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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 390/99, Beschluss v. 17.08.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 390/99 - Beschluß v. 17. August 1999 (LG Ulm/Donau)

Fahrlässige Tötung; Tateinheit; Fahrlässige Brandstiftung; Herdplatten-Fall; Garantenstellung der Mutter; Abgrenzung aktives Tun und Unterlassen;

§ 222 StGB; § 13 Abs. 1 StGB; §§ 1626 ff. BGB;

Leitsätze des Bearbeiters

1. Einzelfall einer fahrlässigen Tötung eines Kindes infolge Verletzung der Aufsichtspflicht.

2. Zur einer Aufhebung des Strafausspruchs wegen unterlassener Prüfung, ob im "Verlassen der Wohnung unter (unbeaufsichtigter) Zurücklassung des Kindes" nicht entgegen der Annahme des Landgerichts nur ein Unterlassen liegt, welches möglicherweise gemäß § 13 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu einer Strafrahmenverschiebung führen kann.

3. Für die Entscheidung der Frage, ob ein Tun oder ein Unterlassen vorliegt, kommt es auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an, der in wertender Würdigung vom Tatrichter zu entscheiden ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm (Donau) vom 23. April 1999 im Strafausspruch aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe

Die Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ihre auf die Sachrüge gestützte Revision hat teilweise Erfolg.

1. Die Angeklagte ließ am Vormittag des 5. August 1998 ihre damals drei Jahre alte Tochter M. für längere Zeit allein in der Wohnung zurück. Obwohl M. schon früher in einem unbeaufsichtigten Moment die Herdplatten eingeschaltet hatte, traf die Angeklagte auch gegen diese Möglichkeit keine Vorkehrungen. Im Laufe des Tages setzte M. die Herdplatten erneut in Gang. Durch die Hitzeentwicklung fing neben den Herdplatten liegendes Papier Feuer, es kam zu einem Küchenbrand, M. erstickte.

2. Die Strafkammer geht ohne nähere Begründung davon aus, es liege ein aktives Tun der Angeklagten, nämlich das "Verlassen der Wohnung unter Zurücklassung des Kindes" vor. Ob statt dessen auch eine Strafbarkeit durch Unterlassen vorliegen könnte - die Angeklagte hatte gemäß §§ 1626 ff. BGB als Mutter eine Garantenstellung, so daß gemäß § 13 Abs. 1 StGB ein Unterlassen einem aktiven Tun gleichgestellt ist - ist nicht näher geprüft. Dies läßt zwar den auch im übrigen rechtsfehlerfreien Schuldspruch unberührt, führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs, da gemäß § 13 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB ein Unterlassen zu einer Strafrahmenverschiebung führen kann. Für die Entscheidung der Frage, ob ein Tun oder ein Unterlassen vorliegt, kommt es auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an (vgl. BGHSt 6, 46, 59; OLG Düsseldorf JMBI NW 1983, 199, 200). Darüber ist in wertender Würdigung vom Tatrichter zu entscheiden. Hier wäre abzuwägen gewesen, daß zwar das Verlassen der Wohnung ein aktives Tun darstellt, daß dies für sich genommen aber unschädlich gewesen wäre, wenn es die Angeklagte nicht unterlassen hätte, für eine anderweitige Aufsicht zu sorgen oder zumindest den Herd technisch zu sichern. Das Revisionsgericht kann in Fällen, in denen ein unterschiedliches Ergebnis der Würdigung vertretbar wäre, eine vom Tatrichter unterlassene Würdigung nicht durch eine eigene ersetzen.

3. Es ist nicht auszuschließen, daß der Strafausspruch auf dem aufgezeigten Mangel beruht, da in die Prüfung, ob bei Unterlassen eine Strafrahmenverschiebung vorzunehmen ist, alle wesentlichen, also nicht nur die unterlassungsbezogenen Strafzumessungsgesichtspunkte einzubeziehen sind (BGH StV 1998, 536 f.). Hier hat die Strafkammer eine Reihe gewichtiger Strafmilderungsgründe festgestellt. So hatte die nicht vorbestrafte Angeklagte die Wohnung nicht zuletzt deshalb verlassen, um beim Jugendamt Einzelheiten einer Betreuung des Kindes durch eine Pflegefamilie zu besprechen; um eine solche Betreuung hatte sie selbst nachdrücklich gebeten. weil sie sich der Erziehung des Kindes nervlich nicht gewachsen fühlte.

4. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen sind von alledem unberührt. Da sie auch sonst, wie der Generalbundesanwalt im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, rechtsfehlerfrei sind, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 607

Bearbeiter: Karsten Gaede