hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 558/97, Beschluss v. 18.12.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 558/97 - Beschluss vom 18. Dezember 1997

Tatbestandsmerkmal des Sichverschaffens bei der Geldfälschung (beabsichtigte Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung; Anfragebeschluss).

§ 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Entscheidungstenor

Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, daß das Sichverschaffen im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB über die faktische Verfügungsgewalt hinaus voraussetzt, daß der Täter das Falschgeld mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung annimmt (BGHSt 3, 154, 156).

Er fragt im Hinblick auf die Senatsentscheidungen BGHSt 35, 21 und BGHR StGB § 146 Abs. 1 Nr. 2 Sichverschaffen 4 bei den anderen Strafsenaten an, ob dortige, diesen Entscheidungen entsprechende Rechtsprechung entgegensteht.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen Beihilfe zur versuchten Geldfälschung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Falschgeld zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Sachrüge die Verurteilung des Angeklagten als Täter gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 2 in Tateinheit mit § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Der Senat hat daher u.a. zu prüfen, ob sich der Angeklagte nach den landgerichtlichen Feststellungen falsches Geld verschafft hat:

II.

Im Herbst 1995 plante der bereits rechtskräftig verurteilte Mitangeklagte N., ein Freund des Angeklagten, den Ankauf von Falschgeld im Nennwert von ca. 1-2 Millionen US-$ bei dem ebenfalls rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten H.. Beide hatten schon in der Vergangenheit entsprechende Geschäfte durchgeführt. In telefonischen Verhandlungen über die neue Transaktion waren sie sich über den genannten Lieferungsumfang und den Kaufpreis einig geworden.

Bei dieser Sachlage trat N. mit der Bitte an den Angeklagten heran, ihn bei der Abwicklung des Ankaufs zu unterstützen. Dies sagte der Angeklagte zu, ohne daß ihm für seine Hilfe finanzielle Vorteile oder anderweitige Vergünstigungen versprochen worden waren. Am 17. Oktober 1995 traf er sich mit H.. Im Rahmen dieses Treffens bekam der Angeklagte die gesamte zu liefernde Falschgeldmenge in einem Koffer gezeigt und zog (oder erhielt) daraus - einer Absprache mit N. entsprechend - zehn 100-$-Scheine als Proben, um diesem die Überprüfung der Fälschungsqualität zu ermöglichen.

Anläßlich des Treffens mit H. führte der Angeklagte weder eigenständige Verhandlungen noch traf er für die Durchführung der geplanten Transaktion bedeutsame Entscheidungen. Ein eigenes Verwertungsinteresse bezüglich der Proben hatte er ebenfalls nicht. Er leitete lediglich die zehn $-Scheine vereinbarugsgemäß N. zu, indem er sie diesem einige Stunden nach ihrem Erhalt per Post zusandte.

III.

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, daß das Sichverschaffen im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB über die faktische Verfügungsgewalt (Verfügungsmöglichkeit) hinaus voraussetzt, daß der Täter das Falschgeld mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung annimmt, so daß die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen ist.

a) Die Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal "Sichverschaffen" im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB bietet kein einheitliches Bild. Der 2. Strafsenat (BGHSt 3, 154, 156) hat zu § 147 StGB a.F. den Grundsatz aufgestellt, daß die Begründung des Besitzes am Falschgeld nur ein Sichverschaffen darstellt, wenn der Täter es zu seiner Verfügung (oder Mitverfügung) annimmt, d.h. um es etwa "nach eigenem oder gemeinsamen Ermessen abzusetzen oder den Erlös im eigenen oder gemeinsamen Interesse zu verwerten".

Entscheidungen des Senats nehmen zwar zunächst auf diesen Grundsatz Bezug, stellen dann aber allein auf die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit ab. Letztere soll der Täter danach "nur dann nicht (erwerben), wenn er den Gewahrsam lediglich für einen anderen ausübt und dieser die Sachherrschaft darüber nicht verliert" (BGHSt 35, 21, 22; BGH StGB § 146 Abs. 1 Nr. 2 Sichverschaffen 4; vgl. auch BGH, Urt. vom 20. Juni 1978 - 1 StR 156/78; BGH, Urt. vom 19. Dezember 1978 - 1 StR 610/78).

Dieser Ansicht scheint sich auch der 3. Strafsenat angeschlossen zu haben (BGH NStZ 1996, 604 f.). Er hat es als ein Sichverschaffen gewertet, daß der Täter von einem von ihm belieferten Käufer von Falschgeld, der dies in eigener Regie vergeblich abzusetzen versucht hatte, einen Teil der Falsifikate "zurückgeholt" und zu einem "sicheren Abnehmer" gebracht hatte. Der Entscheidung lassen sich allerdings die näheren Umstände dieses Transports, insbesondere die mit dem ursprünglichen Käufer getroffenen diesbezüglichen Vereinbarungen nicht eindeutig entnehmen. Doch spricht viel dafür, daß der dortige Täter auch insoweit "Geschäftsherr" war.

b) Die skizzierte Entwicklung der Auslegung des Begriffs "Sichverschaffen" ist in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen, weil danach insbesondere auch bloße Verteilungsgehilfen und Empfangsboten als Täter des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfaßt werden könnten (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 196 Rdn. 15; Prittwitz NStZ 1989, 8 f.; Puppe JZ 1997, 490, 499; a.A. S. Cramer NStZ 1997, 84). Einer derartigen Ausdehnung des Tatbestandsmerkmals bedürfe es jedoch nicht, da der Gesetzgeber dem Schutzzweck der Norm durch die Kriminalisierung der Vorfeldhandlung und durch die hohen Strafandrohungen bereits Rechnung getragen habe (Prittwitz aaO; Schroeder JZ 1987, 1133; a.A. Jacobs JR 1988, 121). Der Unrechtsgehalt der Täterschaft des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB werde erst erreicht, wenn zu der tatsächlichen Möglichkeit der Ausübung der Verfügungsgewalt der entsprechende Wille hinzukomme (Herdegen in LK 10. Aufl. § 146 Rdn. 20; Rudolphi in SK StGB 33. Lfg. § 196 Rdn. 9; vgl. ferner Frister GA 1999, 553, 557 ff.).

c) Diese Kritik hält der Senat im Ergebnis für berechtigt. Die den Anwendungsbereich des Merkmals "Sichverschaffen" gegenüber dem Grundsatz des 2. Strafsenats (BGHSt 3, 154, 156) erweiternde Auslegung läßt sich insbesondere nicht aus der Neufassung der Geldfälschungstatbestände durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 ableiten. Eine begriffliche Ausdehnung des Sichverschaffens war damit nicht beabsichtigt. Vielmehr war der Gesetzgeber unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des 2. Strafsenats der Ansicht, daß es an einem Sichverschaffen etwa dann fehlt, "wenn jemand das Geld lediglich als Verteilungsgehilfe in den Verkehr bringt und dabei den Gewahrsam für einen anderen ausübt" (BT-Drucks. 7/550 S. 227).

Die Auslegung des Sichverschaffens im Sinne des 2. Strafsenats ermöglicht auch eine sachgerechte Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme beim Tatbestand des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die der Teilnahme eine eigenständige und nicht nur marginale Bedeutung beläßt (vgl. Prittwitz aaO). Auf diese Weise wird die von der Konzeption des Strafgesetzbuches vorgesehene (unrechts- und schuldbezogene) Abstufung zwischen Täterschaft und Teilnahme besser gewährleistet, so daß typischerweise eine Haupttat lediglich unterstützende Tätigkeiten etwa eines Boten oder Verteilungsgehilfen unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StGB als Beihilfe erfaßt werden können. Der Gesichtspunkt unerwünschter Strafbarkeitslücken ist daher in diesem Zusammenhang ohne Belang.

Zudem wird bei der Hehlerei (§ 259 StGB) für die Tathandlung "Sichverschaffen" nicht nur verlangt, daß der Täter Besitz an der Sache begründet, sondern auch, daß er dies gerade mit dem Willen tut, über die Sache als eigene bzw. zu eigenen Zwecken zu verfügen (BGHSt 35, 172, 175; BGH NStZ 1995, 544; zu § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG vgl. BGH NStZ 1993, 191; Körner, BtMG 4. Aufl. § 29 Rdn. 762 ff.). Allerdings kann die Auslegung desselben Begriffs in verschiedenen Tatbeständen nach deren Zweck variieren (vgl. Bohnert JuS 1982, 256).

Ob die §§ 146, 259 StGB völlig unterschiedliche oder nicht wenigstens teilweise dieselben Zwecke verfolgen (vgl. Frister aaO, 558), kann dahinstehen. Denn jedenfalls erscheint es nicht erforderlich, die Anforderungen an ein Sichverschaffen im Rahmen der mit einer spürbar erhöhten Mindestfreiheitsstrafe bedrohten Geldfälschung deutlich niedriger anzusetzen als bei der als Vergehen ausgestalteten Hehlerei. Dieses Argument wird auch durch die im Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (BT-Drucks. 931/97 S. 10 f.) vorgesehene flexiblere Regelung der bei § 146 StGB zur Verfügung stehenden Strafrahmen nicht beseitigt, da für den "Normalfall" der Geldfälschung eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr angedroht sein wird.

2. Der Senat will daher die in seinen Entscheidungen BGHSt 35, 21 und BGHR StGB § 146 Abs. 1 Nr. 2 Sicherverschaffen 4 zum Merkmal "Sichverschaffen" vertretene Auffassung aufgeben. Vorsorglich fragt er bei den anderen Strafsenaten an, ob dort die in den genannten Entscheidungen vom Senat vertretene Rechtsansicht in entscheidungserheblicher Weise übernommen worden ist (vgl. Salger in KK 3. Aufl. § 132 GVG Rdn. 5) und ob ggf. an dieser Rechtsansicht festgehalten wird. Diese könnte insbesondere dem genannten Beschluß des 3. Strafsenats (BGH NStZ 1996, 604) zugrundeliegen.

Bearbeiter: Rocco Beck