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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 6

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 271/22, Beschluss v. 22.09.2022, HRRS 2023 Nr. 6


BGH 1 StR 271/22 - Beschluss vom 22. September 2022 (LG Stade)

Steuerhinterziehung (Steuerverkürzung: Schätzung).

§ 370 Abs. 1 AO; § 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. März 2022, soweit es ihn betrifft,

a) aufgehoben

aa) in den Fällen II. 2.3. bis II. 2.6. der Urteilsgründe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen und

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

b) im Ausspruch über die Einziehung dahin abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 137.900 € gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner angeordnet wird; der Ausspruch über die Aufrechterhaltung der mit Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 28. Oktober 2020 getroffenen Einziehungsentscheidung entfällt.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wegen versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 28. Oktober 2020 sowie des Strafbefehls des Amtsgerichts Uelzen vom 2. Dezember 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; die Einziehungsentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts Itzehoe hat es „aufrechterhalten“. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zu den Fällen II. 2.1. und II. 2.2. der Urteilsgründe (Beihilfe zur Hinterziehung von Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2014 und 2015 durch die mitangeklagte Ehefrau, die trotz bezogener verdeckter Gewinnausschüttungen keine Einkommensteuererklärungen abgab; vgl. dazu BFH, Urteile vom 13. Juli 1994 - I R 112/93, BFHE 175, 489, 495 f.; vom 14. Oktober 1992 - I R 14/92, BFHE 169, 340, 342 sowie I R 17/92, BFHE 169, 343, 350 und vom 13. September 1989 - I R 41/86, BFHE 158, 338, 340) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Dagegen hat die Verurteilung wegen vollendeter bzw. versuchter Hinterziehung der Ertragsteuern zugunsten der K. GmbH keinen Bestand (Verkürzung von Körperschaftsteuer für das Jahr 2014 im Fall II. 2.5., versuchte Verkürzung von Körperschaftsteuer für das Jahr 2015 im Fall II. 2.6. sowie versuchte Verkürzung von Gewerbesteuer für die Jahre 2014 und 2015 in den Fällen II. 2.3. und II. 2.4. der Urteilsgründe), wie der Generalbundesanwalt insoweit zutreffend aufgezeigt hat:

Da der Angeklagte und die mitangeklagte Ehefrau für die GmbH überhaupt keine Bücher führten, wofür sie bezogen auf den Zeitraum des Drohens der Zahlungsunfähigkeit im März 2014 bereits rechtskräftig wegen Bankrotts verurteilt sind (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB), blieb als Ausgangspunkt für eine Schätzung allein die Auswertung der Geschäftskonten, um zunächst wenigstens die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben ermitteln zu können. Es kann offenbleiben, ob eine solche Einnahmeüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) anstelle des an sich nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG gebotenen Betriebsvermögensvergleichs als letzte Möglichkeit tragfähige Grundlage einer Schätzung in solchen Fällen einer vollständig fehlenden Buchhaltung sein kann. Denn mit dem Generalbundesanwalt ist indes letzten Endes - insbesondere wegen der Krise der Gesellschaft - ohnehin nicht auszuschließen, dass die vom Landgericht angesetzten Ausgaben in Höhe der Abbuchungen vom Betriebskonto trotz eines Sicherheitszuschlags von 10 % und des Abzugs eines fiktiven Geschäftsführerlohns für den Angeklagten tatsächlich nicht sämtliche relevanten Verbindlichkeiten der GmbH erfassen. Denn nicht bediente Verbindlichkeiten sind gerade nicht einem Bankkonto zu entnehmen. Das Landgericht hätte sich daher mit den Erkenntnissen zur drohenden bzw. eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auseinandersetzen müssen, ob etwa ignorierten Rechnungen oder Mahnungen oder gescheiterten Vollstreckungsversuchen weitere Betriebsschulden zu entnehmen waren.

3. Die in den Fällen II. 2.1. und II. 2.2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen bleiben von der Aufhebung der Verurteilung in den genannten vier Fällen (einschließlich der zugehörigen Feststellungen) unbeeinflusst. Indes ist der Gesamtstrafe die Grundlage entzogen.

4. Mit dem Antrag des Generalbundesanwalts ist der zu vollstreckende Betrag des Wertes von Taterträgen als Nebenfolge aus dem Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 28. Oktober 2020, dessen Einzelstrafen einzubeziehen waren, in die Urteilsformel aufzunehmen; nicht etwa ist - trotz des Wortlauts des § 55 Abs. 2 StGB - auf eine Aufrechterhaltung der Einziehung zu erkennen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 - 3 StR 203/21 Rn. 6).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 6

Bearbeiter: Christoph Henckel