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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 408/97, Urteil v. 09.09.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 408/97 - Urteil vom 9. September 1997 (LG Schweinfurt)

BGHSt 43, 233; Strafzumessung (besondere Strafempfindlichkeit eines Ausländers als Strafmilderungsgrund; Strafvollstreckung im Heimatland eines in der BRD angeklagten Ausländers: Bewilligungspraxis).

§ 46 Abs. 1 StGB; § 71 Abs. 4 IRG

Leitsätze

1. Zur besonderen Strafempfindlichkeit eines Ausländers. (BGHSt)

2. Aus der Ausländereigenschaft folgt für sich alleine genommen noch kein Grund für die Annahme, es liege eine strafmildernd zu berücksichtigende besondere Haftempfindlichkeit vor. Im Einzelfall können besondere Umstände ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. (Bearbeiter)

3. Die Annahme, die Strafvollstreckung im Inland werde den Angeklagten als Ausländer voraussichtlich besonders hart treffen, verliert weitgehend ihre Bedeutung, wenn die Strafvollstreckung überwiegend im Heimatland erfolgen kann und dadurch die besonderen Härten bei Strafvollstreckung im Inland entfallen (BGH NStZ 1997, 79; vgl. auch § 71 IRG sowie das ÜberstÜbk). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 29. Januar 1997, soweit es die Angeklagten W. und A. betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben, auch soweit hinsichtlich des Angeklagten W. in den Fällen II 2.6, 4.2, 4.5 und 4.6 der Urteilsgründe keine Einzelstrafen festgesetzt worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine (allgemeine) Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Die Jugendkammer hat den Angeklagten W. und den Mitangeklagten S. jeweils des schweren Bandendiebstahls in 48 Fällen und des versuchten schweren Bandendiebstahls in vier Fällen schuldig gesprochen; sie hat W. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, S. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten A. hat sie wegen schweren Bandendiebstahls in 35 Fällen und versuchten schweren Bandendiebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte, zuungunsten der Angeklagten W. und A. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene, auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel ist begründet.

1. Die Angeklagten reisten zusammen mit dem Mitangeklagten S. in die Bundesrepublik Deutschland ein, um Serien von Autoaufbrüchen zu begehen. Sie stahlen insbesondere hochwertige Autoradios, die sie in Polen absetzten. Bei der Strafzumessung hat ihnen das Landgericht jeweils zugute gehalten, daß sie "als Ausländer erhöht strafempfindlich" seien. Gegen diese Erwägung wendet sich die Beschwerdeführerin mit Recht.

a) Aus der Ausländereigenschaft für sich alleine genommen folgt noch kein Grund für die Annahme, es liege eine strafmildernd zu berücksichtigende besondere Haftempfindlichkeit vor (BGH NStZ 1997, 77). Art. 3 Abs. 3 GG verbietet - auch für die Strafzumessung (Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 46 Rdn. 36) - eine Benachteiligung oder Bevorzugung bereits aufgrund der Herkunft. Besondere Umstände können aber im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ob der Vollzug einer Freiheitsstrafe voraussichtlich außergewöhnliche Wirkungen auf einen Verurteilten haben wird, hängt von der Beurteilung seiner gesamten persönlichen Verhältnisse ab, zu denen Verständigungsprobleme, die bei zunehmender Haftdauer aber wieder an Bedeutung verlieren, wesentlich abweichende Lebensgewohnheiten und erschwerte familiäre Kontakte gehören können (BGH aaO). Solche Gründe für eine besondere Hafterschwernis hat das Landgericht bezüglich des Angeklagten A. nicht festgestellt. Ob die in diesem Zusammenhang hinsichtlich des Angeklagten W. allein angestellte Erwägung, er sei (seit 1995 in kinderloser Ehe) verheiratet, dessen besondere Haftempfindlichkeit ausreichend belegt, kann offenbleiben. Insoweit hat das Landgericht jedenfalls einen rechtlichen Gesichtspunkt nicht erörtert, der hier gegen das Vorliegen eines bestimmenden Strafmilderungsgrundes sprechen kann.

b) Die Annahme, die Strafvollstreckung im Inland werde den Angeklagten als Ausländer voraussichtlich besonders hart treffen, verliert weitgehend ihre Bedeutung, wenn die Strafvollstreckung überwiegend im Heimatland erfolgen kann und dadurch die besonderen Härten bei Strafvollstreckung im Inland entfallen (BGH NStZ 1997, 79 = JZ 1996, 1192; BGH, Beschlüsse vom 18. April 1996 - 1 StR 153/96 - und vom 27. Mai 1997 - 1 StR 151/97). Dies ist das Ziel von § 71 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994, BGBl. I S. 1537) sowie des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk vom 21. März 1983, BGBl. 1991 II S. 1006 ff.; 1992 II S. 98 ff. - im Verhältnis zu Polen in Kraft seit dem 1. März 1995: BGBl. 1995 II S. 176, 528; zu anderen Vertragsstaaten: Fundstellenverzeichnis B zu BGBl. II 1997 Nr. 3a, abgeschlossen am 31. Dezember 1996, S. 554 m.w.Nachw.; zum ÜberstÜbk s. a. Schomburg in Schomburg/Uhlig/Lagodny, IRG 2. Aufl. S. 561 ff.).

Der Verurteilte kann danach, worauf der Bundesgerichtshof (aaO) wiederholt hingewiesen hat, mit seiner Zustimmung zur Vollstreckung einer gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten in sein Heimatland überstellt werden.

Dazu hat sich folgende Praxis entwickelt (vgl. BVerfG EuGRZ 1997, 421 ff.):

Das Bundesministerium der Justiz als Bewilligungsbehörde wird nur tätig, wenn zuvor die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die vollstreckungsrechtlichen Belange geprüft hat. Spricht sich die Staatsanwaltschaft gegen die Überstellung aus, so lehnt das Bundesministerium der Justiz es mit Hinweis auf die durch Art. 30 GG vorgegebene Aufgabenteilung ab, sich mit der Sache überhaupt zu befassen. Befürwortet die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde dagegen die Überstellung, so prüft das Bundesministerium der Justiz nur noch die außen- und allgemeinpolitischen Aspekte, die dem Vollstreckungshilfeverkehr innewohnen. Stehen solche Belange nicht entgegen, so liegen aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland als Urteilsstaat keine Hindernisse für die Überstellung vor. Hinsichtlich der Entscheidung der Staatsanwaltschaft hat der Verurteilte einen gerichtlich überprüfbaren Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (BVerfG aaO). Darüber hinaus bedarf es nach dem Überstellungsübereinkommen keines weiteren gerichtlichen Zulässigkeitsverfahrens, wie sonst nach § 71 Abs. 4 IRG (§ 1 Überstellungsausführungsgesetz - ÜAG; vgl. Schomburg aaO S. 554).

Wegen dieser Rechtslage hätte eine bereits gegenüber dem Tatgericht abgegebene Erklärung der Staatsanwaltschaft indizielle Bedeutung dafür, daß mit einer Überstellung zu rechnen ist. Wenn der Tatrichter eine besondere Haftempfindlichkeit des Ausländers als bestimmenden Strafzumessungsgrund betrachtet, kann er vorsorglich in der Hauptverhandlung um eine Erklärung der Staatsanwaltschaft zur Überstellungsfrage nachsuchen. Liegt die Erklärung der Staatsanwaltschaft vor, daß aus ihrer Sicht als künftiger Vollstreckungsbehörde einer Überstellung keine vollstreckungsrechtlichen Belange entgegenstehen, so ist der Tatrichter rechtlich nicht an der Annahme gehindert, eine Überstellung zur Strafvollstreckung im Heimatland des Angeklagten sei zu erwarten, und die besondere Haftempfindlichkeit des Ausländers bei Strafvollstreckung im Inland sei deshalb kein bestimmender Strafmilderungsgrund.

Ob und wie es - gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren - zu berücksichtigen wäre, wenn eine aus der Sicht der Justizorgane unbedenkliche Überstellung ausschließlich an außenpolitischen Belangen scheitern würde, bedarf hier keiner Entscheidung.

2. Die aufgezeigten Fragen hat das Landgericht nicht erörtert. Zwar ist der Strafmilderungsgrund der besonderen Haftempfindlichkeit der Angeklagten als Ausländer im Rahmen der im übrigen umfangreichen Begründung der Strafzumessung eher beiläufig genannt worden. Jedoch kann der Senat angesichts der insgesamt milden Strafen nicht ausschließen, daß der Strafausspruch darauf beruht.

3. Die Urteilsaufhebung im Strafausspruch ermöglicht es dem neuen Tatrichter, auch in den Fällen II 2.6, 4.2, 4.5 und 4.6 die Festsetzung von Einzelstrafen für den Angeklagten W. nachzuholen.

4. Der Senat hat die Sache im Umfang der Aufhebung an eine allgemeine Strafkammer zurückverwiesen (BGHSt 35, 267).

Externe Fundstellen: BGHSt 43, 233; NJW 1998, 690; NStZ 1998, 142; NStZ 1998, 348; StV 1998, 67

Bearbeiter: Rocco Beck