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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 757

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 28/20, Beschluss v. 02.04.2020, HRRS 2020 Nr. 757


BGH 1 StR 28/20 - Beschluss vom 2. April 2020 (LG Konstanz)

Beweiswürdigung des Tatgerichts (erforderliche Darlegungen bei Anschluss an ein Sachverständigengutachten: Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten I. wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 16. August 2019, soweit es diesen Angeklagten betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten I. und die Revision des Angeklagten A. werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten I., an eine andere als Jugendkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Der Angeklagte A. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht - Jugendkammer - hat den Angeklagten I. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verhängt. Zudem hat es bezüglich beider Angeklagter Einziehungsentscheidungen getroffen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten I. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); sein weitergehendes Rechtsmittel ist ebenso wie dasjenige des Angeklagten A. unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Verurteilung des Angeklagten I. hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dieser Angeklagte im Tatzeitraum von Februar 2018 bis August 2018 bereits Erwachsener und nicht mehr Heranwachsender war.

a) Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, grundsätzlich dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Ergebnisse nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 433/19 Rn. 20; Beschlüsse vom 19. Dezember 2019 - 4 StR 496/19 Rn. 4; vom 22. Mai 2019 - 1 StR 79/19 Rn. 5 und vom 24. Januar 2019 - 1 StR 564/18 Rn. 7). Nur wenn dem Gutachten ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrundeliegt, wie dies etwa bei daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln der Fall ist, genügt das Mitteilen des erzielten Ergebnisses (BGH aaO).

b) Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Es hat lediglich das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens mitgeteilt, wonach der Angeklagte bei Begehung der Taten „wahrscheinlich über 25,03 Jahre gewesen sei“ (UA S. 40). Weder die Anknüpfungstatsachen hierfür noch die angewandte wissenschaftliche Methode (denkbar etwa eine körperliche Untersuchung, Röntgenaufnahme des Gebisses oder der linken Hand sowie Untersuchung der Schlüsselbeine) werden dargestellt. Vielmehr wird eine zusätzliche Unklarheit dadurch geschaffen, dass „statistisch“ zum Untersuchungszeitpunkt am 15. April 2019 „ein Alter von 21,6 Jahren“ nicht auszuschließen sei. Ist aber der Heranwachsendenstatus eines Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat nicht sicher auszuschließen, so ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen, dass er bei Begehung der Tat noch Heranwachsender war (BGH, Urteile vom 23. Mai 2002 - 3 StR 58/02 Rn. 8, BGHSt 47, 311, 313 und vom 23. Februar 1954 - 1 StR 723/53, BGHSt 5, 366, 370).

2. Die Sache bedarf daher im Rechtsfolgenausspruch bezüglich des Angeklagten I. der neuen Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 757

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 259

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede