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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 133/92, Urteil v. 12.05.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 133/92 - Urteil vom 12. Mai 1992 (LG München I)

BGHSt 38, 281; Missbrauch von Kreditkarten (Zweipartnersystem; Kundenkarten); Betrug (Vermögensschaden; Stoffgleichheit; Zweckverfehlungslehre; Exspektanzen).

§ 263 StGB; § 266b StGB

Leitsätze

1. Die missbräuchliche Benutzung einer "Kreditkarte" im sog. Zwei-Partner-System (Kundenkarte) erfüllt nicht die Voraussetzungen des Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b StGB. (BGHSt)

2. Der Tatbestand des Betrugs entfällt nicht stets deshalb, weil sich der Getäuschte der nachteiligen Wirkung seiner Verfügung auf sein Vermögen bewusst ist (BGHSt 19, 37, 45; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 4), wenn eine bewusste Vermögenseinbuße durch Erreichen eines bestimmten - nicht vermögensrechtlichen - Zweckes ausgeglichen werden soll. Wird der Zweck verfehlt, so wird das eingesetzte Vermögensopfer damit auch wirtschaftlich zu einer unvernünftigen Ausgabe, die auf der Täuschung beruht. Allerdings kann nicht jeder auf Täuschung beruhende Motivirrtum die Strafbarkeit begründen: Es genügt aber die Verfehlung eines Zweckes, der dem Verfügenden in der konkreten Situation notwendig und sinnvoll erscheint, sei es, dass er einen sozialen oder indirekt wirtschaftlich relevanten Zweck verfolgt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. November 1991 mit den Feststellungen aufgehoben

a) in den Fällen II 5, II 20, II 25 und II 26 der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 26 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, wegen Untreue in sechs Fällen sowie wegen Unterschlagung, Diebstahls und Mißbrauchs von Scheck- und Kreditkarten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat nur teilweise Erfolg.

Zu II 1:

Die Verurteilung wegen Betrugs ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Angeklagte lebte mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft. Um ihre finanziellen Schwierigkeiten zu mindern und um den Geschädigten zur Hergabe von Geld zu veranlassen, spiegelte sie ihm vor, aufgrund eines Bußgeldbescheids eine Geldbuße von 15.000 DM bezahlen zu müssen. Der Geschädigte nahm ein Darlehen auf und gab der Angeklagten den erbetenen Betrag, "um sie vor weiteren Verfolgungen zu schützen".

a) Der erforderliche Strafantrag (§ 263 Abs. 4 i.V.m. § 247 StGB) ist wirksam gestellt. Ausreichend hierfür war, daß der Geschädigte mit seiner Strafanzeige unmißverständlich zum Ausdruck brachte, er wünsche eine Strafverfolgung möglicher Taten zu seinem Nachteil (BGH GA 1957, 17; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 77 Rdn. 24 m.w.Nachw.). Daß der Geschädigte den hier in Frage stehenden Vorgang nicht gleich bei Abgabe der Strafanzeige bekannt gab, schadet nicht. Er unterließ das nur, weil er nicht alle Unterlagen bei sich führte; einige Zeit später teilte er den Sachverhalt mit.

b) Der Tatbestand des Betrugs entfällt in Fällen wie dem vorliegenden nicht deshalb, weil sich der Getäuschte der nachteiligen Wirkung seiner Verfügung auf sein Vermögen bewußt ist (BGHSt 19, 37, 45; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 4). Wie beim "Spendenbetrug" soll hier die (bewußte) Vermögenseinbuße durch Erreichen eines bestimmten - nicht vermögensrechtlichen - Zweckes ausgeglichen werden. Wird der Zweck verfehlt, so wird das eingesetzte Vermögensopfer damit auch wirtschaftlich zu einer unvernünftigen Ausgabe, die auf der Täuschung beruht. Allerdings kann nicht jeder auf Täuschung beruhende Motivirrtum die Strafbarkeit begründen: Es genügt aber die Verfehlung eines Zweckes, der dem Verfügenden in der konkreten Situation notwendig und sinnvoll erscheint, sei es, daß er einen sozialen oder indirekt wirtschaftlich relevanten Zweck verfolgt (vgl. zu dieser Frage Cramer in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 263 Rdn. 101 ff.; Lackner in LK 10. Aufl. § 263 Rdn. 167 ff.).

Zu II 5:

Die Verurteilung wegen Mißbrauchs von Scheck- und Kreditkarten nach § 266 b StGB hat keinen Bestand. Die Angeklagte nahm 1989/90 mit Gesamtvorsatz in 44 Fällen Leistungen der Deutschen Lufthansa AG in Anspruch, ohne zahlungsfähig und -willig zu sein. Dazu benutzte sie eine "AIR-Plus-Kreditkarte", die von der Lufthansa AG ausgegeben worden war.

Nach diesen Feststellungen hat die Angeklagte die "Kreditkarte" im sog. Zwei-Partner-System benutzt: Sie hat unter Verwendung der Karte Leistungen der Kartenausstellerin ohne Bezahlung erlangt. In diesem Fall handelt es sich bei der "Kreditkarte" (besser: Kundenkarte) lediglich um den Ausweis über die Eröffnung eines Kundenkontos mit bestimmtem Kreditrahmen, der es den Filialen des ausstellenden Unternehmens ermöglicht, bestimmte Leistungen nicht gegen Barzahlung, sondern gegen Rechnung zu erbringen, ohne jeweils erneut eine Prüfung der Kreditwürdigkeit vornehmen zu müssen (BGH StV 1989, 199).

Dieser Fallgestaltung steht die Verwendung von Kreditkarten im "Drei-Partner-System" gegenüber: Das die Karte ausgebende Unternehmen verpflichtet sich gegenüber Vertragsunternehmen, deren Forderungen gegen den Kartenbenutzer zu bezahlen, und zieht diese Beträge dann wiederum - in der Regel monatlich - vom Karteninhaber ein. Mißbräuchliche Benutzung mit der Folge, daß der Aussteller gleichwohl dem Vertragsunternehmen gegenüber zur Zahlung verpflichtet ist, führt zur Bestrafung nach § 266 b StGB. Ob die AIR-Plus- Kreditkarte in dieser Weise verwendet werden konnte, insbesondere nach Gründung der Lufthansa-AIR-Plus-GmbH am 1. Januar 1990, und ob die Angeklagte die Karte in diesem System auch gegenüber Vertragsunternehmen der Ausstellerin verwendet hat, wurde vom Landgericht nicht festgestellt.

Ob der Mißbrauch von Kreditkarten, die im sog. Zwei-Partner-System ausgegeben und benutzt werden, nach § 266 b StGB zu beurteilen ist, ist umstritten. Der Senat ist der Auffassung, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 266 b StGB in diesem Fall nicht erfüllt sind (so auch Dreher/ Tröndle, StGB 45. Aufl. § 266 b Rdn. 5; Lenckner in Schönke/ Schröder, StGB 24. Aufl. § 266 b Rdn. 5; Lackner, StGB 19. Aufl. § 266 b Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald, StGB Bes. Teil 7. Aufl. S. 514; Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, S. 207 ff., 210 f.; Tiedemann JZ 1986, 871).

In seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1988 (StV 1989, 199 f.) hat der Senat zu der Frage nicht ausdrücklich Stellung genommen, ist jedoch davon ausgegangen, daß bei mißbräuchlicher Verwendung sog. Kunden-Karten (erst) die tatsächliche Inanspruchnahme des Kredits, also der Gebrauch der Karte, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 263 StGB erfüllt.

Daß § 266 b StGB auf den Mißbrauch von Kreditkarten im "Zwei-Partner-System" nicht anwendbar ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Danach muß die Überlassung der Karte dazu mißbraucht werden, "den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen". Hier aber wird die Karte nur dazu benutzt, eine Leistung vom Aussteller selbst zu erlangen, zu einer Zahlung (an Dritte) wird er hingegen nicht veranlaßt; es handelt sich um eine Rechtsbeziehung allein zwischen dem Kartenaussteller und dem Kunden.

Welche Auffassung der Gesetzgeber des 2. WiKG bei Einfügung eines § 266 b vertreten hat, ergibt sich aus den Materialien nicht eindeutig. In der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 10/5058 S. 32) ist das Zwei- Partner-System neben dem Drei-Partner-System erläuternd dargestellt. Zur Begründung des § 266 b ist allerdings ausgeführt, erfaßt sei derjenige, der die Karte gebraucht, "obwohl er weiß, daß das Kreditinstitut seine Rechnungen zu bezahlen hat". Diese Formulierung spricht gegen eine Einbeziehung des Zwei-Partner-Systems, denn in diesem Fall hat das kartenausgebende Unternehmen (Kreditinstitut) keine "Rechnungen zu bezahlen", sondern allein - unter Stundung des Rechnungsbetrags - eigene Leistungen durch Herausgabe von Waren oder Dienstleistungen zu erbringen.

Nach anderer Ansicht (Ranft JuS 1988, 680; Otto wistra 1986, 150; P. Granderath DB 1986, Beilage 18 S. 9; Schlüchter 2. WiKG, 1987 S. 112) sollen auch Karten im Zwei-Partner-System in den Schutzbereich des § 266 b StGB einbezogen werden. Dies wird darauf gestützt, daß auch diese Karten im Wirtschaftsleben als "Kreditkarten" bezeichnet werden (Otto aaO; Schlüchter aaO); die Einbeziehung entspreche dem Sinn und Zweck der Vorschrift, weil auch hier "eine Vermögensverschiebung unter Ausnutzung der Garantiefunktion und des eingeräumten Vertrauens" erwirkt werde.

Diese Argumente sind nicht überzeugend:

Der Gesetzeszweck spricht gegen die Einbeziehung. Durch das 2. WiKG sollte der Kreditkartenmißbrauch, weil und soweit er der Scheckkarten-Konstruktion gleicht, einbezogen werden (BT-Drucks. 10/5058 S. 31 f.). Die Stundungsfunktion einer Kundenkarte ist damit nicht gleichzusetzen. Auch von einer "Garantiefunktion" kann bei einer Kundenkarte nicht gesprochen werden. Im Gegensatz zum Drei-Partner-System garantiert hier nicht der Aussteller einem anderen Bezahlung. Die Kundenkarte sagt nur, daß dem Inhaber vom Aussteller Kredit eingeräumt wird.

Die Erschleichung und Ausnutzung eines Kreditrahmens gegenüber einem Waren- oder Geldkreditgeber kann die Voraussetzungen des § 263 StGB erfüllen. Das Bedürfnis nach Ausfüllung einer Strafbarkeitslücke, wie sie vor Einfügung des § 266 b StGB angenommen wurde (BGHSt 33, 244, 251), bestand in diesen Fällen nicht. Der Tatbestand ist vielmehr mit dem ausdrücklichen Ziel eingefügt worden, in dem für das Scheck- und Kreditkartensystem typischen Dreiecksbeziehungen den Kreditgeber davor zu schützen, aufgrund der Garantiefunktion der Kreditkarte zu Zahlungen an Dritte verpflichtet zu werden, deren Leistungen der Träger unter Mißbrauch der Karte in Anspruch genommen hat (Weber in Lexikon des Rechts, Strafrecht/Strafverfahrensrecht S. 528). Eine Ausweitung der Vorschrift auf Fälle der Kreditgewährung im Zwei-Partner-System ist weder vom Schutzzweck der Vorschrift veranlaßt, noch wäre sie vom Wortlaut gedeckt. In diesen Fällen ist der Täter daher weiterhin nur dann strafbar, wenn die Voraussetzungen des § 263 StGB erfüllt sind.

Auf den übereinstimmenden Sprachgebrauch kann es dann nicht ankommen, wenn die zugrundeliegenden rechtlichen Gestaltungen voneinander abweichen. Auch widerspricht es den Erfordernissen der Bestimmtheit und Rechtssicherheit, die Anwendung einer bestimmten Strafvorschrift allein aus der Verwendung des Begriffs "Kreditkarte" durch die Beteiligten herzuleiten. Denn die Möglichkeiten der Bezeichnung und Ausgestaltung von Stundungen im normalen Zwei-Partner-Geschäft sind vielfältig.

Der Senat sieht die von Ranft (aaO) angeführten praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der unterschiedlichen Behandlung der beiden Systeme dann ergeben, wenn es sich um Mischformen handelt (was auch im vorliegenden Fall möglich ist). Diese Erschwernisse können jedoch nicht dazu führen, eine Gesetzesvorschrift anzuwenden, deren Voraussetzungen beim Zwei-Partner-System nicht erfüllt sind.

Zu II 13 und 15

Die Verurteilung jeweils wegen Untreue hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Angeklagte erhielt jeweils Wertgegenstände "zum (gewinnbringenden) Verkauf in Kommission" und verwendete die Gegenstände (13) oder deren Erlös (15) für eigene Zwecke. Hier hatte die Angeklagte nach den Feststellungen (anders als in der Senatsentscheidung vom 5. Mai 1987 - BGHR StGB § 266 Vermögensbetreuungspflicht 7) selbständige Verfügungsbefugnis, verbunden mit der Pflicht, die Vermögensinteressen der Geschädigten zu betreuen.

Soweit im Fall 13 bei weiterer Aufklärung eine Verurteilung wegen Betrugs (und Untreue in Tateinheit, Tatmehrheit oder als mitbestrafte Nachtat, BGHSt 6, 67) in Betracht kommt, ist die Angeklagte durch die Verurteilung (nur) wegen der jedenfalls begangenen Untreue nicht beschwert.

Zu II 20

Die Verurteilung wegen Betrugs wird von den Feststellungen nicht getragen. Hier hatte die Angeklagte die Anfertigung eines Schmuckstückes in Auftrag gegeben und zugesagt, bei Abholung zu zahlen, obwohl sie zumindest billigend in Kauf nahm, nicht zahlen zu können. Sie holte das angefertigte Schmuckstück nicht ab.

Das Landgericht sieht den Schaden in den angefallenen Entwurfs- und Fertigungskosten, hat dabei jedoch verkannt, daß zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil der Täterin und dem Schaden des Opfers "Stoffgleichheit" bestehen muß (BGHSt 6, 115, 116). Daran fehlt es hier. Der erstrebte Vorteil hätte in der Übergabe des Schmuckstückes gelegen, nicht in der bloßen Anfertigung, die beim Getäuschten den Schaden verursachte.

Sollte der neue Tatrichter jedoch feststellen, daß die Angeklagte davon ausging, sie werde das Schmuckstück - wie ihr dies mit anderen Gegenständen gelang - schon auch ohne sofortige Bezahlung erlangen, so käme versuchter Betrug in Betracht.

Zu II 25 und 26

Die Verurteilungen jeweils wegen Betrugs haben keinen Bestand, weil ein Schaden im Sinne des § 263 StGB nicht festgestellt ist.

Die Angeklagte hatte eine Reihe von Künstlern für eine Vernissage engagiert, obwohl sie wußte, daß sie zur Zahlung der Gagen nicht in der Lage sein werde. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß die Künstler ihre Leistungen nicht erbracht haben, weil die Veranstaltung wohl nicht stattfand. Dann aber durfte das Landgericht den Ausfall der Gagen nicht als Vermögensschaden werten, denn das Ausbleiben einer erwarteten Vermögensmehrung stellt in der Regel noch keinen Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB dar (vgl. BGHSt 16, 220, 223 ff.; BGH NJW 1985, 2428; BGHR StGB § 263 Vermögensschaden 8). Allerdings kam versuchter Betrug in Betracht.

Waren die Künstler nach den Verträgen vorleistungspflichtig, könnte unter Umständen bereits durch den Abschluß der Verträge eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eingetreten sein (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 263 Rdn. 132).

Die Überprüfung der Verurteilung in den übrigen Fällen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die Aufhebung in vier Fällen führt zum Wegfall der Gesamtstrafe. Der Senat schließt aus, daß die aufgehobenen Fälle die Höhe der Einzelstrafen in den übrigen Fällen zum Nachteil der Angeklagten beeinflußt haben.

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 281; NJW 1992, 2167; NStZ 1992, 437; NStZ 1993, 185; StV 1992, 467

Bearbeiter: Rocco Beck