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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 362/92, Urteil v. 25.08.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 362/92 - Urteil vom 25. August 1992 (LG Karlsruhe)

BGHSt 38, 339; Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit des Erwerbs von Cannabisharz (Haschisch) zum Eigenverbrauch (kein Recht auf Rausch; Gleichstellung in Bezug auf Alkohol und Nikotin).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 3 Abs. 1 GG

Leitsätze

1. Der Senat hält es nicht für verfassungswidrig, dass das Gesetz den unerlaubten Erwerb von Cannabisharz (Haschisch) mit Strafe bedroht. (BGHSt)

2. Ein durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes "Recht auf Rausch" besteht nicht. (Bearbeiter)

3. Das BtMG verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn es die Verbreitung von Cannabisprodukten unter Strafe stellt, den Missbrauch von Alkohol (und Nikotin) dagegen nicht. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17. Februar 1992 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung sachlichen Rechts. Er macht geltend, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sei insoweit verfassungswidrig, als diese Vorschrift i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG den unerlaubten Erwerb von Cannabisharz (Haschisch) zum Eigenverbrauch mit Strafe bedrohe. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Die Strafkammer stellt fest:

Der Angeklagte ist Haschisch-Konsument. Früher war er "Wochenendraucher", heute konsumiert er weniger. Ihm genügt weniger als eine Haschisch-Zigarette pro Woche. Er ist psychisch nicht abhängig von Haschisch. Andere Betäubungsmittel konsumiert er nicht.

1. Im März oder April 1991 erwarb der Angeklagte von einem bestimmten Lieferanten 500g Haschisch guter bis mittlerer Qualität zum Preise von 7 DM pro Gramm. Weitere Geschäfte über den Ankauf von Haschisch oder anderen Betäubungsmitteln vereinbarten die Beteiligten zu diesem Zeitpunkt nicht.

2. Ca. drei Wochen später erwarb der Angeklagte von demselben Lieferanten erneut Haschisch, und zwar 250g, für die er 1.750 DM bezahlte. Die Qualität war die gleiche wie beim ersten Geschäft.

3. An einem Tage zwischen Ende April und Mitte Mai 1991 erwarb der Angeklagte auf Grund eines neu gefaßten Tatentschlusses von demselben Lieferanten wiederum 250g Haschisch, für die er 1.850 DM bezahlte. Der Grammpreis war bei diesem Geschäft höher, da das Rauschgift von besserer Qualität war als bei den beiden früheren Geschäften.

II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen und des geltenden Betäubungsmittelgesetzes vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) weist der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Zwar legen Art und Umfang der Haschisch-Einkäufe sowie das geringe Ausmaß des Eigenbedarfs die Annahme nahe, in jedem der geschilderten Fälle habe es sich vorwiegend um Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gehandelt. Doch beschwert es den Angeklagten nicht, daß die Strafkammer das jeweilige Geschäft lediglich als Erwerb zum Eigenverbrauch würdigt.

Der Strafausspruch ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zugunsten des Angeklagten berücksichtigt das Landgericht, daß es sich um sogenannte weiche Drogen handelte.

III. Im Anschluß an den Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landgerichts Lübeck, das die Strafbarkeit der A b g a b e von Haschisch für verfassungswidrig hält (NJW 1992, 1571), meint die Revision, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG sei auch insoweit verfassungswidrig, als diese Regelung den E r w e r b von Haschisch unter Strafe stellt. Diese Ansicht teilt der Senat nicht, weshalb nicht in Betracht kommt, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Der Senat ist bisher stets davon ausgegangen, daß die Strafbarkeit des unerlaubten Erwerbs von Cannabisprodukten mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch nach Prüfung der von der Revision erhobenen Einwände hält er an dieser Auffassung fest. Sie entspricht im übrigen den Stellungnahmen, die alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs gemäß § 82 Abs. 4 BVerfGG zu dem angeführten Beschluß des Landgerichts Lübeck abgegeben haben.

Soweit der Gesetzgeber j e d e n unerlaubten Umgang mit H a s c h i s c h in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG i. V. m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG mit Strafe bedroht, hat er - auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit - die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Für diese Beurteilung sind insbesondere folgende Gesichtspunkte maßgebend:

1. Ohne zwischen "harten" und "weichen" Drogen einen Unterschied zu machen, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß Rauschgift für die Volksgesundheit gefährlich ist (Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. VI/1877 S. 5 bis 7). Zur Einbeziehung von Cannabisprodukten hat er erwogen (aaO S. 6): "Ein besonderes Kennzeichen der Rauschgiftwelle ist die erhebliche Zunahme des Verbrauchs von Indischem Hanf (Cannabis sativa) und des darin enthaltenen Harzes (Haschisch). Es handelt sich dabei um ein Halluzinogen, das nach in der medizinischen Wissenschaft überwiegender Meinung bei Dauergebrauch zu Bewußtseinsveränderungen und zu psychischer Abhängigkeit führen kann." An gleicher Stelle ist weiter ausgeführt: "Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß die Droge eine Schrittmacherfunktion ausübt. Der Umsteigeeffekt auf härtere Drogen zeigt sich besonders bei jungen Menschen. Praktisch vollziehen sie mit ihr den Einstieg in die Welt der Rauschgifte."

2. Diese Einschätzung hat sich der Bundesgerichtshof zu eigen gemacht (vgl. BGHSt 33, 8). Zur Wirkung von Haschisch hat er festgestellt (aaO S. 12 f.): Zwar führe dieses Betäubungsmittel nicht zur physischen Abhängigkeit und nur zu mäßiger psychischer Abhängigkeit. Es könne aber zu Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Antriebs- und Verhaltensstörungen, Lethargie, Angstgefühlen, Realitätsverlust und Depressionen, zuweilen zu Psychosen führen. Zudem bewirke der Konsum von Haschisch eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen, insbesondere Heroin.

Verhängnisvoll ist das "amotivationale Syndrom", das bei chronischem Konsum von Cannabisprodukten eintritt. Es handelt sich um ein Zustandsbild, das gekennzeichnet ist durch Gleichgültigkeit gegenüber den Anforderungen des Lebens, Initiativeverlust und Antriebsarmut sowie ein trügerisches Gefühl des Wohlbefindens (Täschner, Das Cannabisproblem 3. Aufl. 1986 S. 154 ff.). Mögen Cannabisprodukte auch relativ ungiftig sein, so weisen sie doch eine Besonderheit auf, die sie als schädlich für die Volksgesundheit erscheinen läßt: Ihr Konsum betrifft vor allem Jugendliche; er gefährdet sie in der Ausreifung ihrer Persönlichkeit und in ihrer sozialen Einordnung (Täschner aaO S. 160; vgl. ferner Kreuzer/Wille, Drogen - Kriminologie und Therapie 1988 S. 2).

Was den "Umsteigeeffekt" angeht, so ist zwar keine einlinige kausale Verknüpfung zwischen dem Konsum von Haschisch und dem Entstehen einer Heroinsucht gegeben. Doch kann Haschischkonsum zu Einstellungsänderungen führen, durch die gerade bei jungen Menschen die Anfälligkeit für den späteren Gebrauch harter Drogen um ein Vielfaches erhöht wird (Täschner aaO S. 161 ff., 247 f.). So gibt es viele, die ihre "Drogenkarriere" mit dem Konsum von Haschisch begonnen haben; oft fördert er den Übergang zu einer Polytoxikomanie.

3. Gesicherte Erkenntnisse, die diese Befürchtungen ausräumen, sind bislang nicht hervorgetreten. Vielmehr entspricht die dargelegte Wertung gerichtlichen Erfahrungen.

Allerdings meint das schweizerische Bundesgericht, nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse lasse sich nicht sagen, daß Cannabis geeignet sei, die körperliche und seelische Gesundheit vieler Menschen in eine n a h e l i e g e n d e und e r n s t l i c h e Gefahr zu bringen (StV 1992, 18). Diese Entscheidung befaßt sich jedoch nur mit der Frage, ob ein "schwerer Fall" im Sinne der verschärften Strafdrohung gemäß Art. 19 Nr. 2 a des schweizerischen Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vorliegt. Sie stellt die Befugnis des Gesetzgebers, den Umgang mit Cannabisprodukten mit Strafe zu bedrohen, nicht in Frage. Auch das schweizerische Bundesgericht räumt ein, die genannte Droge sei nicht unbedenklich (aaO S. 19). Sie könne insbesondere bei lange dauerndem und übermäßigem Gebrauch durchaus zu psychischen und physischen Belastungen führen.

4. Was umfangreiches Handeltreiben mit Haschisch angeht, so hat der Bundesgerichtshof bereits das erhebliche Gewicht eines solchen Angriffs auf die Volksgesundheit und ein entsprechendes Strafbedürfnis hervorgehoben (MDR 1990, 169, 170). Soweit es sich um die Gefährlichkeit dieses Betäubungsmittels handelt, gilt beim Erwerb von Haschisch zum Eigenverbrauch nichts anderes. Zwar weist Erwerb zum Eigenverbrauch gegenüber anderen Tatbestandsvarianten des § 29 BtMG einen geringeren Unrechtsgehalt auf. Dieser Umstand kann aber - wie die vergleichsweise mindere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten - im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang verweist der Senat auf § 29 Abs. 5 BtMG, wonach von einer Bestrafung abgesehen werden kann, wenn der Täter das Betäubungsmittel "lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge" erwirbt. Angesichts der großen Mengen, die der Angeklagte erworben hat, liegt ein solcher Fall allerdings nicht vor.

5. In seinem Vorlagebeschluß vertritt das Landgericht Lübeck die Ansicht, es gebe ein "Recht auf Rausch", das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sei. Dem folgt der Senat nicht.

Für schuldhaftes Sichberauschen durch alkoholische Getränke (§ 323 a StGB) hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß die rauschbedingten Gefahren für die Umwelt die Einstufung als strafwürdiges Unrecht rechtfertigen können (BGHSt 16, 124). Anders als bei sogenannten harten Drogen liegt es allerdings bei Haschisch fern, daß der Konsum zu einem solchen Rausch führt, der die Aggressivität des Konsumenten erhöht und dadurch eine Gemeingefahr begründet. Doch kommt der Einsatz des Strafrechts nicht nur insoweit in Betracht, als eine unmittelbare Gefährdung Dritter verhindert werden soll. Vielmehr darf der Gesetzgeber mit dem Erlaß von Strafvorschriften auch anstreben, Schäden zu verhüten, die der Mißbrauch von Betäubungsmitteln beim Konsumenten selbst verursacht. Hierbei ist in erster Linie an solche Konsumenten zu denken, die wegen ihrer Jugend oder aus einem anderen Grunde nicht hinreichend urteilsfähig und deshalb besonders schutzbedürftig sind. Es darf aber auch Berücksichtigung finden, daß drogenbedingte Schwierigkeiten und Leistungsausfälle in Schule, Ausbildung, Beruf und Familie, wie sie beim Haschischkonsum häufig auftreten, mit beträchtlichen Kosten und Mühen verbunden sind, die dann anderen zur Last fallen. Da die Gesellschaft für die negativen Folgen des Drogenmißbrauchs aufzukommen hat, darf sie sich auch gegen deren Ursachen wehren. Ein solcher Präventionszweck darf auch mit Mitteln des Strafrechts verfolgt werden.

Der Vorbeugung kommt ein um so größerer Stellenwert zu, als, wie einer Pressemitteilung des Bundesinnenministers zu entnehmen ist, im ersten Halbjahr 1992 die Zahl der Drogentoten, aber auch die der Erstkonsumenten harter Drogen dramatisch gestiegen ist.

6. Das Gesetz verletzt auch nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn es die Verbreitung von Cannabisprodukten unter Strafe stellt, den Mißbrauch von Alkohol (und Nikotin) dagegen nicht.

Außer Frage steht, daß übermäßiger Konsum von Alkohol (und anderen Suchtmitteln) schädliche Auswirkungen individueller und gesamtgesellschaftlicher Art hat. Bei alkoholischen Getränken haben sich indes gesellschaftliche Schutzmechanismen entwickelt, durch die drohenden Gefahren in gewissem Maße entgegengewirkt wird. Es bedarf keiner näheren Erörterung, ob der Gesetzgeber gegen jeglichen Mißbrauch von Suchtmitteln genügend einschreitet. Jedenfalls entbehrt die unterschiedliche Behandlung von Alkohol und Haschisch, worauf die kriminologische Wissenschaft hinweist, nicht "eines Kerns rationaler Überlegungen": Auch angesichts der kaum zu überschätzenden Schäden durch Alkoholmißbrauch ist es legitim, "weitere riskante Drogen, die noch nicht integriert sind, möglichst abzuwehren, selbst wenn diese Drogen - wie Cannabis - insgesamt in ihrem Risikopotential möglicherweise weniger gravierend sein sollten" (Kreuzer/Wille aaO S. 91 f.).

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 339; NJW 1992, 2975; NStZ 1993, 85; StV 1992, 513

Bearbeiter: Rocco Beck