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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 685/94, Urteil v. 07.03.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 685/94 - Urteil vom 7. März 1995 (LG Traunstein)

BGHSt 41, 64; Einsatz von verdeckten Ermittlern bei Betäubungsmittelstraftaten (Zustimmungserfordernisse); Einordnung eines Polizeihandelns als Tätigkeit eines verdeckten Ermittlers.

Art. 8 EMRK; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 110a Abs. 2 StPO; § 110b Abs. 2 StPO

Leitsätze

1. Ein nicht offen eingesetzter Polizeibeamter wird als verdeckter Ermittler im Sinne des § 110a Abs. 2 StPO tätig, wenn er über einen längeren Zeitraum unter Benutzung seiner Legende mit einer oder mehreren Personen über den Erwerb von Betäubungsmitteln verhandelt, mag auch der Kontakt zu einzelnen Verhandlungspartnern nur kurz sein. (BGHSt)

2. Eine aus § 110b Abs. 2 S. 2, 3 StPO erteilte Zustimmung der Staatsanwaltschaft zum Einsatz eines verdeckten Ermittlers gegen einen bestimmten Beschuldigten wird nicht dadurch von vornherein unwirksam, dass die nachträgliche Zustimmung des Richters nach § 110b Abs. 2 S. 4 StPO unterbleibt. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Juni 1994, soweit es die Angeklagte Sch. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über die im Falle II 2 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe, im Ausspruch über die Gesamtstrafe und soweit die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Verabredung zum Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Überprüfung der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wirksam beschränkt worden ist, hat teilweise Erfolg.

I.

Gegen den Schuldspruch erhebt die Revision keine besonderen Einwendungen. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

II.

1. Dagegen kann die Strafzumessung im Falle II 2 der Urteilsgründe keinen Bestand haben, weil die dazu angeführten Erwägungen des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern sind.

Das Landgericht hat der Angeklagten Sch. strafmildernd angerechnet, daß "die weitere Tat durch den direkten Einsatz eines verdeckten Ermittlers gegen die Angeklagten ohne die gesetzlich erforderliche richterliche Genehmigung gefördert" worden ist. Diese Wertung gibt zu rechtlichen Bedenken Anlaß.

Die Einwände, die die Revision insoweit erhebt, greifen freilich nicht durch. Die Staatsanwaltschaft hält diese Strafzumessungserwägungen des Landgerichts schon deshalb für fehlerhaft, weil der unter dem Decknamen "U." arbeitende Polizeibeamte gegenüber der Angeklagten Sch. nicht als verdeckter Ermittler, sondern nur als gelegentlicher Scheinaufkäufer aufgetreten sei. Das trifft jedoch nach den Feststellungen nicht zu.

Verdeckte Ermittler sind nach § 110 a Abs. 2 StPO Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen auf Dauer angelegten veränderten Identität (Legende) ermitteln.

Ob der Einsatz eines verdeckt ermittelnden Polizeibeamten auf Dauer angelegt ist und deshalb den strengen Auflagen der §§ 110 a ff. StPO unterliegt, ist durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen. Dabei kann es auf zeitliche Mindestgrenzen nicht ankommen (a.A. Krey, Gutachten für das Zollkriminalamt Köln, 1994 S. 31; Kraushaar Kriminalistik 1994, 481, 482, die von einer Mindesteinsatzdauer von sechs Monaten ausgehen). Entscheidend ist, ob der Ermittlungsauftrag über einzelne wenige, konkret bestimmte Ermittlungshandlungen hinausgeht, ob es erforderlich werden wird, eine unbestimmte Vielzahl von Personen über die wahre Identität des verdeckt operierenden Polizeibeamten zu täuschen, und ob wegen der Art und des Umfanges des Auftrages von vornherein abzusehen ist, daß die Identität des Beamten in künftigen Strafverfahren auf Dauer geheimgehalten werden muß. Dabei ist darauf abzustellen, ob der allgemeine Rechtsverkehr oder die Beschuldigtenrechte in künftigen Strafverfahren eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung durch den Einsatz des verdeckt operierenden Polizeibeamten erfahren können.

Ein Einsatz als verdeckter Ermittler kann danach ausscheiden, wenn ein Polizeibeamter - sei es auch unter einer Legende - lediglich als Scheinaufkäufer auftritt, ohne in die Ermittlungen darüber hinaus eingeschaltet zu sein (vgl. Begründung zum Entwurf des OrgKrimG, BT-Drucks. 12/989, S. 42; Krey aaO S. 32). Die Revisionsführerin hebt darauf ab, indem sie geltend macht, der Polizeibeamte "U." sei zwar allgemein auf Grund des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes als verdeckter Ermittler eingesetzt gewesen, sein Tun gegenüber der Angeklagten Sch. habe sich jedoch auf einen einmaligen Scheinaufkauf beschränkt. Diese Beurteilung ist jedoch unzutreffend. Der verdeckt ermittelnde Polizeibeamte "U." ist nicht nur als gelegentlicher Aufkäufer tätig geworden. Er hat vielmehr nach den Feststellungen von Februar bis Ende Juli 1993 immer wieder zunächst mit G. und Z., schließlich mit der Angeklagten Verhandlungen über die Lieferung von Betäubungsmitteln geführt. Diese Aktivitäten können nach Sachlage nur im Zusammenhang beurteilt werden. Es ergibt sich aus ihnen, daß der Polizeibeamte nicht nur bei einem Scheinaufkauf mitwirkte, sondern daß er langfristig angelegte Ermittlungsmaßnahmen gegen einen sich immer mehr vergrößernden Personenkreis durchführte.

Jedoch war entgegen der Meinung des Landgerichts für diesen Einsatz jedenfalls hinsichtlich der Angeklagten Sch. und des insoweit wesentlichen Zeitpunktes, nämlich der Vereinbarung von Lieferung, Preis und Übergabetermin des Kokains, eine richterliche Genehmigung nicht ohne weiteres erforderlich. Der Kontakt zur Angeklagten als der vorgesehenen Lieferantin des Stoffs war für den Polizeibeamten "U." am 27. Juli 1993 überraschend entstanden; er nutzte die Gelegenheit und vereinbarte sofort mit ihr eine Lieferung auf den 29. Juli 1993. Bei diesem Ablauf kam in Frage, daß zunächst wegen Gefahr im Verzuge nicht die Zustimmung des Richters, sondern nur die Zustimmung des Staatsanwalts nach § 110 b Abs. 2 Sätze 2, 3 StPO eingeholt wurde. Diese Zustimmung hätte ihre Wirksamkeit nicht dadurch verloren, daß eine richterliche Genehmigung nicht binnen drei Tagen erfolgt ist (vgl. § 110 b Abs. 2 Satz 4 StPO). Zwar muß davon ausgegangen werden, daß der Einsatz gegen die Angeklagte nicht binnen drei Tagen beendet war, denn zu der für den 29. Juli 1993 vereinbarten Lieferung war es nicht gekommen, und in der Folge gab es zumindest am 3. August 1993 erneut einen Kontakt zwischen Frau Sch. und dem Polizeibeamten "U.". Das ändert jedoch nichts daran, daß die wesentlichen Ermittlungsmaßnahmen durch eine Eilgenehmigung der Staatsanwaltschaft nach § 110 b StPO gedeckt und damit rechtmäßig gewesen sein konnten. Der Staatsanwalt nimmt bei der Ausübung seiner Eilkompetenz neben der fortbestehenden richterlichen Kompetenz eine ihm vom Gesetz übertragene Befugnis in eigener Zuständigkeit wahr. Wo das Gesetz - wie in § 110 b Abs. 2 Satz 4 StPO - das Außerkrafttreten der Eilanordnung wegen fehlender richterlicher Bestätigung vorsieht, wird lediglich ihrer Fortdauer die rechtliche Grundlage entzogen, sie jedoch nicht von vornherein für unwirksam erklärt. Das ergibt sich aus dem dualen System, das Richterkompetenz und staatsanwaltschaftliche Eilkompetenz bilden (so zutreffend Schnarr NStZ 1991, 209, 214 f.).

Den Urteilsgründen läßt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, daß eine staatsanwaltschaftliche Zustimmung im Sinne des § 110 b StPO tatsächlich erteilt worden ist. Der den verdeckten Ermittler führende Polizeibeamte hat dazu in der Hauptverhandlung ausgeführt, "der verdeckte Ermittler sei unter seiner Legende sowohl allgemein als auch speziell in diesem Falle gegen die angeklagten Personen eingesetzt gewesen. Hierzu habe man die Genehmigung der Staatsanwaltschaft eingeholt, nicht aber eine richterliche Genehmigung"; diese sei nicht als erforderlich angesehen worden, "weil hier kein Fall des § 110 b Abs. 2 StPO vorliege". Das wird in der neuen Hauptverhandlung zu klären sein. Entscheidend wird es dabei darauf ankommen, ob die Staatsanwaltschaft bei der Erteilung ihrer Zustimmung die Voraussetzungen der §§ 110 a, 110 b StPO beachtet hat.

2. Die übrigen Angriffe der Staatsanwaltschaft gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts hätten dagegen der Revision nicht zum Erfolg verhelfen können.

a) Zu Unrecht beanstandet die Revision, daß sich das Urteil bei der Zumessung der Einzelstrafe für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht mit der Frage auseinandersetze, ob der Einsatz des verdeckt ermittelnden Polizeibeamten "U." nicht schon nach Polizeirecht gerechtfertigt gewesen sei. Es entsprach bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I 1302, in Kraft getreten am 22. September 1992) gefestigter Rechtsprechung, die Rechtmäßigkeit des Einsatzes sog. Lockspitzel an den Regelungen der Strafprozeßordnung zu messen (vgl. BGHSt 32, 345, 346; BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 6; BGH GA 1975, 333; BGH NJW 1980, 1761; BGH NStZ 1981, 70; 1982, 126; 1982, 156, 157; 1984, 78, 79; BGH StV 1991, 460; 1992, 462; BGH NStZ 1992, 275; Herzog NStZ 1985, 153, 155 f.). Hieran hat sich auch nach Inkrafttreten der §§ 110 a ff. StPO nichts geändert (vgl. BGH StV 1994, 169).

Bei der gezielten Provokation einer (polizeilich kontrollierten) Straftat handelt es sich um eine Maßnahme, die nicht mehr der Gefahrenabwehr dient, sondern die darauf gerichtet ist, potentielle Straftäter bei einer Straftat zu ergreifen und der Strafverfolgung zuzuführen, um damit eine generalpräventive Wirkung zu erzielen (Fischer/Maul NStZ 1992, 7, 8 m.w.Nachw.). Im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität soll die Tatprovokation häufig dem weiteren Zweck dienen, Rauschgift vom illegalen Markt abzuschöpfen. Die Tatprovokation nimmt in Kauf, daß sich die Gefahr, der das Strafgesetz entgegenwirken will, in einer (kontrollierten) Straftat durch bestimmte Personen konkretisiert; sie ist eine Maßnahme der Strafverfolgung, deren Rechtmäßigkeit gerade auch dann anhand der Strafprozeßordnung zu bestimmen ist, wenn deren Regelungen enger sind als die des Polizeirechts (Nack in KK 3. Aufl. § 110 a Rdn. 10; Hilger NStZ 1992, 523). Der repressive Charakter der Tatprovokation zeigt sich unter anderem auch daran, daß bereits vor Inkrafttreten des OrgKG weitgehende Einigkeit darüber bestand, die Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung für einen Lockspitzeleinsatz frühzeitig zu beteiligen (vgl. Ziff. II 4 der Gemeinsamen Richtlinien in der zur Tatzeit geltenden Fassung, abgedruckt bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl. A 14 Anlage D S. 2116 ff.; Rebmann NJW 1985, 1, 5, 6 m.w.Nachw.; Rogall JZ 1987, 847, 842; Keller/Griesbaum NStZ 1990, 416, 419 f.; Krey/Haubrich JR 1992, 309, 315; Wick DRiZ 1992, 217, 222; zum Meinungsstand im Gesetzgebungsverfahren: Möhrenschläger wistra 1992, 326, 330 f., Fußn. 58, 59; Kraushaar Kriminalistik 1994, 481, 484).

b) Auch der Angriff der Revision, das Landgericht sei bei seinen Strafzumessungserwägungen zu Unrecht davon ausgegangen, daß zunächst kein Anfangsverdacht gegen die Angeklagte Sch. vorgelegen habe, dringt nicht durch.

Die Strafkammer weist zunächst zutreffend darauf hin, daß die Initiative zu der Kokainbeschaffung hier von der Polizei ausging. Als der anderweitig verfolgte G. von dem V-Mann und dem verdeckt operierenden Polizeibeamten "U." auf Drogengeschäfte angesprochen wurde, bestand weder gegen G. noch gegen die nicht vorbestrafte Angeklagte Sch. irgendein Verdacht im Hinblick auf Rauschgiftgeschäfte. Insoweit trifft auch die Überlegung der Strafkammer zu, daß der später gegen die Angeklagte entstandene Anfangsverdacht, den die Strafkammer konzediert, ohne die Mitwirkung des Polizeibeamten "U." nicht denkbar gewesen wäre. Das Landgericht hat indes zutreffend erkannt, daß spätestens seit dem 27. Juli 1993, an dem die Angeklagte erstmals direkten Kontakt zu "U. " aufnahm, ein konkreter Anfangsverdacht des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gegen sie bestand. Soweit der Einsatz eines verdeckt ermittelnden Polizeibeamten in der Strafzumessung als rechtswidrig bezeichnet worden ist, hat der Tatrichter dies lediglich mit einem Verstoß gegen § 110 b Abs. 2 Nr. 1 StPO (wegen fehlender richterlicher Zustimmung), nicht jedoch mit einem Verstoß gegen § 110 a Abs. 1 Satz 1 StPO (wegen fehlenden Tatverdachts) begründet.

Daß die Begründung des Anfangsverdachts durch staatliche Ermittlungsorgane im Rahmen einer Verursachungskette dennoch strafmildernd berücksichtigt worden ist, steht insoweit im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es dem Tatrichter selbst dann nicht verwehrt ist, die Mitwirkung eines verdeckten Ermittlers strafmildernd zu werten, wenn diese sich in rechtsstaatlichen Grenzen gehalten hatte (BGH StV 1992, 462). Der Bundesgerichtshof hat (aaO) dem Tatrichter in Fällen des rechtmäßigen Lockspitzeleinsatzes einen Spielraum zur angemessenen Berücksichtigung der Umstände zugebilligt, die zur Tat geführt haben. Daß die Strafkammer bei ihren im Rahmen der Strafzumessung angestellten Überlegungen zum Tatverdacht diesen Spielraum verlassen hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat sie zutreffend erkannt, daß die Angeklagte, nachdem sie den ersten Tatanstoß von dem anderweitig verfolgten G. erhalten hatte, sich "doch sehr autonom und aktiv um die weitere Betreibung des Geschäfts kümmerte und dabei insgesamt über ca. sechs Wochen hinweg eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag legte ...". Das hat die Strafkammer auch strafschärfend berücksichtigt.

III.

Der Ausspruch über die Gesamtstrafe gibt auch deshalb zu rechtlichen Bedenken Anlaß, weil das angefochtene Urteil hierzu keine Strafzumessungserwägungen enthält. Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich auch dieser Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt hat.

Ebenso bestand, da die Angeklagte zur Abwicklung des geplanten Betäubungsmittelgeschäfts mit ihrem Kraftfahrzeug in die Niederlande gefahren war, Anlaß, über eine danach mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis zu entscheiden (vgl. BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3).

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 64; NJW 1995, 2237; NStZ 1995, 516; StV 1995, 281; StV 1995, 506

Bearbeiter: Rocco Beck