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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 781/96, Urteil v. 17.07.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 781/96 - Urteil vom 17. Juli 1997 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHSt 43, 153; ermessensfehlerhafte Ablehnung der Bestellung eines vom Beschuldigten ausgewählten auswärtigen Verteidigers (Ermessenreduktion auf Null; besonderes Vertrauensverhältnis); unzulässige Beschränkung der Verteidigung; faires Verfahren; Fürsorgepflicht.

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; § 137 StPO; § 142 Abs. 1 StPO; § 338 Nr. 8 StPO

Leitsätze

1. Bei Zusammentreffen besonderer Umstände - hier: besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem und lange Untersuchungshaft in weiter Entfernung vom Gerichtsort - kann auch die Bestellung eines auswärtigen Verteidigers geboten und die Ablehnung der Bestellung Gegenstand einer Verfahrensrüge sein. (BGHSt)

2. § 142 Abs. 1 StPO gibt dem Beschuldigten keinen Rechtsanspruch auf die Bestellung einer bestimmten (von ihm ausgewählten) Person als Verteidiger (BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 1). Im öffentlichen Interesse soll die Vorschrift gewährleisten, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz genannten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dabei auch ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gesichert ist. (Bearbeiter)

3. Die Auswahl des Verteidigers liegt dabei grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden. Allerdings ist dessen Ermessen durch die Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO unter Beachtung zuvor vom Bundesverfassungsgericht aufgestellter Grundsätze (BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 239) dahin eingeschränkt worden, dass bei der Auswahl des Verteidigers auch dem Interesse des Beschuldigten, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, ausreichend Rechnung getragen werden muss; grundsätzlich soll der Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (BVerfGE 9, 36, 38). Deshalb soll der Beschuldigte nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO Gelegenheit erhalten, einen Anwalt zu benennen; diesen muss der Vorsitzende dann beiordnen, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen (§ 142 Abs. 1 Satz 3 StPO). Das Ermessen kann auf Null reduziert sein. (Bearbeiter)

4. Die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO enthebt den Vorsitzenden insbesondere nicht der gebotenen Interessenabwägung, sondern gibt in deren Rahmen lediglich ein gesetzlich normiertes Regelbeispiel für einen wichtigen Grund im Sinne von § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Januar 1996, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Rechtsmittels und die durch dieses entstandenen notwendigen Auslagen beider Angeklagter.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte K. wegen Anstiftung zum Mord, versuchter Anstiftung zum Mord und wegen Diebstahls unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld im Sinne von § 57a StGB hat es verneint.

Der Angeklagte S. ist wegen Beihilfe zu einem anderen Mord, an dem die Angeklagte K. nicht beteiligt war, zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden.

Ohne Erfolg beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, das Landgericht habe den Angeklagten S. als Mittäter bestrafen und im Falle der Angeklagten K. die besondere Schwere der Schuld feststellen müssen. Demgegenüber greift die Revision der Angeklagten K. mit einer Verfahrensrüge durch.

A. Die Revision der Angeklagten K.

Die Angeklagte beanstandet mit Recht, das Landgericht habe es ermessensfehlerhaft abgelehnt, ihr im vorliegenden Verfahren Rechtsanwalt E. aus München als Verteidiger beizuordnen.

Der Rüge liegt folgendes zugrunde:

Die Angeklagte wurde am 4. November 1993 in Untersuchungshaft genommen, die zunächst elf Monate lang in der Justizvollzugsanstalt Aichach vollzogen wurde. Bereits Ende November 1993 erteilte sie dem Münchner Rechtsanwalt E. das Mandat, sie im anstehenden Strafverfahren zu verteidigen. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Mandantengesprächen, zu denen der Verteidiger die damalige Beschuldigte, die die Tatvorwürfe bestritt, in der Haftanstalt aufsuchte. Der Verteidiger fertigte von den umfangreichen Ermittlungsakten nach und nach über 6.000 Blatt Fotokopien an.

Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1994 - Anklage war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erhoben - beantragte Rechtsanwalt E. seine Beiordnung als Verteidiger und kündigte für diesen Fall die Niederlegung des Wahlmandats an. Der Vorsitzende des für die Hauptverhandlung zuständigen Schwurgerichts in Nürnberg und im nachfolgenden Beschwerdeverfahren auch das Oberlandesgericht Nürnberg wiesen diesen Antrag zurück, weil nach § 142 Abs. 1 StPO der Verteidiger möglichst aus der Zahl der im Landgerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwälte auszuwählen sei. Gegen den Willen der Angeklagten ordnete der Vorsitzende des Schwurgerichts ihr einen am Gerichtsort ansässigen Verteidiger bei. Zu Beginn der Hauptverhandlung beantragte die Angeklagte erfolglos dessen Entpflichtung und erhob dabei schwere Vorwürfe gegen ihn, die der Rechtsanwalt allerdings in Abrede stellte. Ihren Antrag, der mit dem neuerlichen Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts E. aus München verbunden war, wies das Schwurgericht durch Beschluß zurück. Zur Hauptverhandlung ist Rechtsanwalt E. , dessen Wahlmandat fortdauerte, nicht erschienen; anwesend war nur der bestellte ortsansässige Verteidiger.

1. Die Rüge ist zulässig. Ihre Statthaftigkeit wird nicht dadurch infrage gestellt, daß der Antrag auf Beiordnung zunächst schon im Ermittlungsverfahren abgelehnt worden ist, vielmehr unterliegt die Entscheidung des Vorsitzenden als Vorentscheidung im Sinne von § 336 StPO unmittelbar der Kontrolle des Revisionsgerichts (dazu BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 3 m.w.Nachw.). Hier tritt hinzu, daß der Antrag in der Hauptverhandlung erneut gestellt und letztmalig durch Beschluß des Schwurgerichts zurückgewiesen worden war.

2. § 142 Abs. 1 StPO gibt dem Beschuldigten keinen Rechtsanspruch auf die Bestellung einer bestimmten (von ihm ausgewählten) Person als Verteidiger (BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 1). Im öffentlichen Interesse soll die Vorschrift gewährleisten, daß ein Beschuldigter in den vom Gesetz genannten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dabei auch ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gesichert ist (vgl. z.B. OLG Düsseldorf StV 1984, 372). Die Auswahl des Verteidigers liegt dabei grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden. Allerdings ist dessen Ermessen durch die mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 Gesetz gewordene Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO unter Beachtung zuvor vom Bundesverfassungsgericht aufgestellter Grundsätze (BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 239) dahin eingeschränkt worden, daß bei der Auswahl des Verteidigers auch dem Interesse des Beschuldigten, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, ausreichend Rechnung getragen werden muß (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 142 Rdn. 3 und 7; OLG Karlsruhe NJW 1978, 1064); grundsätzlich soll der Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (BVerfGE 9, 36, 38). Deshalb soll der Beschuldigte nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO Gelegenheit erhalten, einen Anwalt zu benennen; diesen muß der Vorsitzende dann beiordnen, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen (§ 142 Abs. 1 Satz 3 StPO). Einen wichtigen Grund, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen, nennt § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO: Der zu bestellende Verteidiger soll möglichst aus der Zahl der bei einem Gericht des betreffenden Gerichtsbezirks zugelassenen Anwälte gewählt werden. Die Gerichtsnähe des Verteidigers ist in der Regel eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung, und zwar sowohl für den Beschuldigten als auch für den Verfahrensablauf (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 5); zugleich dient sie der Vermeidung höherer Kosten. Ein auswärtiger Verteidiger soll daher nur ausnahmsweise bestellt werden. Weiter reicht die einschränkende Wirkung des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO allerdings nicht; die Vorschrift enthebt den Vorsitzenden insbesondere nicht der gebotenen Interessenabwägung, sondern gibt in deren Rahmen lediglich ein gesetzlich normiertes Regelbeispiel für einen wichtigen Grund im Sinne von § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO.

3. Danach hat der Beschuldigte aus § 142 Abs. 1 StPO nur einen Rechtsanspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das Revisionsgericht kann - anders als das Beschwerdegericht, welches sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Vorsitzenden der Vorinstanz setzen kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 309 Rdn. 4 m.w.Nachw.) - die Beiordnungsentscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen und hat sie im übrigen hinzunehmen (Laufhütte in KK 3. Aufl. § 142 Rdn. 12). Ermessensfehlerhaft ist die Auswahlentscheidung dann, wenn sie von falschen oder sachwidrigen Voraussetzungen ausgeht, in Wahrheit nicht bestehende Bindungen annimmt ("Ermessensunterschreitung") oder wenn das Ermessen infolge des Überwiegens besonderer Umstände ausnahmsweise "auf Null reduziert" ist (dazu Schlothauer StV 1981, 443, 450).

4. Gemessen an diesen Maßstäben war die Versagung der Beiordnung des Rechtsanwalts E. rechtsfehlerhaft, weil sich das richterliche Auswahlermessen hier ausnahmsweise auf dessen Person beschränkte (also "auf Null reduziert" war). Schon das Gewicht der gegen die Angeklagte im Ermittlungsverfahren erhobenen, von ihr bestrittenen Tatvorwürfe (sie hatte sich damals noch wegen eines weiteren, später nach § 154 StPO ausgeschiedenen Mordkomplotts zu verantworten) rückt bei der gebotenen Abwägung aller Umstände das von § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO geschützte Kosteninteresse weiter in den Hintergrund, als dies bei weniger gravierenden Tatvorwürfen der Fall wäre (vgl. OLG Düsseldorf StV 1985, 450).

Von besonderem Gewicht ist, daß die Untersuchungshaft der die Tat bestreitenden Angeklagten zunächst elf Monate lang weit vom späteren Gerichtsort entfernt und erst danach am Gerichtsort vollzogen wurde. Daß es hier sachlich gerechtfertigt war, schon im Ermittlungsverfahren einen Verteidiger zu Rate zu ziehen, bedarf keiner weiteren Darlegung. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Angeklagte zunächst einen Rechtsanwalt beauftragte, der seinen Kanzleisitz nahe der Haftanstalt hatte. Hätte die Angeklagte einen am Gerichtsort ansässigen Verteidiger bemüht, so wären in diesem Stadium des Verfahrens hohe Reisekosten für Besuche in der Haftanstalt angefallen. Soll die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz gewähren wie die Wahlverteidigung (BVerfG aaO), so konnte dieses Ziel nur durch die Beiordnung des Rechtsanwalts E. erreicht werden; kein mit ausreichenden Mitteln ausgestatteter Beschuldigter wäre gezwungen gewesen, trotz schwerster Tatvorwürfe beim Übergang vom Ermittlungs- zum Hauptverfahren den bisherigen Verteidiger zu wechseln (vgl. für das Auseinanderfallen von Haftort und Gerichtsort auch OLG München StV 1984, 67; LG Oldenburg StV 1984, 506; OLG Nürnberg StV 1987, 191; OLG Düsseldorf StV 1987, 240, 241; OLG Hamm StV 1990, 395; für ein Auseinanderfallen von Wohnort des Angeklagten und Gerichtsort OLG Schleswig StV 1987, 478, 479; OLG München StV 1993, 180; OLG Koblenz StV 1995, 118).

Die Vertretung durch Rechtsanwalt E. im Ermittlungsverfahren hatte hier zu einem schutzwürdigen besonderen Vertrauensverhältnis geführt, dem die Beiordnungsentscheidung Rechnung tragen mußte (vgl. dazu OLG München StV 1984, 67; OLG Frankfurt StV 1985, 315; StV 1985, 449; OLG Nürnberg StV 1987, 191, 192; OLG Karlsruhe NJW 1978, 1064), zumal der Rechtsanwalt die Angeklagte im Februar 1995 in einem weiteren Verfahren wegen Betrugstaten, die die Angeklagte im Zusammenhang mit ihren Beziehungen zu dem hier u.a. wegen mehrfachen Mordes verurteilten Mitangeklagten R. begangen hatte, als bestellter Verteidiger vor dem Amtsgericht Fürth vertreten hatte (zu diesem Gesichtspunkt vgl. OLG Zweibrücken StV 1981, 288; OLG Saarbrücken StV 1983, 362; OLG Düsseldorf StV 1987, 240).

5. Ob diese Umstände jeder für sich schon ausgereicht hätten, das von § 142 Abs. 1 StPO eröffnete Auswahlermessen einzuschränken, kann dahinstehen. Jedenfalls folgt die Ermessensreduzierung aus einer Gesamtschau. Die zu erwartenden Mehrkosten der Anreise des Verteidigers zum Gerichtsort standen nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und waren angesichts des Nachteils, den die den Tatvorwurf bestreitende Angeklagte andererseits durch den Verlust ihres bisherigen Verteidigers hinzunehmen hatte, in Kauf zu nehmen. Das Landgericht hätte allenfalls erwägen können, den ungestörten Gang der Hauptverhandlung durch die Beiordnung eines weiteren ortsansässigen Verteidigers zusätzlich zu sichern.

6. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit es die Angeklagte K. betrifft, weil die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt worden ist (§ 338 Nr. 8 StPO) und das Gericht mit der Ablehnung der beantragten Beiordnung sowohl seine Fürsorgepflicht gegenüber der bestreitenden Angeklagten als auch den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 59) verletzt hat. Um einen wesentlichen Punkt i.S. des § 338 Nr. 8 StPO handelt es sich auch dann, wenn es - ungeachtet der Mitwirkung eines anderen Verteidigers (vgl. auch BGHSt 36, 259, 262) - um den Verteidiger des Vertrauens geht. Der Senat hat die Sache an ein anderes Landgericht zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).

B. Die Revision der Staatsanwaltschaft

I. Angeklagte K.

Die Sachrüge ist zulässig auf die Frage der besonderen Schwere der Schuld im Sinne von § 57a StGB beschränkt (vgl. dazu BGHSt 39, 208, 209; 41, 57, 61). Rechtsfehler deckt die in diesem Punkt vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision nicht auf.

Zwar lag der Angeklagten neben den abgeurteilten Taten ursprünglich auch eine Verabredung zum Mord an ihrer Schwester zur Last. Doch ist dieser Vorwurf im weiteren Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO nicht weiter verfolgt worden. Er findet im angefochtenen Urteil keine hinreichende Stütze, so daß er für die Rechtsfolgenentscheidung auch nicht heranzuziehen war. Eine Aufklärungsrüge hat die Staatsanwaltschaft dazu nicht erhoben.

Im übrigen hat das Schwurgericht die vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs aufgestellten Grundsätze (BGHSt 40, 360 ff.) bedacht und die maßgeblichen Umstände ohne Rechtsfehler gegeneinander abgewogen. Der Senat konnte daher eine - mögliche - andere Wertung nicht an die Stelle der tatrichterlichen Wertung setzen (BGHSt 41, 57, 62).

II. Angeklagter S.

Soweit sich die - insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil dieses Angeklagten mit dem Ziel höherer Bestrafung gegen dessen Verurteilung nur wegen Beihilfe zum Mord wendet, hat sie gleichfalls keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen faßte der Mitangeklagte R. 1987 den Entschluß, für das Tatopfer G. ohne dessen Wissen zahlreiche Lebensversicherungsverträge abzuschließen, um es sodann zu töten. Der Angeklagte S. kannte und billigte dieses Vorhaben. Teile der Versicherungssummen in Höhe von mehreren Millionen DM sollten jeweils dem Mitangeklagten R. , seiner Ehefrau und dem Mitangeklagten V. zugutekommen. Der als Versicherungsmakler eingeschaltete Angeklagte S. konnte sich selbst zwar nicht als Bezugsberechtigten von Versicherungsleistungen einsetzen, doch traf er ohne Wissen des Haupttäters mit dem Mitangeklagten V. die Absprache, die auf letzteren entfallenden Versicherungsleistungen zwischen beiden zu teilen. An der Vorbereitung und Durchführung des komplexen Tatplans war der Angeklagte - wie im Urteil ausführlich dargelegt ist - umfangreich beteiligt.

Am 18. September 1987 wurde G. vom Mitangeklagten R. in dessen Haus getötet. Der Angeklagte S. hielt sich zu dieser Zeit in Norddeutschland auf, um für die Tat, mit der er rechnete, ein Alibi zu haben. Vorwiegend deshalb, weil er die eigentliche Tatherrschaft damit allein in die Hände des Haupttäters gelegt und dieser allein entschieden habe, ob, wann und wie im einzelnen die Tötung geschehen solle, hat das Landgericht nach Abwägung der Tatumstände den Tatbeitrag des Angeklagten S. lediglich als Beihilfe gewertet.

1. Diese Bewertung der subjektiven und objektiven Tatumstände ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Mittäterschaft liegt vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht lediglich fremdes Handeln fördern, sondern seinen Tatbeitrag als Teil einer gemeinsamen Tätigkeit beisteuern will. Er muß dabei seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils wollen. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat eingegangen ist, hat der Tatrichter nach den gesamten - von der Vorstellung des Tatbeteiligten erfaßten - Tatumständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Gesamtwürdigung sind der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (vgl. BGHSt 37, 289, 291 m.w.Nachw.; BGH NStZ 1985, 165; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 2, 11, 12, 13, 16, 18, 26; Tatherrschaft 2). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Läßt das angefochtene Urteil erkennen, daß der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (BGH NStZ 1985, 165; 1984, 413, 414).

So liegt der Fall hier. Der Revision ist zuzugeben, daß der Angeklagte S. sich massiv an der Tatvorbereitung beteiligt hat. Auch war er - wenn auch nur mittelbar und ohne Wissen des Haupttäters - über die mit dem Angeklagten V. getroffene Absprache am Erfolg der Tat interessiert. Dennoch durfte das Landgericht, da es diese Tatumstände nicht übersehen hat, bei seiner Gesamtbewertung zugunsten des Angeklagten darauf abstellen, daß der Tatplan möglicherweise zunächst allein vom Haupttäter entwickelt worden war, der Angeklagte S. die Tatherrschaft für die eigentliche Tatausführung allein diesem überlassen und sich - wie die Absprache mit dem Angeklagten V. zeigt - gleichsam nur als "Trittbrettfahrer" geriert hatte.

2. Angesichts des aktiven Verhaltens, durch das sich der Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht hat, ist entgegen der Meinung der Revision kein Raum für die Annahme einer Begehung der Tat durch Unterlassen, den Tod des Opfers vermittels Warnung oder Anzeige zu verhindern (vgl. BGH bei Tröndle StGB 48. Aufl. Rdn. 12 vor § 13).

3. Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe bei der Strafzumessung übersehen, daß der Angeklagte S. die Tat auch in Verdeckungsabsicht verübt und damit - neben der vom Landgericht angenommenen Habgier - ein weiteres Mordmerkmal verwirklicht habe, findet dieser Vortrag in den Feststellungen keine Stütze. Ob dies und auch der Umstand, daß das Landgericht nicht näher geprüft hat, ob die Tötung die nachfolgenden Betrugstaten zum Nachteil der Lebensversicherer ermöglichen sollte, einen Darstellungsmangel des Urteils darstellt, läßt der Senat offen. Er kann jedenfalls ausschließen, daß das Urteil darauf beruht, denn das Landgericht hat den Zusammenhang, in dem die Tötung stand, nicht verkannt und es dem Angeklagten deshalb strafschärfend angelastet, er habe mit der Mordtat einen hohen (rechtswidrigen) Vermögensvorteil angestrebt und diesen auch noch nach der Flucht des Haupttäters weiterverfolgt.

Externe Fundstellen: BGHSt 43, 153; NJW 1997, 3385; NStZ 1998, 49; StV 1997, 564

Bearbeiter: Rocco Beck