Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 793/96, Urteil v. 13.03.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 2. Juli 1996 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier Vergewaltigungen und zweier sexueller Nötigungen, sämtlich in Tatmehrheit begangen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 3 StPO und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
I. Die Verfahrensrüge, bei dem Urteil habe der Schöffe H. aus C. mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch vom 18. Juni 1996 zu Unrecht verworfen worden sei, ist unbegründet.
1. Der Verfahrensrüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
a) Der Angeklagte war seit 1986 Vorstandsmitglied der Volksbank W. und blieb dies nach der Fusion mit der Volksbank C. zu den Vereinigten Volksbanken e.G. W./C. im Jahre 1991 neben dem Vorstandsvorsitzenden R. und dessen Stellvertreter Ha., der früher Vorstandsvorsitzender der Volksbank C. gewesen war.
Nach dem Ausscheiden von Ha. im April 1994 übernahm der Angeklagte zusätzlich dessen Aufgabengebiet. Er arbeitete deshalb ab 1994 wöchentlich je zur Hälfte in C. und in W. Die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten zum Nachteil der in C. als Kreditsachbearbeiterin und als Mitarbeiterin im Vorstandssekretariat eingesetzten Frau G. fanden nach den Feststellungen des Landgerichts vom Dezember 1994 bis zum 14. März 1995 statt, sämtlich in den Räumen der Volksbank C. Die Vorfälle haben in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt.
b) Der Schöffe H. ist seit 15 Jahren Mitglied der Vertreterversammlung nach § 43a Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften - GenG - der Volksbank C., nach der Fusion im Jahre 1991 Mitglied der Vertreterversammlung der Vereinigten Volksbanken e.G. W./C. Eine EDV-Liste der Mitglieder der Vertreterversammlung der Vereinigten Volksbanken umfaßt rund 450 Personen. Der Schöffe nahm in seiner Funktion als Mitglied der Vertreterversammlung an einer Vertreterversammlung am 5. Mai 1995 teil, in der die vier aus C. stammenden Aufsichtsräte zurücktraten.
c) Die Hauptverhandlung nahm insgesamt sechs Tage in Anspruch. Am dritten Sitzungstag, dem 18. Juni 1996, brachte der Verteidiger im Namen des Angeklagten ein Ablehnungsgesuch gegen den Schöffen ein.
In diesem Ablehnungsgesuch wurde u.a. ausgeführt, der Angeklagte habe erst am Abend des 17. Juni 1996 anläßlich der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung am nächsten Tag davon Kenntnis erhalten, daß der Schöffe H. Mitglied der Vertreterversammlung der Vereinigten Volksbanken e.G. W./C. sei. Der Schöffe habe diese Funktion mehr als 15 Jahre zunächst bei der Volksbank C., später bei den Vereinigten Volksbanken ausgeübt und an der Sitzung am 5. Mai 1995 teilgenommen. Der Angeklagte habe deshalb kein Vertrauen in die Unparteilichkeit des Schöffen. Zur Frage, ob es einen "Machtkampf" gegeben habe, sei vom Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Zeugen Au., bekundet worden, daß es immer Querelen im Aufsichtsrat gegeben habe und sich "die C.er unterlegen gefühlt" hätten.
In seiner dienstlichen Erklärung führte der Schöffe u.a. aus, bei der Versammlung am 5. Mai 1995 sei bekannt geworden, daß die vier C.er Aufsichtsratsmitglieder zurückgetreten seien; Gründe hierfür seien nicht genannt worden. Er habe mit dem Angeklagten noch nie geschäftliche oder private Gespräche geführt noch einen solchen Kontakt mit ihm gehabt.
d) Die Kammer verwarf das Ablehnungsgesuch u.a. mit folgender Begründung: Daß der abgelehnte Schöffe an dem im Ablehnungsgesuch so genannten "Machtkampf" in Vorstand/Aufsichtsrat der Volksbank e.G. W./C. beteiligt gewesen wäre, werde vom Ablehnenden selbst nicht behauptet und sei dem Gericht auch sonst nicht bekannt geworden. Daß der Schöffe nach dem 5. Mai 1995 aus der Presse von den Meinungsverschiedenheiten im Aufsichtsrat und von den diesen Meinungsverschiedenheiten zugrundeliegenden Vorwürfen gegen den Angeklagten erfahren haben könne, begründe bei verständiger Würdigung nicht die Besorgnis, der Schöffe sei deswegen gegen den Angeklagten voreingenommen und in seiner Unparteilichkeit störend beeinflußt.
2. Die Ablehnung eines Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach §§ 31, 24 Abs. 2 StPO nur gerechtfertigt, wenn der Angeklagte auf Grund des ihm bekannten Sachverhalts und bei verständiger Würdigung der Sache Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne (BGHSt 1, 34, 36; 21, 85, 86).
Wenn es danach für die Prüfung der Ablehnungsfrage auch auf den Standpunkt des Angeklagten ankommt, so bedeutet das doch nicht, daß etwa nur seine eigene Einstellung, seine eigene Sicht der Dinge, maßgebend ist. Es kommt vielmehr auf den Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten an (BGHSt 21, 334, 341). Es ist ein individuell-objektiver Maßstab anzulegen (Rudolphi in SK 4. Lfg. § 24 StPO Rdn. 7).
Nur auf die subjektive Sicht des Ablehnenden abzustellen kommt schon wegen der Bestimmung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Betracht, die es verbietet, daß der an sich zuständige Richter ohne zureichend objektivierbaren Grund in einem Einzelfall von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen wird (vgl. Paulus in KMR § 22 StPO, Vorbem. Rdn. 10, § 24 StPO Rdn. 6; BVerfGE 31, 145, 165).
Mit Recht hat hiernach die Strafkammer das Ablehnungsgesuch verworfen. Der Angeklagte konnte, was der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hatte, keinen Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit und zu Zweifeln an der Unparteilichkeit des Schöffen H. haben.
a) Allein die Mitgliedschaft des Schöffen in der Volksbank C. und später den Vereinigten Volksbanken e.G. begründet von diesem Standpunkt aus nicht die Besorgnis der Befangenheit. Aus diesem Umstand ergibt sich noch kein eigenes, wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens (vgl. Teplitzky JuS 1969, 318, 319).
Die möglicherweise durch die Taten des Angeklagten und deren Bekanntwerden eingetretene Rufschädigung der Vereinigten Volksbanken ist ebenfalls kein im Sinne dieser Fragestellung beim Schöffen eintretender wirtschaftlicher Nachteil oder Schaden. Für einen durch eine Rufschädigung eingetretenen wirtschaftlichen Schaden ist nichts ersichtlich.
b) Auch aus der Funktion und Aufgabenstellung des Schöffen als Vertreter in der Vertreterversammlung der Genossenschaft, in der der Angeklagte Vorstandsmitglied war, ergibt sich kein Grund zur Besorgnis der Befangenheit.
Zwar kommen der Vertreterversammlung weitreichende Befugnisse zu. Sie hat eine große Machtfülle aufgrund ihrer Satzungshoheit und, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, der Möglichkeit, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen und abzuberufen (vgl. zu den Kompetenzen der Organe der Genossenschaft: Müller, Genossenschaftsgesetz 2. Aufl. § 9 Rdn. 1 ff.; Schaffland in Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz 32. Aufl. vor § 24 Rdn. 2 ff.). Doch tritt hinzu, daß der Vertreter in der Vertreterversammlung nicht seine eigenen persönlichen Interessen zum Maßstab seiner Entscheidungen machen darf (Metz in Lang/Weidmüller aaO § 43a Rdn. 76).
Bei Kenntnis dieser Kompetenzverteilung und der gesetzlichen und satzungsrechtlichen Bindungen des Schöffen konnte beim Angeklagten deshalb ernsthaft keine Besorgnis entstehen, der Schöffe sei aufgrund seiner Funktion in der Vertreterversammlung für die hier zur Beurteilung anstehenden strafrechtlichen Fragen voreingenommen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß der Charakter der Genossenschaft vielfach durch personale Elemente gekennzeichnet ist (vgl. zur Doppelnatur der Genossenschaften Metz in Lang/Weidmüller aaO § 1 Rdn. 2 ff.). Der Senat läßt es dahingestellt, wie zu entscheiden wäre, wenn der personale Charakter der juristischen Person dominierend wäre, wie dies etwa bei einer nur wenige Mitglieder umfassenden Genossenschaft der Fall sein kann. Vorliegend handelt es sich jedenfalls um eine Genossenschaft, die über ein erhebliches Geschäftsvolumen verfügt und einen hohen Mitgliederbestand aufweist. Von einem personalen Charakter kann bei dieser Größenordnung nicht die Rede sein. Die körperschaftliche Organisation prägt entscheidend das Bild der Vereinigten Volksbanken e.G. W./C. Der Schöffe hat in seiner dienstlichen Erklärung auch darauf hingewiesen, daß er den Angeklagten weder geschäftlich noch privat gesprochen oder solche Kontakte zu ihm gehabt habe. Jedenfalls bei einer solch großen, durch die körperschaftliche Organisation bestimmten Genossenschaft, die die Anonymität großer Kapitalgesellschaften erreicht, kann ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Funktion und Aufgabenstellung des Schöffen als Vertreter in der Vertreterversammlung bei verständiger Würdigung nicht entstehen.
c) Ein Ablehnungsgrund besteht aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt, der Schöffe habe aufgrund der vom Angeklagten in den Räumen der Volksbank begangenen Sexualstraftaten und der sich anschließenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den aus C. stammenden Aufsichtsratsmitgliedern und den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern, insbesondere dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, dem Zeugen Au., eine vorgefaßte Meinung in bezug auf den zu entscheidenden Fall gehabt.
aa) Vorgefaßte Meinungen, etwa aufgrund persönlicher Zerwürfnisse oder feindseliger Beziehungen, die unabhängig vom konkreten Strafverfahren bestehen und eine gewisse Intensität erreichen, können auch bei Anlegen eines individuell-objektiven Maßstabs grundsätzlich geeignet sein, die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder Schöffen zu rechtfertigen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn innerhalb der Gremien der Vereinigten Volksbanken ein "Machtkampf" oder eine Intrige zu Lasten des Angeklagten stattgefunden hätte und der Schöffe hieran in irgendeiner Form beteiligt gewesen wäre.
Es mag sein - und die Aussage des Zeugen Au., dem aus W. stammenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Vereinigten Volksbanken, er habe eine wahrheitswidrige Beschuldigung des Angeklagten durch C.er Angehörige der Bank für möglich gehalten, spricht dafür -, daß zwischen den aus C. stammenden Aufsichtsräten und den aus W. stammenden Intrigen und Meinungsverschiedenheiten im Spiel waren, die als Machtkampf bezeichnet werden konnten, und daß diese Meinungsverschiedenheiten insbesondere bei der bankinternen Beurteilung der Vorwürfe gegen den Angeklagten deutlich wurden. Der Schöffe war mit diesen Vorgängen aber allenfalls dadurch befaßt, daß er als Mitglied der Vertreterversammlung davon besonders interessiert Kenntnis nahm.
bb) Auch wenn der Schöffe aus C. stammt und deshalb, abgestellt auf die Sicht des Angeklagten, dem C.er Lager im weiteren Sinne zuzurechnen sein mag, rechtfertigt dies nicht die Annahme der Besorgnis der Befangenheit.
Es ist insbesondere nichts dafür ersichtlich, daß die Rivalitäten, die sich im Rücktritt der vier C.er Aufsichtsräte am 5. Mai 1995 manifestierten, Resonanz beim Schöffen gefunden hätten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Hauptverhandlung über ein Jahr nach den Vorfällen im Frühjahr 1995 stattfand und der Angeklagte im Dezember 1995 - nach Erhebung der Anklage - aufgrund einer Vereinbarung aus den Diensten der Vereinigten Volksbanken ausgeschieden war.
Angesichts des Umstandes, daß für den Schöffen als Mitglied der Vertreterversammlung, die Vorgänge im Aufsichtsrat und im Vorstand der Vereinigten Volksbanken entfernt lagen und er lediglich einer von insgesamt 100 aus C. stammenden Mitgliedern der Vertreterversammlung der Vereinigten Volksbanken war, konnte der Angeklagte bei verständiger Betrachtung nicht den weitergehenden Schluß ziehen, der Schöffe werde nicht unvoreingenommen entscheiden.
Ein verständiger Angeklagter kann und muß bei einer solchen Fallgestaltung davon ausgehen, daß der Schöffe deshalb nicht für die anstehende Entscheidung festgelegt und damit voreingenommen ist. Ein verständiger Angeklagter wird vielmehr von der zutreffenden Erwägung ausgehen, daß ein Richter - für einen Schöffen gilt im wesentlichen Gleiches - sich aufgrund der ihm nach seiner Stellung und gesetzlichen Verantwortung eigenen Haltung von Befangenheit freihält und sich nicht durch ein aus seiner genossenschaftsrechtlichen Funktion fließendes Miterleben bei künftigen Entscheidungen, namentlich dem Urteil beeinflussen läßt (vgl. zu der Frage der Befangenheit wegen richterlicher Vorbefassung: Wendisch in LR § 24 StPO Rdn. 26; BGHSt 9, 234; vgl. auch BGH, Urteile vom 23. November 1995 - 1 StR 296/95 und vom 17. Juli 1996 - 5 StR 121/96).
II. Die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Externe Fundstellen: BGHSt 43, 16; NJW 1998, 550; NStZ 1997, 559; StV 1997, 449
Bearbeiter: Rocco Beck