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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 105/97, Urteil v. 30.04.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 105/97 - Urteil vom 30. April 1997 (LG Weiden i.d.OPf.)

BGHSt 43, 79; unterbliebene Gesamtstrafenbildung (Härteausgleich bei Auslandstat); Strafzumessung (Auswirkungen beider Strafen für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft).

§ 55 StGB; § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB

Leitsatz

Der Rechtsgedanke des Härteausgleichs wegen unterbliebener Gesamtstrafenbildung ist auch in Betracht zu ziehen, wenn die im Ausland und die im Inland begangene Straftat jedenfalls vom zeitlichen Ablauf her miteinander hätten abgeurteilt werden können. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 20. Januar 1997 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen am 25. Oktober 1991 begangener Einfuhr und Handeltreiben mit 44,9642 kg Heroin zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Seine wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Das Landgericht hat neben einer Anzahl weiterer Strafmilderungsgründe zu Gunsten des Angeklagten beachtet, daß er bereits in den Niederlanden am 3. November 1993 vom Landgericht Amsterdam wegen der Organisation von Rauschgifttransporten zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden ist, die er inzwischen teilweise verbüßt hat; wegen der außerordentlich großen Menge des eingeführten Heroins und weiterer Strafschärfungsgründe hat es jedoch die Höchststrafe von 15 Jahren für tat- und schuldangemessen erachtet. Dabei hat das Landgericht die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit der in den Niederlanden verhängten Strafe erwogen, jedoch zutreffend verneint, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist (BGH LM Nr. 1 zu § 335 StGB a.F.; BGH, Urt. vom 4. Dezember 1979 - 5 StR 571/79; OLG Hamm JMBlNW 1950, 144; OLG Bremen NJW 1950, 918; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 55 Rdn. 4).

Ist nach § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung an sich möglich, scheitert sie aber daran, daß die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, oder wird durch die Zäsurwirkung einer früheren Strafe die Bildung einer Gesamtstrafe verhindert, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 12, 94, 95; 31, 102, 103; 33, 131, 132; 41, 310, 312).

Im Ergebnis das gleiche gilt, wenn nach Jugendrecht und Erwachsenenrecht getrennt abgeurteilte Straftaten an sich gesamtstrafenfähig wären; auch in diesem Fall ist die Härte auszugleichen, die darin liegt, daß die Bildung einer Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts unzulässig ist (BGHSt 14, 287, 288; 36, 270, 272). Kann der Ausgleich nicht bei der Gesamtstrafenbildung erfolgen, insbesondere wenn dem nunmehr erwachsenen Straftäter nur eine Straftat zur Last liegt, kann der Nachteil auch bei der Festsetzung der Einzelstrafe ausgeglichen werden (BGHSt 36, 270, 276).

Allen diesen Entscheidungen liegt die Erwägung zugrunde, daß der Täter durch den Zufall gemeinsamer oder getrennter Aburteilung weder besser noch schlechter gestellt werden soll (BGHSt 7, 180, 182; 32, 190, 193; 33, 230, 232 und 367, 370).

Grundsätzlich erscheint es geboten, diesen Rechtsgedanken auch dann anzuwenden, wenn die im Ausland und die im Inland begangene Straftat jedenfalls vom zeitlichen Ablauf her miteinander hätten abgeurteilt werden können. Denn auch insoweit hängt die getrennte oder gemeinsame Aburteilung von Zufälligkeiten ab wie der Intensität der Zusammenarbeit der jeweiligen nationalen Polizeidienststellen, aber auch von unterschiedlichen nationalen Regelungen. So sehen Art. 4, 4a des niederländischen Wetboek van Strafrecht die Anwendung des Weltrechtsprinzips für den Vertrieb von Betäubungsmitteln nicht vor, so daß der Angeklagte als türkischer Staatsangehöriger nicht wegen einer in der Bundesrepublik Deutschland begangenen Betäubungsmittelstraftat in den Niederlanden abgeurteilt hätte werden können.

Zum Gewicht des Härteausgleichs bei ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland verhängten Strafen hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Beurteilung dieser Frage als Teil der Strafzumessung Sache des Tatrichters sei und sich daher einer exakten Richtigkeitskontrolle entziehe (BGHSt 29, 319, 320); etwas anders müsse aber gelten, wenn durch die getrennte Aburteilung eine gesetzliche Höchstgrenze - hier § 38 Abs. 2 StGB - überschritten werde (BGHSt 33, 131, 133).

Dieser Grundsatz ist jedoch im hier zu entscheidenden Fall nicht unmittelbar anzuwenden. Einmal kann das ausländische Strafrecht andere Höchstgrenzen vorsehen; so hätte gegen den Angeklagten bei gemeinsamer Aburteilung seiner Taten in den Niederlanden eine Höchststrafe von 20 Jahren verhängt werden können (Art. 10 Nr. 3 Wetboek van Strafrecht). Zum anderen kann aber auch das Gewicht der im Ausland verhängten Strafe wegen möglicher anderer Regelung über Strafaussetzung zur Bewährung, Amnestien u.ä. nicht allein an der ausgesprochenen zeitlichen Dauer der Strafe gemessen werden.

In einem solchen Fall müssen daher die Auswirkungen beider Strafen für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft besonders ins Gewicht fallen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Dieser Gesichtspunkt kann es rechtfertigen, trotz schwerer Schuld zu einer vergleichsweise milden Strafe zu gelangen, wenn ein künftig straffreies Leben des Täters zu erwarten steht und eine der Schwere der Schuld voll entsprechende hohe Strafe die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vereiteln oder unangemessen erschweren würde (BGH NJW 1978, 174; StV 1991, 513). Bei einem jungen Täter soll die Strafe möglichst so bemessen werden, daß gewichtige Nachteile für die persönliche Entwicklung vermieden werden; die Möglichkeit eines Neubeginns soll ihm nicht versperrt werden (BGH StV 1993, 27; vgl. § 106 Abs. 1 JGG).

Der Angeklagte war zur Tatzeit gerade 19 Jahre alt geworden; seit dem 30. Juli 1992 befindet er sich durchgehend in Haft. Sollte er die Strafe von insgesamt 25 Jahren voll zu verbüßen haben, dürfte nicht nur seine persönliche Entwicklung Schaden nehmen; auch seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft wäre nachhaltig erschwert. Das hat das Landgericht nicht ausreichend gewertet.

Bei der Festsetzung einer angemessenen Strafe für die in der Bundesrepublik Deutschland abgeurteilte Tat kann von Bedeutung sein, inwieweit und wo der Angeklagte die verhängten Strafen tatsächlich wird verbüßen müssen; einen Teil der in den Niederlanden verhängten Strafe hatte er bereits verbüßt, als er im Oktober 1996 in die Bundesrepublik Deutschland überstellt wurde.

Hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland zu verhängenden Strafe ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang damit zu rechnen ist, daß von der Möglichkeit des § 456 a StPO Gebrauch gemacht werden wird.

2. Auf die Bedenken des Generalbundesanwalt gegen die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht weist der Senat hin.

Externe Fundstellen: BGHSt 43, 79; NJW 1997, 1993; NStZ 1997, 384; StV 1997, 349

Bearbeiter: Rocco Beck