigung u.a. mit der Begründung in Frage gestellt, der Zeuge habe während der Hauptverhandlung widersprüchliche Angaben gemacht. Hinzu kommt, daß die Kammer selbst der vom Zeugen während der Vernehmung gezeigten Mimik und Gestik Bedeutung beigemessen hat. So wird in dem angefochtenen Urteil angeführt, der Zeuge habe in Richtung des Angeklagten keinerlei Belastungsinteressen gezeigt und sogar einen Handschlag angedeutet, während er der Mitangeklagten lediglich einen abschätzigen Blick zugeworfen habe.
Ob eine andere Beurteilung angezeigt sein könnte, wenn die Mandatsniederlegung erfolgte, um einen Abbruch der Hauptverhandlung zu erzwingen, kann dahingestellt bleiben. Für ein solches Verhalten gibt es hier keine Anhaltspunkte. Die Verteidiger beriefen sich insoweit auf einen erst im Laufe der Hauptverhandlung aufgetretenen Interessenwiderstreit. Dabei bezogen sie sich auf ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten, das die Strafkammer in den im hiesigen Verfahren nach dem 7. Hauptverhandlungstag erlassenen Haftbefehlen zur Begründung der Fluchtgefahr angeführt hatte. In diesem weiteren Ermittlungsverfahren wird die Angeklagte D. - anders als im vorliegenden Verfahren - vom Mitangeklagten Dr. W. belastet. Daß die Mandatsniederlegungen aus diesem sachgerechten Grund (vgl. § 3 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte) erfolgten, hat auch die Strafkammer in den die Aussetzung ablehnenden Beschlüssen nicht in Frage gestellt.
Externe Fundstellen: StV 2000, 183
Bearbeiter: Karsten Gaede