HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 259
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 393/21, Beschluss v. 12.01.2022, HRRS 2022 Nr. 259
Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe - Auswärtige Strafkammer Pforzheim - vom 2. Juni 2021 im gesamten Strafausspruch - auch zu Gunsten des Angeklagten P. - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. und den nichtrevidierenden Mitangeklagten P. jeweils wegen unterlassener Hilfeleistung und wegen Beihilfe zur Geiselnahme jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Beihilfe zur Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt, den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten, den Mitangeklagten unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer solchen von zwei Jahren und sechs Monaten.
Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrungsverzögerung hat es jeweils sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt erklärt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt - unter Erstreckung auf den Mitangeklagten - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Hingegen hat der Strafausspruch insgesamt keinen Bestand, weil die Bestimmung des Strafrahmens für die Einsatzstrafe im Fall III.3 der Urteilsgründe als Einsatzstrafe durchgreifenden Bedenken begegnet.
a) Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl ohne nähere Ausführungen den nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) von zwei Jahren Freiheitsstrafe bis zu elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe zugrundegelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 239b Abs. 2, § 239a Abs. 2 StGB mit einer Strafrahmenuntergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe hat es nicht erörtert, obwohl sich dies geradezu aufdrängte, nachdem die Strafkammer dem massiv agierenden Haupttäter Z. diese Strafrahmenverschiebung bereits aufgrund der Abwägung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zugebilligt hatte.
b) Die Nichteinhaltung der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falls (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. August 2021 - 1 StR 250/21) führt zur Aufhebung der Einsatzstrafe im Fall III.3 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafe. Die Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von dem Wertungsfehler nicht betroffen sind. Auch die Kompensationsentscheidung bleibt hiervon unberührt. Der Senat hebt aber auch die im Fall III.2 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe auf, um dem neuen Tatrichter eine stimmige Strafzumessung zu ermöglichen. Die Aufhebung des Strafausspruchs erstreckt sich auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten P. (§ 357 Satz 1 StPO), weil derselbe materielle Rechtsfehler vorliegt.
Der neue Tatrichter wird bei der Strafrahmenwahl im Fall III.3 der Urteilsgründe neben den vorrangig zu prüfenden allgemeinen Strafzumessungsumständen zudem das (geringe) Gewicht der jeweiligen Beihilfehandlung einzustellen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 - 1 StR 332/21 Rn. 6 und vom 7. September 2021 - 1 StR 302/21 Rn. 3), so dass neben einem minder schweren Fall nach § 239b Abs. 2, § 239a Abs. 2 StGB eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB in Betracht zu ziehen sein kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 259
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede