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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 266

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 473/23, Beschluss v. 27.11.2024, HRRS 2025 Nr. 266


BGH 1 StR 473/23 - Beschluss vom 27. November 2024 (LG Frankfurt am Main)

Zusätzliche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (Zweck der Norm: Abschöpfung von Taterträgen; im Regelfall kein Anwendungsbereich neben Einziehung nach neuem Recht).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 41 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) zum 1. Juli 2017 ist der Zweck des § 41 StGB jedenfalls weitestgehend entfallen. Neben einer Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB nF ist im Regelfall für die zusätzliche Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB kein Raum mehr.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 2022, soweit es ihn betrifft, in dem Fall 3 (Veranlagungszeitraum 2008) betreffenden Einzelstrafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten und daneben für die Tat in Fall 3 zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 250 € verurteilt sowie gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.086.556 € angeordnet. Die mit der Sachrüge und Verfahrensrügen geführte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs in Fall 3 und des Gesamtstrafenausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tätigte die M. GmbH unter Mitwirkung des Angeklagten als Geschäftsführer (Managing Director) für den Eigenhandelsbereich im Jahr 2007 mit ihrer Tochtergesellschaft, der M. S., sowie in den Jahren 2008 und 2009 mit den Kreditinstituten Me. Bank Ltd., F. N.V., I. B.V., C. B.V. und B. plc jeweils unter Einschaltung ausländischer Depotbanken Aktien- und Optionsgeschäfte rund um den Dividendenstichtag. Die M. GmbH ließ sich vom Finanzamt Fr. aufgrund von unrichtigen Steuerbescheinigungen mit Wissen und Wollen des Angeklagten unberechtigt Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt rund 335 Mio. € anrechnen, welche zuvor nicht einbehalten und nicht abgeführt wurden (sog. Cum/Ex-Geschäfte).

2. Während die Überprüfung des Schuldspruchs und der Einziehungsanordnung nach den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe gemäß § 41 StGB gegen den Angeklagten hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Aufgrund der Neuregelung der §§ 73 ff. StGB ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

aa) Hat der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht, so kann neben einer Freiheitsstrafe eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist (§ 41 StGB). Die Vorschrift bezweckt nicht in erster Linie eine Besserstellung des Täters. Zwar soll durch § 41 StGB in geeigneten Fällen auch ermöglicht werden, die Freiheitsstrafe niedriger zu halten. Darin liegt aber nicht der im Vordergrund stehende Sinn und Zweck der Vorschrift (BGH, Urteil vom 24. März 2022 - 3 StR 375/20, BGHR StGB § 41 Geldstrafe 7 Rn. 106). Sie ist vielmehr vornehmlich auf Fälle zugeschnitten, in denen es nach der Art von Tat und Täter zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, diesen nicht nur an der Freiheit, sondern darüber hinaus auch am Vermögen zu treffen (BGH, Urteil vom 8. März 2023 - 1 StR 188/22 Rn. 41 [insoweit in BGHSt 67, 273 nicht abgedruckt]). Dies trifft insbesondere auf Täter zu, bei denen Vermögensvorteile ein bestimmendes Tatmotiv waren (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2022 - 3 StR 375/20, BGHR StGB § 41 Geldstrafe 7 Rn. 106).

bb) Die Gesetzesmaterialien legen nahe, dass die durch Art. 18 II Nr. 9 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) in das StGB eingefügte Vorschrift des § 41 StGB ursprünglich geschaffen wurde, um insbesondere vermögende Täter aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, deren leitendes Motiv eine persönliche Bereicherung war, empfindlich an ihrem Vermögen zu treffen, um ihnen so faktisch die Gewinne aus Straftaten zu entziehen; das Recht der Vermögensabschöpfung in seiner damaligen Form wurde zur Erreichung dieses Ziels als nicht ausreichend erachtet (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Norm auch BGH, Urteile vom 24. August 1983 - 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60, 62 f. und vom 24. März 2022 - 3 StR 375/20, BGHR StGB § 41 Geldstrafe 7 Rn. 106). In der Begründung zum Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 vom 4. Oktober 1962, der beabsichtigte, eine dem § 41 StGB entsprechende Vorschrift als § 52 StGB-E in das Gesetz einzufügen, heißt es u.a. (BT-Drucks. IV/650 S. 172):

„Ihr besonderer Zweck ist es, bei Straftaten, die eine wirtschaftliche Bedeutung haben, den Täter auch wirtschaftlich zu treffen, insbesondere, wenn er ungerechtfertigte Gewinne erstrebt oder anderen oder der Allgemeinheit Verluste zugefügt hat.“

Im Zweiten Schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 23. April 1969 heißt es u.a. (BT-Drucks. V/4095 S. 22):

„Insbesondere im Rahmen der Wirtschaftskriminalität besteht ein Bedürfnis dafür, vermögende Täter nicht nur mit einer Freiheitsstrafe, sondern daneben auch noch mit einer Geldstrafe zu bedrohen, da nicht immer im Wege der Einziehung und des Verfalls auf das Vermögen solcher Täter Zugriff genommen werden kann, derartige Täter aber häufig gerade Geldstrafen gegenüber besonders empfindlich sind.“

cc) Unter Geltung des alten Vermögensabschöpfungsrechts (Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB) entsprach es daher der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe gemäß § 41 StGB neben einem angeordneten Verfall möglich blieb. Bei der Prüfung, ob die Verhängung einer Geldstrafe im Sinne von § 41 letzter Halbsatz StGB „unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist“, sollten aber solche Vermögenswerte außer Betracht zu bleiben haben, die dem Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB bzw. der Rückgewinnungshilfe unterliegen (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1992 - 1 StR 118/92, BGHR StGB § 41 Geldstrafe 1 unter 2.; Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08 Rn. 28: zum Verfall [insoweit in BGHSt 53, 199 nicht abgedruckt]).

dd) Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) zum 1. Juli 2017 ist der Zweck der Vorschrift jedenfalls weitestgehend entfallen. Das Kernstück der Reform war die ersatzlose Streichung des als „Totengräber des Verfalls“ bezeichneten § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF. Das bisherige System der Opferentschädigung wurde aufgegeben. Danach war eine Verfallsanordnung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF ausgeschlossen, wenn dem Verletzten einer individualschützenden Straftat aus der Tat ein Vermögensanspruch erwachsen war, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Straftat Erlangten entziehen würde. Es war dann grundsätzlich Sache des Geschädigten, sich einen zivilrechtlichen Titel gegen den Täter zu besorgen. In vielen Fällen unterließen die Geschädigten aber aus Kostengründen und wegen unklarer Erfolgsaussichten die Beitreibung ihrer Ansprüche. Um zu verhindern, dass dem Täter in diesen Fällen die Erträge aus den Straftaten verblieben, konnte der Staat nach seinem Ermessen in einem äußerst komplizierten und unübersichtlichen Verfahren sogenannte Rückgewinnungshilfe gemäß § 111b Abs. 5, § 111g Abs. 2 StPO aF leisten und Vermögenswerte des Täters vorläufig für die Verletzten sichern, welche der Zulassung durch das Gericht bedurften; bei Untätigkeit der Geschädigten verblieben die Werte dem Staat im Wege eines Auffangrechtserwerbs. Nach Streichung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF ist nunmehr grundsätzlich ausnahmslos gemäß §§ 73 ff. StGB nF einzuziehen, wenn der Täter oder Teilnehmer durch oder für die Tat Vermögenswerte erlangt hat (vgl. zum Ganzen BT-Drucks. 18/9525, S. 1, 46). Die Einziehung ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen - von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. etwa § 73 Abs. 3, § 73b Abs. 3 StGB) - in allen Fällen zwingend anzuordnen.

ee) In den Fällen, in denen zur Abschöpfung des aus der Tat erlangten Vermögens eine Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB nF angeordnet wird, ist die Möglichkeit einer kumulativen Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen im Sinne des § 41 StGB daher grundlegend infrage gestellt (vgl. auch BGH, Urteile vom 8. März 2023 - 1 StR 188/22 Rn. 41 [insoweit in BGHSt 67, 273 nicht abgedruckt] und vom 27. Mai 2020 - 5 StR 603/19 Rn. 8 [Erörterungspflicht des Tatgerichts, warum neben der Einziehung von Taterträgen noch ein zusätzliches Bedürfnis für eine Geldstrafe gemäß § 41 StGB besteht]). Neben einer Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB nF ist im Regelfall für die zusätzliche Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB kein Raum mehr (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 32 Ss 77/08, NStZ 2008, 711, 712 [zum Verfall]; MüKo-StGB/Radtke, 4. Aufl., § 41 Rn. 9; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 41 Rn. 1; LK-StGB/Grube, 13. Aufl. 2020, § 41 Rn. 1, 4; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 41 Rn. 2 f.; wohl auch Claus in Satzger/Schluckebier/Werner, StGB, 6. Aufl., § 41 Rn. 6 aE; HKGS/Arthur Hartmann 5. Aufl., § 41 Rn. 3; Wolf, NZWiSt 2023, 301, 309 ff.; aA Peglau, wistra 2009, 124 f. [zum Verfall]; BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, 63. Ed., § 41 Rn. 16). Bereits vor Inkrafttreten der Vermögensabschöpfungsreform hatten - wie bereits ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung der „wirtschaftlichen Verhältnisse“ im Sinne von § 41 letzter Halbsatz StGB zudem solche Vermögenswerte außer Betracht zu bleiben, die dem Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB unterlagen (BGH, Urteil vom 8. September 1992 - 1 StR 118/92, BGHR StGB § 41 Geldstrafe 1 unter 2.; Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08 Rn. 28: zum Verfall [insoweit in BGHSt 53, 199 nicht abgedruckt]).

b) Dies hat das Landgericht nicht beachtet. Es hat gegen den Angeklagten in Höhe von 1.086.556 € die als Anerkennung für die Mitwirkung an den Steuerhinterziehungen erlangten Boni aus den Jahren 2007 bis 2009 abzüglich Lohnsteuer gemäß § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB eingezogen. Bereits dies hat eine den Angeklagten empfindlich treffende Verringerung seines Vermögens zur Folge. Weitere Taterträge neben den Boni hat der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen nicht erhalten. Das Landgericht hätte daher erörtern müssen, warum neben der angeordneten Einziehung, durch welche dem Angeklagten im Wesentlichen seine Gewinne aus den begangenen Steuerhinterziehungen entzogen und er empfindlich an seinem Vermögen getroffen wurde, gleichwohl ausnahmsweise ein Bedürfnis für eine zusätzliche Geldstrafe in Höhe von 240 Tagessätzen besteht.

Soweit die Strafkammer beim Angeklagten zur Begründung für die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe ausführt, dass die gemäß §§ 73 ff. StGB eingezogenen Boni seiner verantwortlichen Stellung als Geschäftsführer der M. GmbH nicht gerecht würden, sodass ein zusätzliches Bedürfnis nach finanzieller Sanktionierung bestehe (UA S. 418), trägt auch dies eine ausnahmsweise neben der Einziehung verhängte Geldstrafe gemäß § 41 StGB nicht. Denn die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts stehen bereits im Widerspruch zu den übrigen Urteilsgründen. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne führt die Strafkammer nämlich aus, dass die vom Angeklagten mit dem Insolvenzverwalter der M. GmbH vereinbarte und bezahlte Vergleichssumme in Höhe von 4 Mio. € im Verhältnis zu den von ihm bezogenen Boni besonders hoch sei und etwa das Doppelte der inkriminierten Boni (ohne Abzug von Lohnsteuer), also etwa das Vierfache des Einziehungsbetrags, betrage. Des Weiteren habe der Angeklagte durch teilweisen Verzicht auf einen bei ihm arretierten Betrag neben der Einziehung von 1.086.556 € eine weitere freiwillige Zahlung von knapp 1,4 Mio. € an die Staatskasse erbracht. Er habe daher in Relation zu seinen Einkünften aus der Tat von allen Angeklagten die größten freiwilligen Vermögensopfer erbracht (UA S. 403 f.). Angesichts dieser Feststellungen erschließt es sich nicht, warum der Angeklagte, selbst wenn man die Einziehung des vergleichsweise geringen Tatlohns in Form von Boni als zur Sanktionierung der eigennützigen Bereicherung nicht als ausreichend ansieht, mit einer weiteren Geldstrafe zu ahnden sein soll, obwohl er etwa das Vierfache der ausgezahlten Boni (Vergleichssumme von 4 Mio. € gegenüber eingezogenen Boni von 1.086.556 €) im Vergleichswege an den Insolvenzverwalter der M. GmbH zahlte und weitere freiwillige Zahlungen in Höhe von ca. 1,4 Mio. € zur Wiedergutmachung leistete.

Die fehlerhafte Anwendung von § 41 StGB ist ein Rechtsfehler zugunsten wie zu Lasten des Angeklagten. Die Anwendung von § 41 StGB stellt einerseits ein zusätzliches Strafübel dar; andererseits hätte das Tatgericht ohne die Anwendung des § 41 StGB möglicherweise höhere Einzelfreiheitsstrafen und damit auch eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 - 1 StR 116/23 Rn. 22 und vom 27. Mai 2020 - 5 StR 603/19 Rn. 9).

c) Der vorgenannte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs von zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe nebst 240 Tagessätzen zu je 250 € Geldstrafe für Fall 3 (Veranlagungszeitraum 2008), was die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich zieht. Die zugehörigen Feststellungen zur Strafzumessung in Fall 3 sind ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 266

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede