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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 244

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 273/22, Urteil v. 14.12.2022, HRRS 2023 Nr. 244


BGH 1 StR 273/22 - Urteil vom 14. Dezember 2022 (LG Mannheim)

Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Beurteilung der Frage, ob im Fall des nicht fehlgeschlagenen Versuchs die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, hängt davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen. Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 4. März 2022 werden verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner unbeschränkt eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Er rügt insbesondere Rechtsfehler bei der Strafzumessung. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die Nebenklägerin ist die geschiedene Ehefrau des Angeklagten. Zur Tatzeit lebte sie zusammen mit ihm und ihren 15- bzw. elfjährigen Töchtern in ehelicher Gemeinschaft. Bereits im Juni 2021 hatte der Angeklagte erklärt, nicht mehr für die Familie arbeiten zu wollen und kurzzeitig die Ehewohnung verlassen. Die Geschädigte entschloss sich daraufhin, sich vom Angeklagten scheiden zu lassen. Sie suchte deshalb während einer Ortsabwesenheit des Angeklagten eine Wohnung für sich und ihre Töchter, die sie zum 1. September 2021 beziehen wollte. Hiervon erlangte der Angeklagte über seine ältere Tochter Kenntnis. Zwei Tage nach seiner Rückkehr sprach ihn die Nebenklägerin auf die Trennung an und wollte mit ihm die Aufteilung der Einrichtungsgegenstände sowie eine etwaige Unterhaltszahlung erörtern. Der Angeklagte erkannte nun, dass sich die Geschädigte tatsächlich von ihm trennen und auch Unterhalt verlangen würde; dies empfand er als undankbar. Als er bemerkte, dass die Nebenklägerin mit dem Rücken zu ihm alleine in der Küche bügelte, entschloss er sich, sie zu töten und den Umstand, dass sie in dieser Situation keine Möglichkeit zur Flucht hatte, für die Ausführung der Tat auszunutzen. Er bewaffnete sich deshalb mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von mindestens zehn Zentimeter und betrat die Küche. Als die Geschädigte dies bemerkte, drehte sie sich um. Der Angeklagte zog daraufhin das Messer und ging auf seine Ehefrau zu. Er fragte sie, wo sie denn hinwolle, erhob das Tatwerkzeug und versuchte, einen Stich gegen ihren Kopf auszuführen. Der Nebenklägerin gelang es, die Stichbewegung in Richtung ihrer linken Schulter abzulenken, wo sie der Angeklagte mit dem Messer traf. Die Geschädigte schrie um Hilfe und versuchte, den Angreifer weiter abzuwehren. Dieser versetzte ihr zwei weitere Stiche in die linke Schulter und den Oberbauch. Aufgrund nachlassender Kräfte ging die Nebenklägerin in die Knie, woraufhin der Angeklagte sich über sie beugte und ihr zwei weitere Male in den Rücken stach.

Durch die Schreie ihrer Mutter auf das Geschehen aufmerksam geworden, rannten die Töchter des Angeklagten in die Küche und sahen, wie dieser auf die Geschädigte einstach. Sie schrien, er solle aufhören, worauf der Angeklagte jedoch nicht reagierte. Eines der Mädchen fasste den Angeklagten sodann von hinten um den Bauch, während das andere ihn an seinem linken Arm packte, um ihn nach hinten von der Mutter wegzuziehen. Der Angeklagte wandte sich nun von der Nebenklägerin ab und flüchtete.

Die Geschädigte erlitt mehrere Hautdurchtrennungen. Durch die stichbedingte, rückseitige Eröffnung der Brustkorbhöhle kam es zur Ausbildung eines Pneumothorax. Die Verletzungen waren abstrakt lebensgefährlich.

2. Das Landgericht hat den Sachverhalt rechtlich als gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) gewürdigt und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nachdem es nicht ausschließen konnte, dass dem Angeklagten trotz der Intervention seiner Töchter die weitere Tatausführung möglich gewesen wäre, er dies erkannte und aus autonomen Motiven hiervon Abstand nahm, ist es ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte von dem (unbeendeten) Versuch, die Nebenklägerin heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB).

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

Die Ausführungen der Strafkammer zum Rücktritt vom versuchten Tötungsdelikt halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

a) Die Beurteilung der Frage, ob im Fall des - wie hier - nicht fehlgeschlagenen Versuchs die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, hängt davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18 Rn. 8; Beschluss vom 15. April 2020 - 5 StR 75/20 Rn. 7, jeweils mwN; st. Rspr.). Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18 Rn. 8; Beschluss vom 7. März 2018 - 1 StR 83/18 Rn. 9, jeweils mwN; st. Rspr.). Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zugunsten des Täters zu lösen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17 Rn. 10 mwN).

b) Von diesen Maßstäben ausgehend hat das Landgericht ausreichende Feststellungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) getroffen. Die Strafkammer hat hierzu ausgeführt, dass es dem Angeklagten trotz der Intervention seiner Töchter nicht ausschließbar möglich gewesen wäre, der Geschädigten weitere Stiche zuzufügen, um die Tat zu vollenden. Der Angeklagte habe dies erkannt, jedoch entschieden, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen.

Auch die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung ist mit Blick auf den eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteile vom 26. Juli 2017 - 2 StR 132/17 Rn. 16 und vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18 Rn. 11 f., jeweils mwN) rechtlich nicht zu beanstanden, sie ist insbesondere nicht lückenhaft. Aus den knappen Ausführungen der Strafkammer ergibt sich noch hinreichend, dass diese sämtliche durch die Revisionsführerin vermissten Aspekte, insbesondere eine durch das Eingreifen der Töchter geschaffene physische oder psychische Zwangslage, in den Blick genommen hat. Soweit die Beschwerdeführerin diese anders gewürdigt wissen will, nimmt sie eine revisionsrechtlich unbeachtliche eigene Beweiswürdigung vor.

2. Der Revision des Angeklagten bleibt aus den in der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführten Gründen der Erfolg versagt.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 244

Bearbeiter: Christoph Henckel