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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 478

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 425/21, Urteil v. 22.03.2022, HRRS 2022 Nr. 478


BGH 1 StR 425/21 - Urteil vom 22. März 2022 (LG Konstanz)

Strafzumessung (Darstellung im Urteil: allein erforderliche Darstellung der bestimmenden Zumessungsgründe).

§ 46 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18. August 2021 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch, zu der Einziehungsentscheidung und, soweit das Landgericht von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Demgegenüber hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86 Rn. 17, BGHSt 34, 345, 349).

Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist dagegen weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 14. März 2018 - 2 StR 416/18 Rn. 19 und vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12 Rn. 3). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch dann vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2020 - 2 StR 281/20 Rn. 5; Urteile vom 27. Februar 2020 - 4 StR 552/19 Rn. 10 und vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19 Rn. 15).

b) Diesen Anforderungen wird die Strafzumessungsentscheidung des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht gerecht. Sie erweist sich als lückenhaft.

aa) Die Strafkammer hat bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG, der nach der Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 30a Abs. 3 BtMG im Hinblick auf die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe des von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verdrängten Tatbestandes in Betracht zu ziehen war (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2020 - 3 StR 469/19 Rn. 5 mwN), und im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne rechtsfehlerfrei zum Nachteil des Angeklagten die „einschlägigen, nicht allzu lange zurückliegenden Vorstrafen“ berücksichtigt (UA S. 21). Zudem hat es - ohne Rechtsfehler - die Begehung der neuerlichen Tat während laufender Bewährungszeiten aus den Urteilen des Amtsgerichts Offenburg vom 21. Februar 2017 und vom 24. September 2019 eingestellt.

bb) Das Landgericht hätte indes mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), angesichts des mit Beschluss vom 25. März 2021 angeordneten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung der mit dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 24. September 2019 verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch das den Angeklagten treffende Gesamtstrafübel in den Blick nehmen und erörtern müssen (vgl. zu einem drohenden Bewährungswiderruf BGH, Beschlüsse vom 12. November 2020 - 1 StR 372/20 Rn. 3; vom 9. September 2020 - 2 StR 281/20 Rn. 8; vom 21. Oktober 2014 - 5 StR 478/14 Rn. 3; vom 20. Juli 2009 - 5 StR 243/09 Rn. 8 und vom 9. November 1995 - 4 StR 650/95 Rn. 12, BGHSt 41, 310, 314; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 740; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 395).

Offenbleiben kann im vorliegenden Zusammenhang, ob der Senat hinsichtlich der strafmildernden Berücksichtigung eines drohenden Bewährungswiderrufs in anderer Sache der Auffassung des 2. Strafsenats folgen könnte, dass ein drohender Bewährungswiderruf vor dem Hintergrund, dass dieser gemäß § 56f Abs. 2 StGB keine zwingende gesetzliche Folge darstellt, im Rahmen der Strafzumessung von vornherein nur ein geringeres Gewicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2021 - 2 StR 294/20 Rn. 25). Denn anders als in dieser Entscheidung ist die Bewährung bereits widerrufen worden.

Nach den Urteilsfeststellungen wird die Strafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 24. September 2019 seit dem 18. Juni 2021 in der Justizvollzugsanstalt K. vollstreckt. Im Zeitpunkt der Urteilsverkündung im vorliegenden Verfahren waren daher von dieser Strafe noch ein Jahr und acht Monate offen, so dass die Gesamtverbüßungsdauer durch den Bewährungswiderruf erheblich verlängert wird (vgl. zu dem Erfordernis eines beträchtlichen Übersteigens der gesamten Länge der zu verbüßenden Haft gegenüber derjenigen der neu verhängten Strafe bei einem drohenden Bewährungswiderruf auch BGH, Urteil vom 17. Februar 2021 - 2 StR 294/20 Rn. 26 mwN). Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

3. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das Landgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 478

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede