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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 669

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 89/22, Beschluss v. 06.04.2022, HRRS 2022 Nr. 669


BGH 1 StR 89/22 - Beschluss vom 6. April 2022 (LG Kempten)

Minderschwerer Fall der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Verhältnis von minder schwerem Fall und vertyptem Strafmilderungsgrund).

§ 29a Abs. 2 BtMG; § 27 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 50 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 12. Januar 2022 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Entscheidung zum Anrechnungsmaßstab für erlittene Auslieferungshaft getroffen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

2. Der Strafausspruch hält hingegen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung trägt nicht die Ablehnung eines minder schweren Falles (§ 29a Abs. 2 BtMG).

a) Es ist bereits nicht zu erkennen, ob sich das Landgericht bewusst war, dass bei der Prüfung eines minder schweren Falles für die Einordnung der Schuld eines Gehilfen das Gewicht seiner Beihilfehandlung maßgeblich ist, wenn auch die Schwere der Haupttat mit zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. September 2021 - 1 StR 302/21 Rn. 3 mwN).

b) Das Landgericht hat zudem bei der Bestimmung des Strafrahmens die gebotene Prüfungsreihenfolge nicht eingehalten.

Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:

„Nach ständiger Rechtsprechung ist in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund im Sinne von § 49 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen, ob die Tat als minder schwerer Fall zu werten ist. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst in den Blick zu nehmen, ob die allgemeinen Milderungsgründe allein schon zur Annahme eines minder schweren Falls führen, da die vertypten Milderungsgründe dann für eine Strafrahmenmilderung noch nicht verbraucht sind und daher eine weitere Milderung des anwendbaren Strafrahmens nach § 49 StGB in Betracht kommt. Ist nach einer Abwägung der allgemeinen Strafzumessungstatsachen das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn das Tatgericht danach weiterhin die Annahme eines minder schweren Falls nicht für gerechtfertigt hält, darf es seiner konkreten Strafzumessung den wegen des verwirklichten vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 10. August 2021 - 1 StR 250/21 -, Rn. 4).

Die Strafkammer hat nur geprüft, ob sich nach Maßgabe der allgemeinen Strafzumessungstatsachen ein minder schwerer Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG ergibt, und nicht, ob das auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrunds in § 27 StGB zu bejahen wäre. Stattdessen verneint sie einen minder schweren Fall und geht von dem nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG aus.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Gegenüber dem zur Anwendung gekommenen Strafrahmen von drei Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten wäre der Strafrahmen eines minder schweren Falls von drei Monaten bis zu fünf Jahren deutlich günstiger für den Angeklagten. Dass die Strafkammer unter diesen Voraussetzungen ebenfalls eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt hätte, liegt in Anbetracht der festgestellten Strafmilderungsgründe fern.“ Dem schließt sich der Senat an.

3. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich lediglich um Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab für erlittene Auslieferungshaft wird von der Aufhebung des Strafausspruchs ebenfalls nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2019 ? 4 StR 541/18 Rn. 2 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 669

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede