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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 380/93, Urteil v. 24.08.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 380/93 - Urteil vom 24. August 1993 (LG München I)

BGHSt 39, 305; Einbeziehung von Schriftstücken des Verteidigers über Äußerungen des Angeklagten in das Strafverfahren; Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Schlägerei, wenn die den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung herbeiführende Tötungshandlung durch Notwehr gerechtfertigt ist; Zulässigkeit des Urkundsbeweises ohne Verbot (schriftliche Äußerungen des Angeklagten).

§ 32 StGB; § 227 StGB; § 250 StPO

Leitsätze

1. Schriftsätzliche Ausführungen des Verteidigers, in denen er Angaben des Angeklagten wiedergibt, sind in aller Regel nicht als schriftliche Erklärung des Angeklagten verlesbar; in Betracht kommt die Vernehmung des Verteidigers als Zeuge. (BGHSt)

2. Wer sich an einer Schlägerei beteiligt und dabei einen anderen in Notwehr tötet, kann nach § 227 StGB strafbar sein, obwohl er durch die Notwehrhandlung selbst die objektive Bedingung der Strafbarkeit setzt. (BGHSt)

3. Schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte im anhängigen Verfahren zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgibt, sind verlesbar, selbst wenn er später Angaben verweigert. Das Gesetz lässt den Urkundenbeweis zu, wo es ihn nicht ausdrücklich untersagt (BGHSt 20, 160, 162; 27, 135, 136). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Dezember 1992 werden verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die durch dieses Rechtsmittel veranlaßten Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse, die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten dieser.

Gründe

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einem Jahr sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte haben Revision eingelegt. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft ist der Angeklagte zu Unrecht nicht wegen Totschlags verurteilt worden, nach Meinung des Angeklagten ist Freisprechung geboten. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

II. Revision der Staatsanwaltschaft

1. Die Staatsanwaltschaft hatte in der Hauptverhandlung (hilfsweise) beantragt, das Schreiben eines Verteidigers des Angeklagten insoweit zu verlesen, als es eine vom Angeklagten stammende Sachverhaltsschilderung wiedergebe. Das Landgericht hatte den Antrag abgelehnt, weil nicht ein vom Angeklagten selbst verfaßtes Schriftstück vorliege, sondern eine vom Verteidiger verfaßte Stellungnahme. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit nötige dazu, den betreffenden Verteidiger als Zeugen zu hören. Doch habe sich dieser auf seine Schweigepflicht berufen. Die Revision meint demgegenüber, das Schriftstück enthalte keine eigenen Wertungen und Stellungnahmen des Verteidigers; vielmehr habe der Angeklagte die von ihm stammende Erklärung mangels Deutschkenntnissen über seinen Verteidiger übermitteln lassen.

Die Entscheidung des Landgerichts war richtig.

Schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte im anhängigen Verfahren zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgibt, sind verlesbar, selbst wenn er später Angaben verweigert. Das Gesetz läßt den Urkundenbeweis zu, wo es ihn nicht ausdrücklich untersagt (BGHSt 20, 160, 162; 27, 135, 136); ein solches Verbot besteht hier nicht.

Das gilt jedoch nur für schriftliche Erklärungen, die der Angeklagte selbst abgegeben hat. Hat er sich gegenüber einer anderen Person geäußert und diese die Äußerung schriftlich festgehalten, so handelt es sich bei der Wiedergabe um die Erklärung dieser Person; sie schreibt nieder, was sie als Äußerung des Angeklagten wahrnimmt. Geht es um die Feststellung, ob der Angeklagte das schriftlich Niedergelegte geäußert hat, so ist die niederschreibende Person über ihre Wahrnehmung bei der Unterredung mit dem Angeklagten zu vernehmen (§ 250 StPO). Nichts anderes gilt, wenn die niederschreibende Person der Verteidiger ist (wie hier: OLG Celle NStZ 1988, 426; im Grundsätzlichen unklar: OLG Hamm JR 1980, 82 m.abl.Anm. Fezer). Um Vertretung (§ 234 StPO) handelte es sich hier nicht.

Offenbleiben kann, wie zu entscheiden ist, wenn der Angeklagte sich der anderen Person, hier des Verteidigers, nur als Schreibhilfe bedient; denn im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Sachverhaltsschilderung, die "nach einer Sachbesprechung mit dem Beschuldigten" verfaßt worden war und bei der jedenfalls nicht auszuschließen ist, daß Überlegungen des Verteidigers eingeflossen sind, zumal - auch nach dem Vortrag der Revision - nicht einmal sprachlich bedingte Mißverständnisse von der Hand zu weisen sind.

2. Das Landgericht hatte in der Hauptverhandlung die Übersetzungen zweier Schreiben des Angeklagten (an seinen Vater und an den Staatsanwalt) verlesen. Die Staatsanwaltschaft - die in der Verhandlung keine Einwendungen erhoben hatte - rügt mit der Revision, das Gericht habe sich von der Richtigkeit der Übersetzungen, die nicht von einem beeideten Übersetzer stammten, nicht überzeugt; weder Protokoll noch Urteil enthielten entsprechende Hinweise.

Die Rüge hat keinen Erfolg. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen, auf welche Weise es sich von der Zuverlässigkeit von Übersetzungen überzeugt (BGH GA 1982, 40; BGH NStZ 1983, 357 Nr. 26); Vorschriften, wie das formell zu geschehen habe, bestehen nicht. Weitere Erörterungen sind im vorliegenden Fall schon deshalb entbehrlich, weil die Übersetzungen von dem in der Hauptverhandlung tätigen und gemäß § 189 Abs. 1 GVG vereidigten Dolmetscher herrührten und dieser bei der Verlesung zugegen war, so daß die Erklärung sich aufdrängt, auf welche Weise das Gericht Gewißheit von der Zuverlässigkeit der Übersetzungen erlangte.

3. Die Aufklärungsrüge ist nicht ordnungsgemäß erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil weder bestimmte Beweistatsachen noch bestimmte Beweismittel benannt werden.

4. Auch die Sachbeschwerde verhilft der Revision der Staatsanwaltschaft nicht zum Erfolg. Soweit das Landgericht zu anderen tatsächlichen Feststellungen gekommen ist, als dies die Revision für richtig hält, beruht dies auf einer Beweiswürdigung, die keinen Rechtsfehler aufweist. Soweit die Revision rechtlich anderer Auffassung ist als das Landgericht - die Zubilligung von Notwehr anlangend -, ist auch insofern dem Landgericht kein Fehler unterlaufen.

III. Revision des Angeklagten

Der Angeklagte greift das Urteil mit der Sachbeschwerde an. Er hält für rechtsfehlerhaft, daß das Landgericht ihn nach § 227 StGB verurteilt und hierbei den in der Vorschrift genannten "Tod eines Menschen" darin gesehen hat, daß der Angeklagte seinen Widersacher P. in Notwehr durch einen Messerstich getötet hatte.

Die Frage, ob eine durch Notwehr gerechtfertigte Tötung gleichwohl ausreicht, zur Anwendung von § 227 StGB zu führen, ist in BGHSt 33, 100 behandelt und bejaht worden. Da die Todesfolge objektive Bedingung der Strafbarkeit sei und weder von Vorsatz noch von Fahrlässigkeit umfaßt sein müsse, vielmehr ursächlicher Zusammenhang zwischen Schlägerei und Todeserfolg genüge, könne nicht zweifelhaft sein, daß auch der in gerechtfertigter Weise herbeigeführte - aber eben durch die Schlägerei bedingte - Todeserfolg zur Anwendung der Vorschrift führen könne. Schon in BGHSt 16, 130, 132 war der bloße Ursachenzusammenhang zwischen Tod und Schlägerei für ausreichend erachtet worden. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.

Freilich unterscheidet sich der in BGHSt 33, 100 entschiedene von dem hier zu beurteilenden Fall dadurch, daß dort der von mehreren anderen Angegriffene einen der Angreifer in Notwehr getötet hatte und es um die Strafbarkeit der anderen Angreifer ging, während hier der Notwehr übende Angeklagte eben durch seine Notwehrhandlung und deren Erfolg die objektive Bedingung der Strafbarkeit erfüllte und so seine Verurteilung nach § 227 StGB herbeiführte.

Die Revision sieht hierin einen Verstoß gegen den Grundsatz, daß über die rechtfertigende Wirkung einer Notwehrhandlung nur einheitlich entschieden werden könne; eine Aufspaltung dahingehend, daß der tödliche Messerstich zwar unter dem Gesichtspunkt des Tötungsdelikts gerechtfertigt sei, andererseits aber zu Verurteilung nach § 227 StGB führe, sei nicht zulässig. Wäre es anders - so die Revision -, so könnte der rechtswidrig Angegriffene nicht unbefangen über den Gebrauch der Notwehr entscheiden; die Rechtsordnung mute ihm dann zu - wolle er sich nicht der Bestrafung nach § 227 StGB aussetzen -, den rechtswidrigen Angriff auf sein Leben hinzunehmen.

Hieran ist richtig, daß die Rechtfertigungswirkung der Notwehr sich auch auf Verhaltensweisen erstrecken kann, die mit den der Notwehr dienenden Tötungs- und Verletzungshandlungen unmittelbar zusammenfallen, obgleich sie ursprünglich mit der Abwehr des konkreten Angriffs nichts zu tun hatten, so das unerlaubte Führen einer Schußwaffe, mit der zum Zwecke der Notwehr geschossen wird (vgl. BGH NJW 1991, 503, 505; BGH NStZ 1981, 299). Die Rechtfertigung wird hier für beide Delikte einheitlich beurteilt.

Doch liegt gerade in letzterem der Unterschied zum vorliegenden Fall. Die Tötung mit der Waffe und deren Führen sind beides Verhaltensweisen, die als solche unter Strafe gestellt sind, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft geschehen. Fehlt Rechtswidrigkeit oder Schuld, so entfällt die Strafbarkeit; die bloße Verursachung genügt nicht.

Dagegen ist das strafbare Verhalten bei dem abstrakten Gefährdungsdelikt des § 227 StGB die schuldhafte Beteiligung an der Schlägerei; "schon wegen dieser Beteiligung" wird bestraft. Nur wenn insoweit die Notwehr rechtfertigende Wirkung hätte, wäre ein Vergleich mit den erwähnten Fällen des Zusammentreffens von Tötung und unerlaubter Waffenführung möglich, doch kann davon keine Rede sein.

Freilich bleibt auch dann noch die Erwägung, es dürfe der rechtswidrig Angegriffene nicht vor die Entscheidung gestellt werden, den lebensbedrohenden Angriff hinnehmen zu müssen, um sich durch wirksame Verteidigung nicht selbst der Strafverfolgung auszusetzen, sei es wegen welchen Delikts auch immer, sei es auch nur deshalb, weil das Abwehrhandeln eine objektive Bedingung der Strafbarkeit erfüllen würde.

Doch führt auch diese Überlegung zu keinem anderen Ergebnis. Notwehr rechtfertigt zwar eine Handlung, die sonst rechtswidrig wäre, beseitigt aber nicht - weil akut das eigene Leben bedroht ist -, allein aus diesem Grund jede Strafbarkeit, die mit der Notwehrhandlung ursächlich verbunden sein kann, sei es auch aufgrund eigenen vorangegangenen Tuns. So muß ein auch lebensbedrohender Angriff hingenommen werden, wenn er seinerseits durch Notwehr gerechtfertigt, diese wiederum durch eigenes Verhalten des Angegriffenen verursacht wurde; Notwehr gegen Notwehr ist ausgeschlossen. Das eigene vorangegangene rechtswidrige Handeln kann also dazu führen, daß die - aktuell - zum Erhalt des eigenen Lebens geführte Abwehrhandlung nicht gerechtfertigt ist.

Ebensowenig besteht Veranlassung, denjenigen, der sich schuldhaft an einer Schlägerei beteiligt, nur deshalb straflos zu lassen, weil die - allein auf ihre Ursächlichkeit hin zu untersuchende - von ihm herbeigeführte objektive Bedingung der Strafbarkeit der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs diente. Notwehr beseitigt die Rechtswidrigkeit, wo es auf sie ankommt. Ist allein die Ursächlichkeit von Bedeutung, spielt Notwehr keine Rolle. Eine allgemeine Bedeutung dahin, jegliches Tun in jeglicher Beziehung zu erlauben, sofern es nur der Abwehr eines lebensbedrohenden Angriffs dient, kommt § 32 StGB nicht zu.

Übrigens hätte die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 227 StGB auch dann, wenn man der Auffassung der Revision folgte, keinen unmittelbaren und vom Angeklagten zu beeinflussenden Bezug zu seinem späteren Notwehrhandeln. Möglich wäre nämlich, daß im Rahmen der Schlägerei schon vor der Notwehrhandlung des Angeklagten auf andere Weise - von diesem möglicherweise unbemerkt - die Bedingung der Strafbarkeit gesetzt wäre, möglich wäre auch, daß dies erst nach dem Notwehrhandeln des Angeklagten geschieht. Seine Entscheidung, Notwehr zu üben oder darauf zu verzichten, könnte auch aus dieser Sicht von der möglichen Strafbarkeit nach § 227 StGB nicht abhängen.

Auch im übrigen hat die Prüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 305; NJW 1993, 3337; NStZ 1994, 184; StV 1993, 623

Bearbeiter: Rocco Beck