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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 685/95, Beschluss v. 23.03.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 685/95 - Beschluß vom 23. März 1996 (LG Konstanz)

BGHSt 42, 103; inhaltliche Anforderungen an die Begründung einer Zustimmung zum Einsatz eines verdeckten Ermittlers durch den Richter (Abwägung; formularmäßige Begründung; Verantwortung des Richters für die hinreichende Verlässlichkeit bei Hinweisen von V-Personen; Revisibilität nur bei Willkür oder Unvertretbarkeit); Wohnungsfreiheit; allgemeines Persönlichkeitsrecht (Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs).

§ 110b Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO; § 110a StPO; § 34 StPO; Art. 13 GG; Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 GG

Leitsätze

1. Die Entscheidung des Richters, mit der er dem Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nach § 110b Abs. 2 StPO zustimmt, muß in ihrer nach § 34 StPO erforderlichen Begründung erkennen lassen, daß eine Abwägung auf der Grundlage sämtlicher im Einzelfall relevanter Erkenntnisse stattgefunden hat. (BGHSt)

2. Die schriftliche Begründung darf sich nicht auf die Wiedergabe der Eingriffsnormen beschränken und ist einzelfallbezogen mit Tatsachen zu belegen. Sie muß gleichsam korrigierend gewährleisten, daß mögliche Interessen der aus der Natur der Sache heraus notwendigerweise nicht vorher gehörten Betroffenen (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) beachtet werden. Systematisch können an die Zustimmung zu derartigen Einsätzen, bei denen der Verdeckte Ermittler eine oder mehrere noch nicht einmal bekannte Wohnungen betreten darf (§ 110 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO), im Lichte des Art. 13 GG jedenfalls keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an eine Durchsuchungsanordnung nach § 105 StPO gemäß Art. 13 Abs. 2 GG. (Bearbeiter)

3. Diese Anforderungen an die Begründung gelten erst recht, wenn, wie hier, mit der Richtung gegen eine bestimmte Person (§ 110 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO) zugleich in den höchstpersönlichen Lebensbereich (Art. 2 Abs. 1 GG) mit möglicherweise irreparablen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen eingegriffen wird. (Bearbeiter)

4. Ist Entscheidungsgrundlage des Antrags allein ein Hinweis einer V-Person, ist besondere Vorsicht geboten, um eine Außensteuerung der Justiz oder Selbstermächtigung des Verdeckten Ermittlers zu verhindern. Es liegt dabei allein in der Verantwortung des Richters, die ihm noch erforderlich erscheinenden Informationen insbesondere auch zur Verläßlichkeit des Informanten und der Identität des einzusetzenden Verdeckten Ermittlers einzuholen. Reichen ihm diese nicht aus, hat er die Zustimmung abzulehnen. (Bearbeiter)

5. Die Rüge einer unzureichenden Zustimmungsbegründung ist nur erfolgreich, wenn sich die Zustimmung als willkürlich oder unvertretbar erweist. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Der Beschluß des Landgerichts Konstanz vom 18. September 1995, mit dem die Revision als unzulässig verworfen worden war, wird aufgehoben (§ 346 Abs. 2 StPO).

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 5. Mai 1995 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Beschwerdeführer - neben anderen Mitangeklagten - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, eine Maßregel nach § 69 StGB verhängt und - zu Ziffer 4 der Urteilsformel - auch (was sich erst den Urteilsgründen entnehmen läßt) in bezug auf den Beschwerdeführer das Verfahren teilweise "gemäß § 154 II StPO eingestellt". Gegen dieses Urteil wendet sich die zulässige Revision mit einer Verfahrensrüge und der allgemeinen Sachrüge. Sie bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

I. Die Revision war zunächst durch das Landgericht mit Beschluß vom 18. September 1995 als unzulässig verworfen worden, weil die Revisionsanträge nicht fristgerecht angebracht worden seien. Dies war fehlerhaft.

Die wirksame Zustellung des Urteils erfolgte erst am 11. Dezember 1995. Die Revisionsbegründung ging somit am 11. Januar 1996 fristgemäß ein.

Der Beschluß des Landgerichts war daher aufzuheben.

II. Mit einer Verfahrensrüge greift die Revision die Verwertung von Erkenntnissen an, die das Landgericht aus einem "erkenntlich fehlerhaften" Einsatz eines Verdeckten Ermittlers entgegen dem Widerspruch der Verteidigung in der Hauptverhandlung gewonnen habe.

1. Aus Revisionsvortrag und damit übereinstimmendem Akteninhalt ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Konstanz hatte bei dem Amtsgericht Konstanz mit einem gesonderten Vorgang (§ 110 d Abs. 2 Satz 1 StPO) den Antrag gestellt, dem Einsatz eines auf Dauer angelegten (vgl. BGHSt 41, 64, 65) Verdeckten Ermittlers zuzustimmen, und dabei "auf den beigefügten Bericht" der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift (GER) in Freiburg verwiesen. Der Amtsrichter hat diesem Antrag ohne eigenständige Begründung allein mit seiner Unterschrift auf einem weiteren mit dem Antrag und dem Bericht verbundenen Vordruck zugestimmt. In dem Bericht heißt es:

"Die GER Freiburg führt derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen den im Raum Villingen-Schwenningen operierenden türkischen Rauschgifthändler E.." ... Es "wurde bereits eine VP eingesetzt. Aufgrund neuester Hinweise ist es erforderlich, einen VE über die VP an E. mit dem Ziel, ein Scheingeschäft zu tätigen, heranzuführen. E., Spitzname Apo, sucht derzeit dringend Abnehmer größerer Mengen Heroin (bis hin zum Kilobereich). Gegen den dringend tatverdächtigen Heroinhändler werden seit 1991 immer wieder vergebens Ermittlungen geführt. Bislang war jedoch kein hinreichender Tatverdacht gegen ihn zu erbringen."

In dem dem Richter vorgelegten Formular war angekreuzt: "Es besteht somit Tatverdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung nach StPO § 110 a I Nr. 4." Die Notwendigkeit des Einsatzes ist durch Unterstreichung begründet mit: "Aufklärung aussichtslos/wesentlich erschwert". Drei Einsatzstädte wurden angegeben. Sodann ist ausgeführt: "Es ist nicht auszuschließen, daß der VE bei diesem Einsatz voraussichtlich noch nicht näher bekannte Wohnungen (i.S.d. § 110 b/II Nr. 2 StPO) betreten muß."

In der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hat die Strafkammer trotz ausdrücklichen Widerspruchs die ihn belastenden Angaben des Verdeckten Ermittlers mittelbar eingeführt und die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf diese Erkenntnisse gestützt.

2. Die Entscheidung über die Zustimmung bedarf einer Begründung, da sie bis zu ihrer Erledigung anfechtbar ist (§ 34 StPO - vgl. hierzu KK-Maul, 3. Aufl. Rdn. 1 ff.). Bei dieser grundsätzlich eigenständigen Begründung sind Bezugnahmen auf andere Dokumente zulässig, müssen dann jedoch als solche jedenfalls erkennbar sein.

a) Inhaltlich muß die schriftliche Begründung sämtliche materiellen und prozessualen Voraussetzungen der §§ 110 a und 110 b StPO einschließlich der in bezug genommenen Vorschriften abdecken (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl. Rdn. 6 zu § 110 b StPO sowie KK-Nack, 3. Aufl. § 110b StPO Rdn. 3). Sie darf sich nicht auf die Wiedergabe der Eingriffsnormen beschränken und ist einzelfallbezogen mit Tatsachen zu belegen. Sie muß gleichsam korrigierend gewährleisten, daß mögliche Interessen der aus der Natur der Sache heraus notwendigerweise nicht vorher gehörten Betroffenen (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) beachtet werden (Hilger JR 1990, 485, 488; ders. in GS Meyer S. 209, 219). Systematisch können an die Zustimmung zu derartigen Einsätzen, bei denen der Verdeckte Ermittler eine oder mehrere noch nicht einmal bekannte Wohnungen betreten darf (§ 110 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO), im Lichte des Art. 13 GG jedenfalls keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an eine Durchsuchungsanordnung nach § 105 StPO gemäß Art. 13 Abs. 2 GG (vgl. hierzu BVerfGE 42, 212, 218 ff. sowie Hilger GS Meyer S. 214 ff.; nicht gefolgt werden kann Groth, Verdeckte Ermittlung und Gewinnabschöpfung S. 63 und Weil ZRP 1992, 243, 247, die, an einer restriktiven Auslegung des Wortes "Durchsuchung" haftend, durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 110 c bzw. § 110 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO hegen und eine verfassungsrechtliche Ermächtigung für sonstige strafprozessuale Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG vermissen). Diese Anforderungen an die Begründung gelten erst recht, wenn, wie hier, mit der Richtung gegen eine bestimmte Person (§ 110 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO) zugleich in den höchstpersönlichen Lebensbereich (Art. 2 Abs. 1 GG) mit möglicherweise irreparablen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen eingegriffen wird (Hilger aaO S. 218).

b) Ist Entscheidungsgrundlage des Antrags allein ein Hinweis einer V-Person, ist besondere Vorsicht geboten, um eine Außensteuerung der Justiz oder Selbstermächtigung des Verdeckten Ermittlers zu verhindern. Hiermit wird dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, dem Gewaltenteilungsprinzip folgend, die Entscheidung eines unabhängigen Richters zur notwendigen Voraussetzung für derartig tiefgreifende Grundrechtseingriffe zu machen. Es liegt allein in der Verantwortung des Richters, die ihm noch erforderlich erscheinenden Informationen - insbesondere auch zur Verläßlichkeit des Informanten und der Identität des einzusetzenden Verdeckten Ermittlers (§ 110 b Abs. 3 Satz 2 StPO - vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 10) - einzuholen. Reichen ihm diese nicht aus, hat er die Zustimmung abzulehnen; bei Nichtentscheidung binnen drei Tagen ist ein bereits wegen Gefahr im Verzuge begonnener Einsatz zu beenden (§ 110 b Abs. 2 Satz 4 StPO).

3. Unter Anlegung dieser Kriterien greift die unter Berufung auf BGHSt 31, 304 ein Verwertungsverbot geltend machende Verfahrensrüge letztlich nicht durch. Die Zustimmung kann nicht als willkürlich oder unvertretbar bezeichnet werden.

a) Gegen die Verwendung von Formularen ist entgegen den Bedenken der Revision generell nichts einzuwenden (vgl. zu § 114 StPO: BVerfG NJW 1982, 29). Entscheidend ist, wie sie verwendet werden. Es muß deutlich werden, daß ein richterlicher Abwägungsprozeß, eine Einzelfallprüfung auf der Grundlage sämtlicher für den Eingriff relevanter Erkenntnisse stattgefunden hat. Es liegt auch hier wieder in der Verantwortung des unabhängigen Ermittlungsrichters, in Zweifelsfällen auf eine vollständige Vorlage der bisherigen Erkenntnisse zu drängen, bevor er über die Erteilung der Zustimmung entscheidet.

b) Die - konkludente - Bezugnahme des Richters auf den vorgehefteten Antrag und Bericht unterliegt nach dem mitgeteilten Vorgang keinem durchgreifenden Zweifel.

c) Unschädlich im Hinblick auf ein Verwertungsverbot ist, daß mit § 110 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO in dem Gesamtdokument ersichtlich die falsche Alternative herangezogen wurde, läßt doch der Hinweis allein auf den jetzigen Angeklagten keinen Anhaltspunkt für eine organisierte Straftat oder gar eine Bandenmitgliedschaft zu. Entscheidend ist hier, daß die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 110 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO (Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet der Betäubungskriminalität) vorgelegen hatten. Die Verwertbarkeit ergäbe sich im übrigen - nur diesen Mangel unterstellt - ausdrücklich aus § 110 e StPO.

d) Vergeblich beanstandet schließlich die Revision, es habe noch kein Anfangsverdacht für eine bereits begangene strafbare Handlung vorgelegen. Einem neuerlichen Anfangsverdacht (nach § 110 a StPO reichen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO aus) steht die Tatsache früherer Verfahrenseinstellungen wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachtes nicht entgegen, vermag ihn - insoweit ist der Revision Recht zu geben - allerdings auch nicht zu begründen. Jedoch sollte durch die kritisierte Wendung in der Antragsbegründung ersichtlich auch die Subsidiarität der Maßnahme (§ 110 a Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO) begründet werden, wonach der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers u.a. nur zulässig ist, wenn andere Maßnahmen aussichtslos wären.

Wie sich aus dem Urteil ergibt, wurde der Angeklagte nicht nur von den Ermittlungsbehörden jedenfalls wertend zutreffend als "bestimmter Beschuldigter" geführt (vgl. hierzu KK-Nack, 3. Aufl. § 110 b StPO Rdn. 5); die diesen Verdacht rechtfertigenden Taten vor Zustimmung des Ermittlungsrichters ergeben sich aus dem Urteil selbst (Fall II 3, IX 2 sowie Angaben der Zeuginnen O. und S.).

Die Gesamtschau ergibt nach alledem, daß der Beschwerdeführer hier auch bei einer ex-ante-Betrachtung nicht durch eine willkürliche oder unvertretbare Entscheidung in seinen Rechten verletzt wurde. Für ein Verwertungsverbot ist demnach kein Raum (vgl. zu den Maßstäben bei der Telefonüberwachung BGHSt 41, 30 = StV 1995, 226 mit krit. Anmerkung Störmer aaO S. 653).

III. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge des Angeklagten hat im übrigen keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).

IV. Zu Ziffer 4 der Urteilsformel bemerkt der Senat ergänzend:

Eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO hat durch einen mit einer Entscheidung über Kosten und Auslagen verbundenen Beschluß zu erfolgen, nicht durch Urteil. Schon die Beschlußformel darf keinen Zweifel lassen, auf welche Taten und welche Angeklagten sie sich bezieht.

Da der Angeklagte E. jedoch durch die Einstellung in den Punkten 5, 6 und 8 der Anklage ausschließlich begünstigt wird, ist der Senat durch das Verschlechterungsverbot gehindert, diesen Teil der Urteilsformel aufzuheben.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 103; NJW 1996, 2518; NStZ 1997, 249; StV 1996, 357; StV 1996, 578

Bearbeiter: Rocco Beck