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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 559/93, Urteil v. 26.10.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 559/93 - Urteil vom 26. Oktober 1993 (LG München II)

BGHSt 39, 371; Freisetzen von ionisierender Strahlung; Eignung zur Schädigung von Leib und Leben.

§ 311d StGB

Leitsatz

Ionisierende Strahlen sind geeignet, Leib oder Leben eines anderen zu schädigen, wenn es nach den Umständen des Falles, insbesondere Herkunft, Intensität und Dauer der Strahlung bei genereller Betrachtung nicht fernliegt, (irgend-)eine Person könne gesundheitlich nicht ganz unerheblich beeinträchtigt werden. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Mai 1993 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen in Tateinheit stehender vorsätzlich begangener Ordnungswidrigkeiten der Einfuhr und Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe und der Beförderung gefährlicher Güter zu Geldbußen von 10.000 DM (M.) und von 5.000 DM (B.), den Angeklagten M. zusätzlich wegen verbotener Einfuhr von Munition zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hält für fehlerhaft, daß die Angeklagten nicht nach § 311 d StGB (Freisetzen ionisierender Strahlen) verurteilt wurden. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

2. Die Angeklagten führten in einem Pkw von Österreich nach Deutschland u.a. Cäsium 137 ein, um es zu verkaufen. Der Stoff befand sich in einem Metallbehälter mit Bleiabschirmung, der durch Schnappverschlüsse und eine versiegelte Schnur verschlossen, ferner - in kyrillischer Schrift - mit der Aufschrift "Radioaktivität" und "Vorsicht" sowie zwei Radioaktivitätssymbolen (Flügelrad) versehen war.

Die Verpackung reichte jedoch nicht aus. An der Außenwand des Behälters wurde eine Strahlung von 7 Mikrosievert/ Stunde gemessen. Diese Strahlung war nach Meinung des sachverständig beratenen Landgerichts zu schwach, um Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen; deshalb sei § 311 d StGB nicht verletzt.

3. § 311 d StGB ist ein sog. abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt (ein "potentielles Gefährdungsdelikt"). Die freigesetzten Strahlen müssen zu keiner konkreten Gefährdung geführt haben; ausreichend ist, daß es nach den Umständen des Falles, insbesondere Herkunft, Intensität und Dauer der Strahlung bei genereller Betrachtung nicht fernliegt, bei (irgend-)einer Person könne ein nicht ganz unerheblicher pathologischer Zustand verursacht werden. Mit der Einführung des § 311 d StGB sollte der Strafrechtsschutz vorverlegt werden (vgl. BT-Drucks. 8/3633 S. 23).

Ob ein solcher schädigungsgeeigneter Zustand hier vorlag, ist dem angefochtenen Urteil nicht mit Sicherheit zu entnehmen; das ist rechtsfehlerhaft. Zutreffend hat das Landgericht allerdings nicht auf die Strahlung bei geöffnetem Behälter (1.000 Mikrosievert/Stunde) abgestellt. Die Verpackung war offenbar so, daß diese Strahlung nicht als "freigesetzt" angesehen werden kann. Doch wird nicht deutlich, ob das Landgericht hinsichtlich der akut freigesetzten Strahlung (7 Mikrosievert/Stunde) über den Geschehensablauf bei der Entdeckung hinaus auch in Betracht gezogen hat, welche Gefahr generell von der Strahlung ausging; was - etwa - hätte geschehen können, wenn die Tat nicht entdeckt worden wäre. Die Angeklagten hatten das die Strahlung verursachende Material in mangelhafter Verpackung in Verkehr gebracht und dadurch Strahlung freigesetzt. Ohne Entdeckung hätte sich das Cäsium noch auf unbestimmte Zeit in mangelhaft verpacktem Zustand im illegalen Umlauf befunden. Irgendeine Gewähr, der Stoff werde in absehbarer Zeit besser gesichert werden, bestand nicht. Da sich die Strahlungswerte addieren, also neben der Intensität der Strahlung auch deren Dauer bedeutsam ist, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß bei entsprechender Aufbewahrung Gesundheitsschäden hätten auftreten können. Auch eine solche mögliche Entwicklung kann die potentielle Gefährlichkeit - die "Eignung" - der Strahlung zeigen.

Bei der Prüfung, welche Strahlungswerte gesundheitliche Schäden hervorrufen können, sind die in der Strahlenschutzverordnung genannten Werte wesentliche Anhaltspunkte. Zwar läßt sich nach derzeitigem Wissensstand nicht nachweisen, ob und in welchem Umfang kleinste Strahlendosen zu schädlichen Wirkungen führen; andererseits besteht auch kein Schwellenwert, jenseits dessen mit Sicherheit Schäden auszuschließen sind. Immerhin beruhen die erwähnten Werte auf Berechnungen, die ihrerseits Beobachtungen bei größeren absorbierten Strahlenbelastungen zur Grundlage haben (vgl. Kramer/Zerlett, Strahlenschutzverordnung Strahlenschutzvorsorgegesetz 3. Aufl. § 28 StrlSchV Erläuterung 6; vgl. auch BVerwG NJW 1981, 1393).

Entgegen den Ausführungen der Revision bestehen keine Bedenken, sich an dem niedrigsten Wert der Anlage X Tabelle X 1 zur Strahlenschutzverordnung zu orientieren (5 Millisievert/Jahr; das Urteil nennt irrtümlich 5 Mikrosievert/Jahr, also Millionstel anstatt Tausendstel). Gerade der illegale, unkontrollierte Umlauf des strahlenden Stoffes im vorliegenden Fall konnte Strahlungseinwirkungen auf Personen mit sich bringen, die der höchsten Schutzkategorie angehören, Personen unter 18 Jahren, Kinder nicht ausgeschlossen. Die Dosis von 5 Millisievert konnte bei andauernder, dieselbe Person treffender Strahlung - die bei unsachgemäßer Lagerung, bis etwa ein Absatzgeschäft abgeschlossen war, nicht ausgeschlossen werden konnte - in durchaus überschaubarer Zeit erreicht werden.

4. Sollte es bei der bisherigen rechtlichen Bewertung bleiben, so wäre bei dem Angeklagten M. § 21 OWiG zu beachten.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 371; NJW 1994, 672; NStZ 1994, 190; StV 1994, 186

Bearbeiter: Rocco Beck