hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 505/99, Urteil v. 11.01.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 505/99 - Urteil v. 11. Januar 2000 (LG Stuttgart)

Totschlag; Mord; Auslieferungsrechtlicher Grundsatz der Spezialität; Niedrige Beweggründe

§ 211 Abs. 2 StGB; § 212 StGB; § 264 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der auslieferungsrechtliche Grundsatz der Spezialität schließt eine Verurteilung des Ausgelieferten unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht aus, sofern es sich um dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt und der weitere Straftatbestand ebenfalls auslieferungsfähig ist.

2. Ob ein Beweggrund niedrig ist, also nach allgemeiner Wertung auf tiefster Stufe steht, ist auf Grund einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, welche die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte sowie die Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation einbezieht (BGH StV 1981, 399; 1981) 400). Zwar kommt dem krassen Mißverhältnis zwischen Tatanlaß und Tötung, wie es hier außer Frage steht, maßgebliche Bedeutung zu. Die Feststellung eines solchen Mißverhältnisses allein genügt aber nicht für die Annahme eines niedrigen Beweggrundes. Faßte der Täter den Tötungsentschluß ohne Plan und Vorbereitung "spontan" aus der Situation heraus, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob er sich bei der Tat der Umstände bewußt war, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen (BGH StV 1982, 566, StV 1984, 72; 1984, 465).

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. Mai 1999 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten durch diese Revision entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren sowie den Angeklagten C. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die vom Angeklagten R. in Spanien erlittene Auslieferungshaft ist im Verhältnis eins zu eins auf die verhängte Strafe angerechnet worden. Nach den Feststellungen waren die Angeklagten und zwei gesondert verfolgte Brüder des Angeklagten R. am 26. April 1998 übereingekommen, am Abend dieses Tages R. in dessen Haus zu überfallen und ihn zur Herausgabe von Bargeld und EC-Karte unter Preisgabe seiner Geheimzahl zu zwingen. Das Erpressungsvorhaben scheiterte, weil der Geschädigte die Täter, die bereits in das Anwesen eingedrungen waren und sich zunächst versteckt hielten, entdeckte und sich unerwartet wehrhaft zeigte. Während sich der Angeklagte C. zurückzog, kam es dazu, daß der Angeklagte R. zu seinem Messer griff und das Opfer mit zahlreichen Stichen tötete.

Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten R. wegen Mordes und eine schärfere Bestrafung des Angeklagten C. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Revision, die sich in vollem Umfang gegen die Verurteilung des Angeklagten R. richtet, ist unbegründet.

An der Prüfung, ob die Tat des Angeklagten nicht nur Totschlag, wie in dem der spanischen Auslieferungsbewilligung zugrunde liegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom B. Mai 1998 angenommen, sondern Mord darstelle, war das Landgericht nicht durch den auslieferungsrechtlichen Grundsatz der Spezialität gehindert. Dieser Grundsatz schließt eine Verurteilung des Ausgelieferten unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht aus, sofern es sich um dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt und der weitere Straftatbestand ebenfalls auslieferungsfähig ist (vgl. Schomburg in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 3. Aufl. § 72 Rdn. 20). So verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Auslieferungsbewilligung hinsichtlich des dem Angeklagten R. zur Last gelegten Sachverhalts keine Einschränkung enthält.

1. Die Strafkammer hat ihre Auffassung, es liege kein Mordmerkmal i. S. v. § 211 Abs. 2 StGB vor, rechtsfehlerfrei begründet.

a) Was ein mögliches Handeln in der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, angeht, hält sie es zu Recht für nicht erweislich, der Angeklagte habe durch die Tötung des Geschädigten verhindern wollen, daß dieser eine Anzeige wegen des unbefugten Eindringens in sein Haus in räuberischer Absicht erstatte. Das Gericht berücksichtigt dabei, daß der Angeklagte und seine Begleiter ihn ohnehin unmaskiert überfallen wollten und offenbar auf die schamhafte Verschwiegenheit des homosexuell veranlagten Opfers vertrauten.

b) Entgegen der Meinung der Revision halten auch die Erwägungen, mit denen die Strafkammer im übrigen ein Handeln aus niedrigen Beweggründen verneint, der Nachprüfung stand.

Ob ein Beweggrund niedrig ist, also nach allgemeiner Wertung auf tiefster Stufe steht, ist auf Grund einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, welche die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte sowie die Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation einbezieht (BGH MDR 1981, 509, 510; StV 1981, 399; 1981, 400). Zwar kommt dem krassen Mißverhältnis zwischen Tatanlaß und Tötung, wie es hier außer Frage steht, maßgebliche Bedeutung zu. Die Feststellung eines solchen Mißverhältnisses allein genügt aber nicht für die Annahme eines niedrigen Beweggrundes. Faßte der Täter den Tötungsentschluß ohne Plan und Vorbereitung "spontan" aus der Situation heraus, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob er sich bei der Tat der Umstände bewußt war, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen (BGH StV 1982, 566 = NStZ 1983, 19; StV 1984, 72; 1984, 465; Urt. vom 25. Mai 1983 - 3 StR 112/83). Nach diesen Grundsätzen ist das Landgericht verfahren.

Unzutreffend ist die Darstellung der Revision, das Gericht habe seine Entscheidung letztlich nur damit begründet, daß sich der Angeklagte spontan zur Tötung des Opfers entschlossen habe. Vielmehr hat sich die Strafkammer mit allen hier in Betracht kommenden Motiven des Angeklagten auseinandergesetzt. So hat sie neben dem Ermöglichen oder dem Verdecken einer Straftat auch Wut oder Verärgerung über das Scheitern des Erpressungsplans, Haß gegenüber Männern von der Art des Geschädigten sowie Imponiergehabe des Angeklagten als Beweggrund für die Tötung des Opfers in Erwägung gezogen und jeweils mit tragfähiger Begründung verworfen.

Demgegenüber stellt das Gericht zur psychischen Lage des Angeklagten fest, daß dieser, nachdem er die ursprünglich geplante Erpressung "offenbar unbekümmert" angegangen war, "aufgrund einer unvorhergesehenen Entwicklung des Geschehens durch das unerwartete Eintreffen des Geschädigten im Flur und den von Handgreiflichkeiten begleiteten Hausverweis in eine als bedrohlich empfundene Augenblickssituation geriet und in. dieser - nicht zuletzt aufgrund seiner Persönlichkeitsmängel - angstvoll und völlig unangemessen reagierte". Dabei kennzeichnet die Strafkammer - sachverständig beraten - den Angeklagten als eine narzißtische Persönlichkeit mit emotional instabilen und asthenischen Zügen. Er weise eine erhebliche Selbstwertproblematik auf und sei "in hohem Maße stör- und irritierbar und wenig belastbar".

Die Strafkammer hat eine Gesamtwürdigung vorgenommen, die Zweifel daran erweckt, daß den Angeklagten bei der Tat niedrige Beweggründe bestimmten. Ihre Wertung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten oder, was gemäß § 301 StPO zu prüfen war, zu seinen Lasten auf.

Die Strafkammer hat straferschwerend berücksichtigt, daß der Angeklagte R. vor der Tat zusammen mit zwei Begleitern unbefugt, heimlich und in unlauterer Absicht in das Haus des ihm völlig unbekannten Opfers - und damit in dessen als Intimsphäre besonders geschützten Bereich - eingedrungen war. Die Ansicht seiner Verteidigerin, diese Erwägung sei unvereinbar mit dem auslieferungsrechtlichen Grundsatz der Spezialität (vgl. BGHSt 22, 318 sowie BGH NStZ 1987, 417), trifft nicht zu. Wie bereits dargelegt, erfaßt die Auslieferungsbewilligung mangels näherer Beschränkung die gesamte Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Dazu gehört auch der gemeinschaftlich begangene Versuch einer schweren räuberischen Erpressung.

3. Was den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung angeht, hat bereits das Landgericht diese Gesetzesverletzung gemäß § 154 a Abs, 2 StPO ausgeschieden. Für eine Einbeziehung wäre kein Raum, weil sie das Revisionsgericht daran hindern würde, die rechtsfehlerfrei erfolgte Verurteilung des Angeklagten wegen des erörterten Tötungsverbrechens zu bestätigen (vgl. BGHSt 21, 326 sowie BGH NJW 1984, 1365).

Im übrigen hat der Senat - mit Beschluß vom 11. Januar 2000 - auch den Vorwurf eines tateinheitlich begangenen Verbrechens des versuchten Raubes mit Todesfolge (§§ 251, 22, 23 Abs. 1 StGB; vgl. BGH NStZ 1998, 511 f.) gemäß § 154 a Abs. 2 StPO ausgeschieden.

II.

Die zu Ungunsten des Angeklagten C. eingelegte Revision, die sich gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet, bleibt ebenfalls erfolglos.

1. Vergeblich wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Höhe der verhängten Strafe, die sie als unvertretbar niedrig ansieht. Die Feststellung der beiden Einzelstrafen und die Bildung der Gesamtstrafe sind nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat die wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte bedacht. Sie hat erschwerend herangezogen, daß der Geschädigte von vier Personen in seinem Privathaus überraschend überfallen werden sollte, wobei einer der Täter sein Vertrauen mißbrauchte, um in das Anwesen mitgenommen zu werden, und drei weitere in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken heimlich in seine Wohnung als geschützten Bereich eindrangen. Mit ihrem Vorbringen, bei seiner Entscheidung habe das Gericht den strafschärfenden Umständen zu wenig Bedeutung beigemessen, zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf.

2. Die Einwände der Revision gegen die dem Angeklagten bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung greifen nicht durch. Die landgerichtliche Entscheidung zur günstigen Kriminalprognose, zu den besonderen Umständen und zur Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 StGB) ist rechtsfehlerfrei begründet Bei der Gesamtwertung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB durfte die Strafkammer den im Urteil dargelegten Milderungsgründen besonderes Gewicht beimessen (der nur geringfügig vorbestrafte Angeklagte befand sich ca. elf Monate in Untersuchungs- und Strafhaft; in dieser Zeit mußte er sich einer Operation wegen eines Prostatakarzinoms unterziehen; in das Erpressungsvorhaben ließ er sich in einer schwierigen finanziellen Situation durch Dritte hineinziehen; der Versuch der schweren räuberischen Erpressung schlug bereits im Anfangsstadium fehl). Entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft ist nicht zu besorgen, hierbei seien die im Urteil aufgeführten Strafschärfungsgründe außer Betracht geblieben.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2000, 333

Bearbeiter: Karsten Gaede