HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 928
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 126/24, Beschluss v. 14.05.2024, HRRS 2024 Nr. 928
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. November 2023
a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass die Angeklagten L. und Z. im Fall II.1. der Urteilsgründe wegen verbotenen Handeltreibens mit Cannabis verurteilt sind und
b) im sie betreffenden Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls in sechs Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit einem Vorwegvollzug der Strafe von drei Jahren und zwei Monaten angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben hinsichtlich der sie beschwerenden Anordnungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Infolge des Inkrafttretens des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 109; Cannabisgesetz) ist eine Neufassung des Schuldspruchs erforderlich. Der Senat hat ihn in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO geändert.
1. Schuld- und Strafausspruch im Fall II.1. der Urteilsgründe (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) halten der rechtlichen Nachprüfung am Maßstab des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes, auf das gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle abzustellen ist, stand.
a) Das vom Landgericht festgestellte Handeltreiben mit 500 Gramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 50 Gramm THC erfüllt den Tatbestand des nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG verbotenen Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG; zur Begrifflichkeit des „Handeltreibens“ vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 5).
Der Senat passt den Schuldspruch nach Maßgabe dessen an die am 1. April 2024 in Kraft getretenen rechtlichen Bestimmungen an. Dass die Voraussetzungen für einen besonders schweren Fall nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG erfüllt waren, betrifft nur die Strafzumessung und ist deshalb gemäß § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht in die Urteilsformel aufzunehmen.
b) Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es nicht. Zwar ist der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG (drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) niedriger als der des bisher maßgeblichen Strafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG (ein Jahr bis 15 Jahre Freiheitsstrafe). Die Strafkammer hat sich jedoch maßgeblich an der Strafrahmenuntergrenze orientiert, da sie die anstehende Gesetzesänderung durch das KCanG im Blick hatte. Sie hat bei der Strafzumessung auf der Grundlage des § 29a Abs. 1 BtMG die Eigenschaft des gehandelten Betäubungsmittels als „weiche Droge“ ausdrücklich strafmildernd eingestellt, dagegen das Überschreiten der nicht geringen Menge ausdrücklich nicht strafschärfend berücksichtigt und zusätzlich bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe mit Blick auf das bevorstehende Inkrafttreten des KCanG die für diese Tat festgesetzte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten „in deutlich geringerem Umfang in die Gesamtstrafenbildung“ einbezogen. Angesichts der faktisch bereits vorweggenommenen Anwendung und den von der Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafe strafschärfend herangezogenen zahlreichen, darunter auch einschlägigen Vorbelastungen der Angeklagten und deren Hafterfahrungen kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer nach Inkrafttreten des KCanG bei dessen tatsächlicher Anwendung eine noch niedrigere Einzelstrafe als die bereits maßvolle Einzelstrafe verhängt hätte.
2. Die Revisionen haben zum Maßregelausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Das Landgericht hat zwar nach § 64 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei einen Hang der Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln, den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Delikten sowie die Gefahr bejaht, dass die Angeklagten infolge ihres Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werden. Die Urteilsgründe belegen aber nicht, dass die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht besteht.
a) Diese setzt voraus, dass aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Durch die Neufassung des § 64 StGB sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird. Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist - wie auch vor der Neufassung - im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände zu prüfen. Hierzu gehören insbesondere solche, die die Sucht des Täters und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen - insbesondere Art und Stadium der Sucht. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sind prognoseungünstige Gesichtspunkte - hierzu gehört ein verfestigter und langjähriger Rauschmittelkonsum - nun stärker zu gewichten als vorher (eingehend BT-Drucks. 20/5913 S. 70 f.; BR-Drucks. 687/22 S. 79 f.). Erforderlich ist deshalb, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie zu erkennen sind, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hohen Wahrscheinlichkeit einer konkreten Erfolgsaussicht tragen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2023 - 1 StR 214/23 Rn. 18).
b) Das Landgericht hat zwar das Erfordernis einer solchen Gesamtwürdigung erkannt. Die niedergelegten Erwägungen lassen aber weder erkennen, ob sie sich an dem neuen Maßstab orientiert haben, noch ist sicher anzunehmen, ob und inwieweit es sich dabei um diejenigen der Strafkammer handelt oder ausschließlich um Einschätzungen des Sachverständigen.
Die Formulierungen auf Seiten 69 und 70 der Urteilsgründe, bei den Angeklagten seien „genügend tatsächliche Anhaltspunkte“ bzw. „noch ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte“ für einen Behandlungserfolg zu erkennen, legen vielmehr nahe, dass das Landgericht von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist. Zudem ist zu besorgen, dass das Landgericht für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Behandlung den prognoseungünstigen Umstand, dass die zum Urteilszeitpunkt 35 und 37 Jahre alten Angeklagten, bei denen sich die Abhängigkeiten bereits in der Jugendzeit entwickelt hatten und die seit vielen Jahren von harten Betäubungsmitteln abhängig sind und deshalb substituiert werden, rechtsfehlerhaft nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung eingestellt hat. Eine Erläuterung, weshalb dennoch die langjährig verfestigte Polytoxikomanie der Angeklagten einem Therapieerfolg nicht entgegensteht, fehlt. Zudem lässt sich die langjährige Drogenabhängigkeit der Angeklagten ohne eingehende Darlegung nicht mit der verhältnismäßig kurzen Therapiedauer von nur 18 Monaten vereinbaren.
c) Die aufgeführten Mängel führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Damit entfällt zugleich die Anordnung des Vorwegvollzugs. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, bei der sich das neue Tatgericht wiederum sachverständiger Hilfe bedienen muss (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 928
Bearbeiter: Christoph Henckel