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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 359

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 284/22, Urteil v. 25.01.2023, HRRS 2023 Nr. 359


BGH 1 StR 284/22 - Urteil vom 25. Januar 2023 (LG München I)

Mord aus niedrigen Beweggründen (Voraussetzungen: Motivbündel); Strafzumessung (Berücksichtigung (ausländischer) Vorverurteilungen).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 46 Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.).

2. Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist. Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes dann möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist.

3. Es ist verfehlt, den Umstand eines lediglich geringen Maßes an Vorverurteilungen strafmildernd zu werten. Nur das Fehlen von Vorstrafen ist strafmildernd zu berücksichtigen, wohingegen Vorverurteilungen zu Lasten des Täters wirken.

4. Bei der Strafzumessung sind auch die rechtskräftigen ausländischen Vorstrafen zu berücksichtigen, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar und nicht tilgungsreif wäre und das ausländische Strafverfahren rechtsstaatlichen Anforderungen genügte; denn sie sind Teil des Vorlebens des Täters (§ 46 Abs. 2 StGB).

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25. Februar 2022 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist auf den Strafausspruch beschränkt. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und macht insbesondere geltend, das Landgericht habe das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu Unrecht verneint und rechtsfehlerhaft von der Milderungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte war mit der später Geschädigten R., der Nebenklägerin, wenige Monate liiert gewesen, bevor diese die Beziehung im Frühjahr 2020 beendet hatte. Da der Angeklagte sie im Zeitraum Mai bis Juni 2020 mehrfach körperlich angegriffen und ihr gedroht hatte, sie zu töten, wenn sie nicht bei ihm bleibe, hatte das Amtsgericht München ein bis Dezember 2020 befristetes Kontaktverbot gegen ihn erlassen. Dennoch hatte der Angeklagte Ende Juli 2020 wieder die Nähe zu der Nebenklägerin gesucht. Er hatte sie erneut beleidigt und mit dem Tod bedroht, weswegen gegen ihn wegen dieser Delikte und des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung ein Haftbefehl erlassen und vom 31. Juli bis zum 19. Oktober 2020 vollstreckt worden war. Nach vorübergehender Außervollzugsetzung war der Haftbefehl am 23. Dezember 2020 wieder in Vollzug gesetzt worden, weil der Angeklagte erneut gegen die Auflage verstoßen hatte, jegliche Kontaktaufnahme zu der Nebenklägerin zu unterlassen. In der gegen den Angeklagten am 10. März 2021 vor dem Amtsgericht München durchgeführten Hauptverhandlung hatte R. als Zeugin zwar die diesem zur Last gelegte Beleidigung und Bedrohung, nicht hingegen eine versuchte gefährliche Körperverletzung bestätigt. Der Haftbefehl war deshalb mit der Auflage, jegliche Kontaktaufnahme zu der Nebenklägerin zu unterlassen, wieder außer Vollzug gesetzt worden. An zwei Folgetagen hatte der Angeklagte erneut auflagenwidrig den Kontakt zu der Geschädigten gesucht und sie hierbei auch mit dem Tod bedroht.

Am 14. März 2021 wartete der Angeklagte ab dem Nachmittag mit einem Messer bewaffnet vor dem Anwesen der Nebenklägerin, um diese zu töten. Gegen 18.55 Uhr traf sie vor ihrer Haustür auf den Angeklagten. Nach einem kurzen Gespräch zog dieser unvermittelt das mitgebrachte Messer, das eine Klingenlänge von mindestens sieben Zentimeter aufwies, hervor, packte die Geschädigte an den Haaren und versetzte ihr in schneller Abfolge insgesamt 15 Stiche unter anderem in den Kopf- und Halsbereich, wodurch die innere Drosselvene auf der linken Halsseite durchtrennt wurde. Die Geschädigte, die sich zum Zeitpunkt der ersten Stiche durch den Angeklagten keines Angriffs auf ihr Leben versah, konnte sich hiergegen nicht effektiv zur Wehr setzen. Dies nutzte der Angeklagte bewusst aus. In der Annahme, dass die Geschädigte aufgrund der Vielzahl der Stichverletzungen versterben werde, flüchtete der Angeklagte von dem Tatort.

Die Geschädigte überlebte nur dank des schnellen Transportes in ein Krankenhaus durch zwei Passanten. Ein Warten auf einen Rettungswagen hätte sie angesichts des durch die Stichverletzungen eingetretenen massiven Blutverlustes nicht überlebt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Heimtückemordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das Landgericht hingegen verneint, weil es sich bei dem in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten außerstande gesehen hat, das konkrete Motiv der Tat aufzuklären. Nach Auffassung des Landgerichts erscheine es grundsätzlich möglich, „dass der Angeklagte aus Rache handelte, weil sich die Geschädigte nach einer in der Vergangenheit bestehenden Beziehung schließlich von ihm getrennt hatte. […] Auch wäre es denkbar, dass sich der Angeklagte beispielsweise für die erlittene Untersuchungshaft an der Geschädigten rächen wollte“ (UA S. 52).

Die Strafe hat die Strafkammer dem nach § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommen. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte in Deutschland allein wegen eines Verkehrsdeliktes vorbestraft ist. Zudem hat es in die Gesamtabwägung zu seinen Gunsten eingestellt, dass eine alkoholbedingte Enthemmung nicht gänzlich ausschließbar sei.

II.

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere im Hinblick auf das festgestellte Tatbild hat sich das Landgericht schon keine Überzeugung von einem symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und dem Hang bilden können. Zudem hat das Landgericht aus der fehlenden Therapiebereitschaft des Angeklagten und seiner Persönlichkeitsstruktur geschlossen, dass eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) nicht zu bejahen ist. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

III.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urteile vom 19. August 2020 - 5 StR 219/20 Rn. 13 und vom 22. Februar 1996 - 1 StR 721/95 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155 Rn. 20) Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat, hält wegen eines Erörterungsmangels rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 30. März 2022 - 5 StR 358/21 Rn. 18 und vom 21. Februar 2018 - 1 StR 351/17 Rn. 10, je mwN). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19 Rn. 8 mwN). Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - 1 StR 370/19 Rn. 3 mwN). Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes dann möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2005 - 1 StR 234/05 Rn. 20).

b) Eine nach Maßgabe dessen tragfähige Begründung dafür, dass es sich keine sichere Überzeugung von einem bestimmten Tatmotiv bilden konnte (UA S. 10), hat das Landgericht nicht gegeben. Die Beschränkung im Urteil auf die bloße Darstellung der in Betracht gezogenen Motive, die als solche auch nicht gewichtet werden, genügt nicht. Insbesondere aber lassen die Ausführungen des Landgerichts jegliche Würdigung vermissen, ob die von ihm dargestellten möglichen Tatmotive als niedrige Beweggründe zu bewerten sind. Hinsichtlich beider von dem Landgericht in Betracht gezogenen Beweggründe, der Rache wegen der vorausgegangenen Trennung durch die Geschädigte (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13 Rn. 6 f. und Beschluss vom 6. Dezember 2022 - 5 StR 479/22 Rn. 3 f.) und der Rache wegen der erlittenen Untersuchungshaft (für den Fall der Tötung aus Rache für eine belastende wahrheitsgemäße Zeugenaussage vgl. BGH, Urteil vom 1. September 2005 - 4 StR 290/05 Rn. 10), kommt grundsätzlich - vorbehaltlich einer Berücksichtigung der Einzelfallumstände - eine Bewertung als niedrig im Sinne des Tatbestands des Mordes in Betracht.

Auch im Hinblick auf das festgestellte Vortatgeschehen, welches durch zahlreiche Todesdrohungen und körperliche Angriffe durch den Angeklagten geprägt war, wäre das Landgericht gehalten gewesen, die Tatmotive umfassend aufzuklären. Dazu gehörte vor dem Hintergrund des in Bedacht genommenen Rachemotivs auch die Prüfung, ob die Geschädigte den Angeklagten in dem Verfahren der Staatsanwaltschaft München I, Az.: wahrheitsgemäß belastet hatte.

2. Der Strafausspruch weist zudem - auch angesichts der insoweit nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung - Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

a) Die Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Strafrahmen gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten verschoben hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Ob wegen Versuchs eine Verschiebung des Strafrahmens in Betracht kommt, ist auf der Grundlage einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinne sowie der Persönlichkeit des Täters zu beurteilen. Dabei kommt besonderes Gewicht den wesentlich versuchsbezogenen Umständen zu, nämlich Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie, weil sie die wichtigsten Kriterien für die Einstufung vom Handlungs- und Erfolgsunwert einer nur versuchten Tat liefern (BGH, Urteile vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 18; vom 14. Januar 1992 - 1 StR 700/91 Rn. 4, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9; vom 16. September 1992 - 2 StR 304/92 Rn. 4, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 10; vom 15. Februar 1995 - 2 StR 482/94 Rn. 11 und vom 15. Juni 2004 - 1 StR 39/04 Rn. 10; Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 5 StR 449/19 Rn. 8). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGH, Urteile vom 26. Februar 1991 - 1 StR 604/90 Rn. 7 f., BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8 und vom 22. September 1993 - 3 StR 430/93 Rn. 5, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12; Beschlüsse vom 12. Dezember 2000 - 5 StR 294/00 Rn. 11 und vom 22. Oktober 2019 - 5 StR 449/19 Rn. 8).

bb) Diesen Maßstäben hat das Landgericht nicht Rechnung getragen.

(1) Zwar hat das Landgericht bei der gebotenen Gesamtschau rechtsfehlerfrei die Nähe zur Tatvollendung als straferschwerenden Gesichtspunkt gesehen und gewertet. Diesen - in Anbetracht der festgestellten Tatumstände besonders gewichtigen - versuchsbezogenen, gegen eine Milderung sprechenden Umstand hat es jedoch durch einen zwar nicht bedeutungslosen, aber dennoch nicht versuchsbezogenen Umstand, nämlich die Vorstrafensituation des Angeklagten, rechtsfehlerhaft als entkräftet gesehen.

(2) Die Wertung des Umstands, dass der Angeklagte nur geringfügig vorgeahndet ist, begegnet ohnehin für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es ist nämlich grundsätzlich verfehlt, den Umstand eines lediglich geringen Maßes an Vorverurteilungen strafmildernd zu werten. Nur das Fehlen von Vorstrafen ist strafmildernd zu berücksichtigen, wohingegen Vorverurteilungen zu Lasten des Täters wirken (BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19 Rn. 23 mwN).

(3) Daneben hat das Landgericht fünf in Albanien ergangene Verurteilungen, durch die teils mehrjährige Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten verhängt worden waren, unbeachtet gelassen. Bei der Strafzumessung sind jedoch auch die rechtskräftigen ausländischen Vorstrafen zu berücksichtigen, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar und nicht tilgungsreif wäre (vgl. Beschlüsse vom 1. August 2007 - 5 StR 282/07 Rn. 3 und vom 19. Oktober 2011 - 4 StR 425/11 Rn. 7 f.) und das ausländische Strafverfahren rechtsstaatlichen Anforderungen genügte; denn sie sind Teil des Vorlebens des Täters (§ 46 Abs. 2 StGB). Das Landgericht wäre gehalten gewesen, die für die Beurteilung der Tilgungsreife und der Strafbarkeit nach deutschem Recht erforderlichen Feststellungen bezüglich der albanischen Vorstrafen zu treffen, um das Vorleben des Angeklagten in die gebotene Gesamtschau einstellen zu können.

(4) Darüber hinaus hat sich das Landgericht, soweit es bei der Gesamtschau eine alkoholbedingte Enthemmung zu Gunsten des Angeklagten eingestellt hat, in Widerspruch zu den Ausführungen unter F. 2. b) der Urteilsgründe gesetzt, wonach „die Kammer davon überzeugt [ist], dass die Tat nicht auf der Alkoholisierung des Angeklagten, sondern auf seinen Persönlichkeitszügen beruht und sie sich ohne den Einfluss von Alkohol genauso zugetragen hätte“ (UA S. 59); tatsächlich hat das Landgericht eine Bedeutung eines etwaigen Alkoholkonsums für die Tat - wie bereits bei der Revision des Angeklagten im Rahmen des § 64 StGB aufgezeigt - rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

b) Da das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne - für sich genommen unbedenklich - auf seine Ausführungen zur Strafrahmenwahl Bezug genommen hat, wirken sich die vorstehend aufgezeigten Rechtsfehler auch auf die konkrete Strafzumessung aus.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung eine Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB abgelehnt hätte und in der Folge zu einer höheren Strafe gelangt wäre.

3. Der Senat hebt sämtliche Feststellungen zum Strafausspruch - einschließlich derer zum Tatmotiv - auf, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insoweit insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 359

Bearbeiter: Christoph Henckel