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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 3

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 101/22, Beschluss v. 22.09.2022, HRRS 2023 Nr. 3


BGH 1 StR 101/22 - Beschluss vom 22. September 2022 (LG Essen)

Steuerhinterziehung (erforderliche Darlegung der Besteuerungsgrundlagen und der Steuerberechnung im Urteil).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. November 2021 jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen 63 bis 86 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Gesamtstrafenausspruch,

c) unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligten A. GmbH und P. GmbH im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 67 Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die Einziehungsbeteiligte A. GmbH hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 49.007,71 Euro, gegen die Einziehungsbeteiligte P. GmbH in Höhe von 22.500 Euro angeordnet. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat, unter Erstreckung auf die beiden Einziehungsbeteiligten, den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum von Januar 2014 bis Juni 2017 faktischer Geschäftsführer der A. GmbH sowie der P. GmbH. Gegenstand der beiden Unternehmen war der Betrieb von Gaststätten, Spielhallen sowie die Wartung und Reparatur von Spielgeräten einschließlich der Aufstellung von Automaten. Der Angeklagte verfügte bei beiden Gesellschaften über eine Generalvollmacht der formellen Geschäftsführerin und trat nach außen als deren verantwortlicher Geschäftsführer auf.

Für beide Gesellschaften beschäftigte der Angeklagte Arbeitnehmer in den Spielhallen, überwiegend als Spielhallenaufsicht, die er ganz oder teilweise „schwarz“ bezahlte. Für die A. GmbH wurden im Tatzeitraum von Januar 2014 bis April 2015 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 33.335,75 Euro nicht abgeführt (Taten 1 bis 16 der Urteilsgründe) sowie im Zeitraum von Juni 2015 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 30.875,77 Euro verkürzt (Taten 17 bis 31 der Urteilsgründe). Zugunsten der P. GmbH hinterzog der Angeklagte im Zeitraum von Dezember 2014 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 21.341,66 Euro (Taten 32 bis 62 der Urteilsgründe).

Zudem gab der Angeklagte regelmäßig Erträge und Umsätze beider Gesellschaften gegenüber dem Finanzamt entweder zu niedrig oder überhaupt nicht an, so dass in der Folge Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer für die Besteuerungszeiträume von 2014 bis Juni 2017 zu niedrig oder überhaupt nicht festgesetzt wurden (Taten 63 bis 86 der Urteilsgründe). Um die Unvollständigkeit seiner Erklärungen zu verschleiern, manipulierte er die von den Spielgeräten erstellten Kassenstreifen.

2. Der Schuldspruch hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nur teilweise stand. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 1 bis 62 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen Steuerhinterziehung weist keine Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO); in den Fällen 63 bis 86 der Urteilsgründe ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung durchgreifend rechtsfehlerhaft.

a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 13; Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 aaO Rn. 20 mwN).

b) Diesen Anforderungen trägt das Urteil des Landgerichts in den Fällen 63 bis 86 der Urteilsgründe nicht Rechnung. Die Feststellungen des Landgerichts zu der hinterzogenen Umsatz-, Körperschaft- sowie Gewerbesteuer der A. GmbH und der P. GmbH sind für den Senat nicht nachvollziehbar.

Das Landgericht legt zwar schlüssig dar, wie es anhand der durch Auslesen der Spielgeräte für einen Teil des verfahrensgegenständlichen Zeitraums ermittelten tatsächlichen Spielergebnisse („Saldo 2“) auf den gesamten Zeitraum hochgerechnet hat (UA S. 13 bis 21). Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, nach welchen Grundsätzen die Strafkammer anhand dieses Zahlenwerks und möglicherweise zusätzlicher Feststellungen die Besteuerungsgrundlagen für die einzelnen Steuerarten ermittelt hat. Insbesondere bei der Körperschaftsteuer und dem Gewerbemessbetrag geht das Landgericht zwar zurecht davon aus (UA S. 40), dass vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogene Umsatzsteuer gewinnmindernd einzustellen sind (BGH, Urteile vom 17. September 2020 - 1 StR 576/18 Rn. 28 und vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19 Rn. 59). Dem Urteil ist aber mangels Berechnungsdarstellung nicht zu entnehmen, ob die Strafkammer dies tatsächlich in der gebotenen Weise getan hat. Entsprechendes gilt für die „Schwarzlöhne“ als durch die Scheinrechnungen verschleierte Betriebsausgabe auf der Strafzumessungsebene (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 2020 - 1 StR 198/20 Rn. 22 mwN). Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat unter den hier gegebenen Umständen vorsorglich alle Verurteilungen in den Ertrag- und Umsatzsteuerfällen auf.

3. Die Aufhebung der vorgenannten Schuldsprüche bedingt auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs sowie unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligten entsprechend § 357 Satz 1 StPO auch die Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 2019 - 3 StR 286/18 Rn. 15 mwN und vom 8. Juni 2017 - 1 StR 614/16 Rn. 10). Das Landgericht hat die Einziehung nach einer entsprechenden Verfahrensbeschränkung (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) nur noch auf die von der Aufhebung umfassten Fälle 66 und 80 der Urteilsgründe gestützt.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 3

Bearbeiter: Christoph Henckel