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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 216/99, Urteil v. 06.07.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 216/99 - Urteil v. 6. Juli 1999 (LG Karlsruhe)

Tatmehrheit; Tateinheit; Vergewaltigung; Zäsur; Ausnutzen einer schutzlosen Lage;

§ 177 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Verknüpfung zweier Vergewaltigungen zur Tateinheit aufgrund Teilidentität der Ausführungshandlung oder natürlicher Handlungseinheit entfällt, wenn das Tatgeschehen anhand der getrennten Tatentschlüsse eine deutliche Zäsur aufweist.

2. Den Vergewaltiger trifft bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr ein erhöhter Vorwurf auch dann, wenn objektiv weder die Gefahr der Schwangerschaft noch die der Infektion mit gefährlichen Krankheiten besteht, da es auf die vom Täter erkannte Sicht des Opfers ankommt.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 8. Dezember 1998 wird verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte nachts mit der ihm flüchtig bekannten Geschädigten zu einem abseits der Straße gelegenen See. Das dortige Gelände war zu dieser Zeit menschenleer. Nachdem er sich zunächst wie zuvor angekündigt - lediglich mit der Geschädigten unterhalten hatte, drückte er sie plötzlich gewaltsam auf den Boden, entkleidete sie und setzte sich auf die Brust der sich heftig wehrenden Geschädigten. Zuerst versuchte der Angeklagte vergeblich, sein Opfer zum Oralverkehr zu zwingen. Anschließend sagte er, um sie gefügig zu machen und ihr Schreien zu unterbinden: "Wenn du nicht das Maul hältst, schlag ich dich." Sodann führte er sein Glied (ohne daß es zum Samenerguß kam) ungeschützt in ihre Scheide ein. Dann ließ der Angeklagte vorerst von seinem Opfer ab.

Nachdem sie sich wieder angekleidet hatte, lief die Geschädigte zu dem Fahrzeug des Angeklagten, um ihre Handtasche zu holen und sodann fortzulaufen. Der Angeklagte, "der erneut den Entschluß gefaßt hatte", unter Ausnutzung der einsamen Lage den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten auszuführen, folgte ihr und drang in sein Fahrzeug ein, in das die Geschädigte geflüchtet war. Dort zog er die sich heftig wehrende Geschädigte aus und führte sein Glied erneut ungeschützt in ihre Scheide ein, und zwar, bis kurz vor dem Samenerguß, der außerhalb ihres Körpers erfolgte.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei das Vorliegen zweier selbständiger Vergewaltigungen, die zueinander in Tatmehrheit stehen, bejaht.

Es kann dahingestellt bleiben, ob allein das Ausnutzen derselben schutzlosen Lage wie bei einheitlicher Gewalteinwirkung (vgl. BGH bei Janßen NStZ-RR 1998, 325) und bei fortgesetzter oder fortwirkender Drohung (vgl. BGH NStZ 1985, 546) den mehrfach erzwungenen Geschlechtsverkehr wegen Teilidentität der Ausführungshandlung (BGHSt 43, 317, 319; BGH NStZ-RR 1998, 68, 69) zur Tateinheit verknüpfen kann oder ob in diesen Fällen bei mehrfacher Tatbestandsverwirklichung eine Tat im Rechtssinne nur unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit (BGHSt 4, 219, 220; BGH NStZ-RR 1998, 68, 69) in Betracht kommt. Im vorliegenden Fall führt jedenfalls die deutliche Zäsur zwischen den sexuellen Übergriffen zur Annahme zweier rechtlich selbständiger Taten.

Der Angeklagte hat vor dem zweiten erzwungenen Geschlechtsverkehr einen neuen Tatentschluß gefaßt. Auch ein objektiver Beobachter konnte hier eine Zäsur erkennen. Nach dem ersten Geschlechtsverkehr ließ der Angeklagte zunächst von seinem Opfer ab. Die Geschädigte ging dann auch offensichtlich von einer Beendigung des gegen sie gerichteten Angriffs aus, da sie nicht sofort die Flucht ergriff, sondern sich zunächst vollständig ankleidete und sodann zum Wagen des Angeklagten ging, um dort ihre Handtasche zu holen. Der Angeklagte versuchte auch nicht, das Ankleiden zu verhindern. Außerdem konnte die Geschädigte vor Beginn der zweiten Vergewaltigung zunächst die Türschlösser des Wagens von innen blockieren.

2. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß der Angeklagte bei der zweiten Tat zwei und bei der ersten alle drei Varianten des § 177 Abs. 1 StGB (Gewalt, Drohung, Ausnutzen einer schutzlosen Lage) erfüllt hat. Der Erörterung bedarf dies nur hinsichtlich der während der ersten Vergewaltigung erfolgten Drohung. Zwar stellt nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung eine "Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" i.S.d. § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar (BGHSt 7, 252, 254; BGH bei Dallinger MDR 1975, 22, 196, 367). Das Merkmal der Drohung erfordert hier vielmehr eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist nicht jede Drohung mit einer Handlung, die im Falle ihrer Verwirklichung Gewalt wäre, eine Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben. Doch können vorausgegangene Mißhandlungen oder Drohungen eine fortwirkende Rolle spielen; so kann sich aus einer Gesamtschau heraus das Vorliegen einer Drohung i.S.d. § 177 StGB ergeben, wenn der Täter dem Opfer gegenüber ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 1 und 8). Es ist mithin nicht isoliert auf die Ankündigung des Angeklagten "Wenn du nicht dein Maul hältst, schlage ich dich" abzustellen. Zu berücksichtigen ist auch, daß der Angeklagte gleichzeitig eine erhebliche Gewaltbereitschaft zeigte, indem er die sich heftig wehrende Geschädigte so fest auf den Boden niederdrückte, daß es bei ihr zu punktförmigen Hautblutungen kam. Außerdem hatte der Angeklagte kurz zuvor die Geschädigte eingeschüchtert, indem er angesichts ihrer Gegenwehr und ihres Schreiens erklärte, dies bringe doch nichts, es sei sowieso niemand da. Diese Umstände und die Einsamkeit des Ortes gaben der Drohung des Angeklagten ein stärkeres Gewicht; sie stellt daher mehr als die Androhung einer nicht sehr bedeutenden Mißhandlung dar. Eine solche Drohung ist in ihrem Gewicht mit der Androhung etwa einer Ohrfeige nicht vergleichbar.

b) Zu Recht hat die Strafkammer den Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms straferschwerend berücksichtigt. Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, daß es sich bei einer Vergewaltigung strafschärfend auswirken kann, wenn der Geschlechtsverkehr ungeschützt und mit Samenerguß in der Scheide stattfand (BGHSt 37, 153; BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vergewaltigung 5; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 10 und 11). Erschwerend wirkt sich dabei insbesondere die Gefahr einer unerwünschten Schwangerschaft aus oder der Umstand, daß eine solche Tatausführung mit der erhöhten Gefahr einer HIV-Infektion verbunden sein kann. Dabei ist zu beachten, daß bereits vor dem eigentlichen Samenerguß Körperflüssigkeit austreten kann. Hinzu kommt, daß das Opfer im Hinblick auf die vorgenannten möglichen Folgen bereits bei der Tatausführung zusätzlichen Ängsten ausgesetzt wird. Zumindest der letztgenannte straferschwerende Gesichtspunkt liegt auch vor, wenn es beim ungeschützten Geschlechtsverkehr - wie hier - nicht zum Samenerguß in der Scheide des Opfers kam. Den Vergewaltiger trifft bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr ein erhöhter Vorwurf auch dann, wenn objektiv weder die Gefahr der Schwangerschaft noch die der Infektion mit gefährlichen Krankheiten besteht, da es auf die vom Täter erkannte Sicht des Opfers ankommt (G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl., Rdn. 645a).

Zwar gibt es Fallgestaltungen, bei denen es nicht strafschärfend ins Gewicht fällt, daß der Geschlechtsverkehr ungeschützt ausgeführt wurde. Ist etwa die Tat unmittelbar aus einer länger dauernden Beziehung heraus begangen, so kann es an einem erhöhten Schuldvorwurf im dargelegten Sinne deshalb fehlen, weil der Täter auf Grund der engen Vertrautheit mit dem Opfer davon ausgegangen ist, daß es selbst Vorkehrungen gegen eine unerwünschte Schwangerschaft getroffen hat, und der Geschlechtsverkehr in dem vorausgegangenen Liebesverhältnis üblicherweise ungeschützt vollzogen worden ist (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 10). Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nicht vor. Die Geschädigte kannte den Angeklagten nur flüchtig und hatte keine Sicherheit dahingehend, daß eine Ansteckung mit einer Krankheit durch ihn aus geschlossen war.

c) Bei der Bildung der Gesamtstrafe hat die Strafkammer zu Recht den "sehr nahen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Taten" strafmildernd berücksichtigt.

3. Auch im übrigen enthält das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 505

Bearbeiter: Karsten Gaede